Montag, 15. Dezember 2014

Neues aus der Kunstszene Athen: das EMST, Stiftungen (Neon, Deste, Theocharakis) und private Sammlungen

Das vor zehn Jahren gegründete und seitdem provisorisch untergebrachte Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst (EMST) wartet seit Jahren auf seinen Umzug, der nach etlichen Verzögerungen und "definitiven" Ankündigungen jetzt wohl irgendwann im Jahr 2015 erfolgt; ein genaues Datum für die Wiedereröffnung steht noch nicht fest. Sein neues festes Domizil, das einstige Gebäude der Bierbrauerei Fix, ein riesiger grauer Betonquader zwischen der Odos Kallirois und dem Leoforos Syngrou, ist längst fertiggestellt. Seine Pforten bleiben aber vorerst geschlossen, weil der Etat des laufenden Museumsbetriebs nicht gesichert ist. Das Kulturbudget ist in der Schuldenkrise drastisch gekürzt worden. Da der griechische Staat nur mit Mühe in der Lage ist, seine antiken Kulturgüter angemessen zu unterhalten, bleibt für die moderne Kunst kaum etwas übrig; sie war und ist chronisch unterfinanziert. Ohne private Initiativen und Unterstützer ginge gar nichts. Drei Millionen Euro sagte die Stavros-Niarchos-Stiftung dem notleidenden Museum zu, und Dimitri Daskalopoulos, Unternehmer, Sponsor und selbst passionierter Kunstsammler - einer der kaufkräftigsten und kauffreudigsten weltweit -, stellte einen Ankaufsfonds bereit. Es fehlen aber immer noch annähernd zwei Millionen Euro, die wohl ebenfalls von privater Seite kommen müssen. Sollte das EMST endlich in den Zenetos-Bau umgezogen sein, hat es das Potenzial, ein großer Anziehungspunkt zu werden, quasi als Pendant zum Akropolismuseum. Athen kann nicht ewig nur von seiner antiken Vergangenheit zehren.

Abgesehen von den momentanen Nöten des EMST wird die Athener Kunstszene immer lebendiger. Sie verändert sich rapide, als wären in der Krise ungeahnte Kräfte frei geworden. So hat sich in kurzer Zeit eine äußerst kreative Szene in Form eines recht dichten Netzes kleinerer Künstlerkollektive etabliert, hat eine stattliche Anzahl privater Sammlungen ihre Türen geöffnet und haben neu gegründete Stiftungen ihre Arbeit aufgenommen und beachtliche Ausstellungen auf die Beine gestellt.

Eine davon ist die 2013 von Dimitri Daskalopoulos ins Leben gerufene Kulturstiftung Neon, deren Ziel es neben anderen ist, den Griechen die internationale Gegenwartskunst nahe zu bringen. Neon verzichtet auf ein eigenes Museum. Sie organisiert Kunst im öffentlichen Raum, an Orten, die in das alltägliche Leben eingebunden und jedem leicht zugänglich sind. Damit will sie ein möglichst grosses Publikum erreichen, vor allem Menschen, die noch nie eine Galerie betreten haben. Die erste Ausstellung (in Kooperation mit der Londoner Whitechapel Gallery) fand im Sommer 2013 im Garten der Gennadios-Bibliothek statt und erfreute sich regen Zuspruchs. 2014 brachte Neon einen außergewöhnlichen Künstler nach Athen, den Deutsch-Briten Tino Sehgal, der in Berlin lebt. Sehgals Kunst konnte man bereits im Guggenheim-Museum in New York, in der Turbinenhalle des Tate Modern in London, im Museum Ludwig in Köln, in Berlin und an anderen Orten erleben. Er war für den Turner-Preis, den wichtigsten englischen Kunstpreis, nominiert und wurde 2013 als bester Künstler auf der 55. Biennale Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Sehgals Kunst ist immateriell. Sie existiert lediglich in der Interaktion des Besuchers mit von Sehgal ausgewählten Akteuren, den "Interpreten", die den Besucher ansprechen, ihm Fragen stellen oder auf andere Weise mit ihm in Kontakt treten. Nichts bleibt über den Moment hinaus erhalten. Der Ort für diese Vorstellung war gut gewählt: die Römische Agora im Altstadtviertel Plaka, eine der wichtigsten antiken Stätten Athens, an der Zehntausende Menschen täglich vorbeigehen.

International bedeutende Künstler stellt seit drei Jahrzehnten die im Athener Kunstleben sehr präsente Deste-Stiftung des Dakis Ioannou aus. Im Jahr 2014 widmete sie u.a. dem deutschen Fotografen Jürgen Teller eine Solo-Schau unter dem Titel "Macho". Teller zählt zu den namhaften Fotografen der Gegenwart. Er lebt und arbeitet in London, verbringt viel Zeit in Griechenland und zeigt seine Arbeiten in renommierten Häusern auf der ganzen Welt. Die Stiftung kümmert sich aber auch um den griechischen künstlerischen Nachwuchs. So wird 2015 wieder der Deste-Preis vergeben, der seit 1999 alle zwei Jahre einen jungen Hellenen auszeichnet. Die Nominierten (die Shortlist) werden Ende Januar 2015 bekannt gegeben, ihre Werke sind von Ende Mai bis Ende September im Kykladenmuseum zu sehen. Deste organisiert ferner Ausstellungen im Benakimuseum in der Piräosstrasse und jeden Sommer in seiner Dependance auf der kleinen Insel Hydra, 50 Seemeilen südlich von Athen, ein Ereignis, das inzwischen ein Pflichttermin für die Kunstmarkt-Elite auf ihrer grossen Europatour geworden ist. Nach der Art Basel, der weltgrößten und bedeutendsten Kunstmesse, schauen alle wichtigen Leute auf Hydra vorbei - Sammler, Händler, Kuratoren und die Künstlerstars - und verbinden knallhartes Geschäft mit Spaß. Danach trifft man sich auf den grossen Londoner Auktionen, später auf der Frieze und den anderen internationalen Messen. Leider nicht auf der alljährlichen Art Athina. Der 1993 vom einheimischen Kunsthandel gegründeten Messe bleibt das Ausland eher fern. Vertreten sind aber alle wichtigen Athener Galerien, so daß man sich einen guten Überblick über deren Angebot verschaffen kann.

Ein anderer großer Sammler, der Reeder George Economou, zeigt seit 2012 Werke aus seiner Kollektion in seinem eigenen "Galeriehaus" in Maroussi. Das ultramoderne Gebäude liegt direkt hinter seinem Firmensitz. Economou, dessen Schwerpunkt lange auf der deutschen und österreichischen Malerei des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lag, hat sein Interesse neuerdings ebenfalls auf die Zeitgenossen verlegt. Er setzt jedoch mehr als beispielsweise Dakis Ioannou auf Künstler, die ihren Platz in der Kunstgeschichte schon sicher haben, als auf solche, die sich erst noch einen Namen machen müssen. Seine Ausstellungen - zwei bis drei pro Jahr - gehören zum Besten, was man in Athen sehen kann. Jedes Stück aus seiner Sammlung ist ein Spitzenwerk, so auch jedes einzelne in der im September 2014 eröffneten Gruppenschau "Thorn in the Flesh" (kuratiert von Dieter Buchhart), die noch bis April 2015 offen ist. Zu sehen sind ausgewählte Arbeiten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute: von Basquiat, Beckmann, Bourgeois, McCarthy, Condo, Dine, Dubuffet, Judd, Shiraga, de Kooning, Oldenburg, Penck, Pistoletto und Rauch.

George Economou ist auch ein generöser Leihgeber. So richtete er von Mai 2013 bis Januar 2014 aus seiner Kollektion die Ausstellung "Gegenlicht. Deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts" in der Sankt Petersburger Eremitage aus, mit Werken u.a. von Otto Dix, von dem Economou die größte Sammlung weltweit besitzt, Ernst Ludwig Kirchner, Georg Baselitz, Neo Rauch und Anselm Kiefer, von dem er fünf Gemälde hat (darunter "Tempelhof", das er 2012 von der Londoner White Cube Gallery erwarb).

Viel Aufmerksamkeit erfährt auch die Theocharakis Foundation, ein Kulturzentrum am Vasilissis-Sofias-Boulevard gegenüber dem Nationalgarten, wo Lesungen, Konzerte, Workshops und Ausstellungen bekannter griechischer und internationaler Künstler stattfinden und dessen Cafe-Restaurant "Merlin" ein beliebter Treffpunkt ist. Ein grosser Erfolg war 2014 die Schau "Hellenische Renaissance" über den dänischen Architekten Theophil Hansen, der (zusammen mit seinem Bruder Christian, Hofarchitekt des griechischen Königs Otto I.) das Stadtbild Athens im 19. Jahrhundert maßgeblich mitbestimmt hat. Er entwarf einige der bekanntesten Bauten im Zentrum, darunter die "Athener Trilogie", das Zappion, die Sternwarte und das Hotel Grande Bretagne (damals das Palais Dimitriou) am Sintagmaplatz. Nach seinen Athener Jahren war Hansen in Wien tätig, wo er mehrere Ring-Palais baute, ferner das Parlament, die Griechenkirche und das Gebäude des Musikvereins, noch immer einer der akustisch besten und schönsten Musiksäle der Welt, in dem die Wiener Philharmoniker alljährlich ihr berühmtes Neujahrskonzert spielen. Die Theocharakis-Aktivitäten werden zusätzlich von der Niarchos-Stiftung unterstützt, die gerade das Projekt eines eigenen Kulturzentrums verfolgt. Der Entwurf für den riesigen Komplex an der Faliro-Bucht fünf Kilometer südlich stammt von dem italienischen Architekten Renzo Piano, der u.a. das Centre Pompidou in Paris und den Wolkenkratzer The Shard in London baute.

Eine bekannte Gestalt in der Athener Kunstszene ist der Sammler Vlassis Frissiras. Das private "Frissiras-Museum", in zwei schönen neoklassischen Gebäuden in der Plaka untergebracht, besteht bereits seit Dezember 2000. Es besitzt eine ansehnliche Sammlung europäischer und amerikanischer Maler, insgesamt ca. 3500 Gemälde und Zeichnungen, ist aber stärker auf griechische Künstler konzentriert, die in Europas Museen kaum präsent sind.

Mitten in der Krise ist auch die "Freie Szene" in Bewegung geraten. Zwar ist die finanzielle Situation angespannt, besonders für die jungen und jüngsten meist kaum bekannten Künstler, aber Not macht erfinderisch, und so haben sich einige zu autonomen Gruppen zusammengeschlossen und teilen sich bezahlbare Ateliers und Projekträume, in denen sie sich ausprobieren, experimentieren und erstmals ihre Arbeiten zeigen, immer in der Hoffnung, von zahlungskräftigen Sammlern oder Sponsoren entdeckt zu werden. Möglich, daß irgendwann einmal professionelle Galerien daraus hervorgehen. Noch allerdings haben die wenigsten kommerziellen Erfolg, der Markt ist einfach zu klein, der Kreis der Käufer stark begrenzt. Viele der Ateliers befinden sich in den benachbarten Problemvierteln Metaxourgio und Keramikos, die einer schnellen Gentrifizierung erfolgreich getrotzt haben. Die günstigen Mieten für Arbeitsräume und Wohnungen und die Aufbruchsstimmung haben bereits unternehmungslustige, dynamische Talente aus der Londoner und Berliner Kreativszene angelockt. Manche vergleichen dieses Quartier schon mit dem New Yorker SoHo der achtziger Jahre.

In Metaxourgio haben sich auch einige renommierte Galerien niedergelassen wie Rebecca Camhi, The Breeder und die erst 2012 von Marina Fokidis gegründete Kunsthalle Athena. Marina Fokidis pflegt Kontakte zur europäischen Kunstszene, arbeitet als Kuratorin und verfaßt Texte für ein Magazin. Für Jürgen Tellers Ausstellung bei Deste schrieb sie die ausführliche Einführung. Jetzt muß sich Fokidis nach einem neuen Standort umsehen: Ihrer Galerie in der Odos Keramikos wurde vom Eigentümer gekündigt.

Daß die Gegenwartskunst eine immer größere Rolle spielt, ist einzig den Initiativen der privaten Sammler, Stiftungen und mehreren potenten Galerien zu verdanken. Sie machen es möglich, daß die Werke international wichtiger Künstler überhaupt in Athen zu sehen sind. Da einige der weltweit einflußreichsten Sammler wie Ioannou, Daskalopoulos, Economou u.a. ausschließlich erstrangige Werke hochgehandelter Spitzenkünstler kaufen - etwa von Jeff Koons und Gerhard Richter, die als teuerste Künstler der Welt gerade Platz eins und zwei belegen -, ist auch die Qualität der von ihnen organisierten Ausstellungen hoch. Die Kunstfreunde dürfen gespannt sein. Sie werden auch künftig mit außergewöhnlichen Präsentationen rechnen dürfen.

Wenig bekannt sind in Westeuropa die griechischen zeitgenössischen Künstler (sieht man einmal von den Auslandsgriechen wie Iannis Kounellis, Takis, Alekos Fassianos, Ioannis Psychopaidis, Alexis Akrithakis ab). Ob die Bemühungen von Einrichtungen wie Deste, Frissiras oder manchen Galerien ihnen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen, bleibt abzuwarten. Noch ist ihre Sichtbarkeit außerhalb des Landes gering. Auch die Tatsache, daß Athener Galerien wie The Breeder, Bernier Eliades, Kalfayan und Koroneou international gut vernetzt sind und an den wichtigen europäischen und amerikanischen Messen teilnehmen, hat daran wenig geändert. Momentan spielt die griechische Kunst nur eine marginale Rolle. Die jungen Hellenen schauen zwar auf die westlichen Metropolen, der Westen aber nicht nach Athen. Vielleicht ändert sich das 2017, wenn die Documenta auch in Athen stattfindet. Sie könnte einen Durchbruch bewirken.

Auch die Griechen selbst tun sich noch immer schwer mit aktueller progressiver Kunst. Das Interesse ist vergleichsweise gering. Abgesehen von den Vernissagen, die als gesellschaftliches Ereignis gelten, sind die Galerien und Ausstellungsräume schlecht besucht.
"Ein Teil ihres täglichen Lebens", wie es Dimitris Daskalopoulos hofft, ist den Griechen die Gegenwartskunst bisher nicht geworden.

Sonntag, 7. Dezember 2014

Das Lykeion des Aristoteles in Athen

Athen ist um eine wichtige archäologische Stätte reicher. Am 4. Juni 2014 wurde die Schule des Aristoteles, das berühmte Lykeion (Lyzeum), der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wie soviele andere Überreste aus der Antike ist es - Mitte der neunziger Jahre - bei Bauarbeiten zufällig entdeckt worden. Das 5000 qm grosse parkähnlich gestaltete Grabungsareal liegt im Zentrum der Stadt, in der Rigilisstrasse (Odos Rigilis), zwischen dem Byzantinischen Museum und dem Konservatorium.

Das "ruhmreiche Athen" war immer eine Stadt der Künste und der Wissenschaften und blieb es, auch nachdem es seine politische Bedeutung längst verloren hatte. Alle vier grossen Philosophenschulen wurden hier gegründet: 387 v. Chr. die Platonische Akademie, 335 der Aristotelische Peripatos, 306 "der Garten" (Kepos) des Epikur und 301 die Stoa des Zenon, deren Anhänger man die Stoiker nannte. Alle vier Schulen sind nach den Bauten (bzw. im Falle Epikurs dem Ort) benannt, in denen die Schüler unterrichtet wurden, die Stoa beispielsweise nach einer Säulenhalle auf der Agora. Weitere kleinere, das städtische Geistesleben bereichernde Philosophenschulen wie die kynische und die skeptische haben ebenfalls ihren Ursprung im demokratischen Athen, das offen für neue Strömungen und neues Denken war.

Aristoteles (384-322 v. Chr.) wurde in Stagira nordöstlich der Chalkidike geboren. Er kam bereits als 17jähriger nach Athen, um an der Akademie Platons zu studieren, dessen "Meisterschüler" er wurde. Nach Platons Tod 347 v. Chr. verließ er die Stadt und wurde u.a. Lehrer des jungen Alexander, der später "der Grosse" genannt wurde. 335 v. Chr. kehrte er nach Athen zurück, um hier zu forschen und zu lehren. Noch im selben Jahr eröffnete er seine eigene Schule, das Lykeion, in der er männliche junge Griechen in Philosophie, Rhetorik und der Kunst der freien Rede unterwies. Redegewandtheit war im 4. Jahrhundert eminent wichtig, um an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Um auch ärmeren Bürgern den Zugang zu ermöglichen, wurden sogar Tagegelder (Diäten) eingeführt (die 392 v. Chr. auf den Besuch von Theatervorstellungen ausgeweitet wurden). Für einen überzeugenden Auftritt in der Volksversammlung (Ekklesia), dem Herzstück der athenischen Demokratie, in der das Volk (demos) freies Rederecht hatte und über seine eigenen Angelegenheiten debattierte und abstimmte, waren rhetorische Qualitäten gar nicht hoch genug einzuschätzen. Gleiches galt für die Mitwirkung der Laienrichter an den Volksgerichten, an denen die Redezeit begrenzt war.

Man nannte Aristoteles und seine Schüler die Peripatetiker ("Spaziergänger") nach dem Peripatos, der im Schulbezirk liegenden Säulenhalle des Lykeion, in der die Gespräche und Diskussionen beim Umherwandeln geführt wurden. Neben dem Unterricht forschte Aristoteles auf so unterschiedlichen Wissensgebieten wie Staat und Verfassung, Ethik, Metaphysik, Logik, Dichtung (speziell der Tragödie) und Naturwissenschaften, hier besonders in Zoologie und Biologie. Systematisch trug er das Wissen der damaligen Welt zusammen und richtete eine umfangreiche Bibliothek ein, die das Lykeion zu einem bedeutenden Forschungszentrum machten.

Nach dem Tod Alexanders 323 v. Chr., als Athen die makedonische Vorherrschaft abschütteln konnte, musste Aristoteles Athen wegen politischer Anfeindungen verlassen. Er zog sich nach Chalkis auf Euböa zurück, wo seine Familie mütterlicherseits zu Hause war. Dort starb er im Jahr 322 v. Chr.

Schon zu Lebzeiten hatte sich Aristoteles einen Namen gemacht. Mit seinem Werk setzte er Massstäbe, die bis heute gültig sind, besonders seine Ideengebäude zu Ethik, Wissenschaftstheorie und Staatslehre. Eines seiner bekanntesten Werke, die Nikomachische Ethik, widmete er seinem Sohn Nikomachos.

Informationstafeln im Lykeion-Gelaende, ein Platz der Stille und Kontemplation inmitten der lauten Stadt, geben dem Besucher einen ausführlichen Einblick in das antike Leben. Der Ort ist ein Glücksfall für Athen. Es ist geplant, den Park mit dem angrenzenden Gelände des Byzantinischen Museums zu verbinden.

Sonntag, 6. Juli 2014

Deutsche Kuenstler in Griechenland: Peter Foeller. Kreta, eine Welt voll Schatten und Licht

Peter Foeller pendelt seit nahezu 30 Jahren zwischen Berlin und Kreta. Zur Zeit verbringt er fast das ganze Jahr in seinem kretischen Domizil. Sein Domizil, das ist das ehemalige Bürgerhaus eines türkischen Verwalters in Plora, einem 70-Seelen-Dorf am Rande der Messara-Ebene. Vor dreissig Jahren kauften Peter und Claudia Foeller das 1843 erbaute Haus. Sie sanierten, renovierten, bauten um und an und richteten es zu einem Wohlfühl-Refugium her, mit tropischem Garten, Atriumhoefen, Terrassen, einer Wohnung im Turm für Freunde, die von überall her kommen, und schliesslich dem Atelier im Bauhausstil. Gleich einem Kastro thront es auf dem hoechsten Punkt Ploras. Von seinen Terrassen und Fenstern blickt man über Dorf und Messara-Ebene hinweg auf das Ida-Massiv mit dem hoechsten Berg Kretas, den Psiloritis. Die Aussicht ist phänomenal.

Das helle, weiträumige Atelier mit seinen bodentiefen Fenstern ist ein idealer Arbeitsraum, ganz auf die Bedürfnisse des Künstlers zugeschnitten, von ihm selbst entworfen. Hier hat er mehr Ruhe als in Berlin, und schon früher hat er sich oft hierher zurückgezogen, in die "innere Emigration", um an groesseren Werken zu arbeiten, für die ihm in Berlin Zeit und Konzentration fehlten.

Was bei Foellers Bildern immer als erstes auffällt, ist die Farbgebung, diese intensive Leuchtkraft der Farben. Sie nimmt den Betrachter gefangen, ihrer suggestiven Wirkung kann man sich kaum entziehen. Mit der Art und Weise, wie er die Farben kombiniert, sie kontrastiert und die Linien und geometrischen Formen stapelt, überlagert, verschachtelt und ineinander übergehen lässt, kreiert er eine erstaunliche Raumtiefe. Denn ebenso wie Foeller ein absolutes Gefühl für Farben hat, hat er ein untrügliches Gespür für Formen. In jedem Strich, jedem Farbton, jedem Klecks sieht der Maler ein Symbol, das wir schon kennen und das uns schon begegnet ist. Er reflektiert, beobachtet die Welt und entwickelt sich so weiter. Jedes Detail - und die Bilder sind ausserordentlich detailreich - ist von grosser handwerklicher Qualität. In seinen neueren, vor allem auf Kreta entstandenen Werken, werden die ausgefeilt konstruierten statischen Figuren und Linien aufgebrochen und aufgeloest. Sie sind vorhanden, aber in den Hintergrund gerückt. Nichts Strenges haftet ihnen an, sie wirken heiter und froehlich.

Bekannt geworden ist Peter Foeller vor allem durch seine Grafik. Die seit den siebziger Jahren entstandenen Siebdrucke erreichen durch ein aufwendiges Verfahren, das Uebereinanderdrucken von bis zu siebzig Farben, eine ganz ausserordentliche Strahlkraft und Plastizität der Oberfläche. Er koloriert eigenhändig jedes einzelne Blatt. Im Laufe der Zeit sind so rund 230 Auflagen entstanden.

Neben seinen Oel- und Acrylbildern und dem immensen grafischen Werk sind die Aquarelle etwas in den Hintergrund geraten. Obwohl sie zart, schwerelos, fliessend und wie hingetuscht wirken, ist auch hier die abstrakte und gleichzeitig gegenständliche Formensprache charakteristisch für ihn. Manche haben Kreta zum Thema, z.B. "Kretischer Mond", "Minoische Spur" oder die "Phoenix"-Serie.

Peter Foeller hat eine grosse Sammlergemeinde auf der ganzen Welt, besonders in den USA, wo er mehrere Ausstellungen hatte. Ausser in Deutschland und in anderen europäischen Ländern hatte er Schauen zum Beispiel in Kanada, Brasilien, Indien, Japan, Afrika und Aserbaidschan.







Mittwoch, 2. Juli 2014

Athen - Shoppingtour in Kolonaki

Athen ist sicherlich keine Modemetropole wie Mailand und Paris. Aber nach dem Pflichtprogramm Akropolis und Co. keinen Shoppingtag einzuplanen, wäre eine grobe Unterlassungssünde. Denn Athen hat einiges zu bieten, was es nur in Athen gibt. Das sagt meine Athener Freundin Popi, eine ausgewiesene Fashionista, die es wissen muss. Popi brennt darauf, mich in ihre Lieblingsläden mitzunehmen. Lauter Top-Adressen. Zuvor treffen wir uns auf einen Cappuccino im "Peros" direkt am Kolonakiplatz, ein guter Ort, um die vorbei flanierenden modebewussten Athenerinnen zu begutachten, die das tragen, was die Frauen in allen Grosstädten der Welt tragen - vorausgesetzt, sie koennen es sich leisten -, nämlich Gucci, Prada, Miu Miu, Vuitton usw. Und die Frauen in Kolonaki koennen es sich leisten, denn in diesem Stadtviertel sind die Gutbetuchten zu Hause und also auch die internationalen Modedesigner.

Was braucht man als Frau am dringendsten? Schuhe natürlich. Und so bewegen wir uns als erstes schräg über den Platz in die Odos Patriarchou Ioakim zu "Kalogirou", für Schuhfans ein absolutes Muss. Neben einer Top-Auswahl an internationalen Marken wie Tods, Casadei, Prada gibt es auch Kreationen aus der eigenen Werkstatt, vor allem bildschoene Sandaletten in allen Formen und Farben mit diesem gewissen Extra. Ich kann den Stilettos aus Schlangenleder nicht widerstehen, es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie passen perfekt und ausserdem kann man sie zu allem tragen (irgendwie muss ich den Preis ja rechtfertigen). Wer hier wider Erwarten nicht fündig wird, wird es bestimmt eine Ecke weiter in der Odos Tsakalof, bei "Prasinis", wo ein ausgesuchtes Angebot internationaler und griechischer Designer den Schuhfetischisten beglückt. Besonders in der Herstellung von Sandalen - die griechische Mythologie steht Pate - sind die Hellenen Spitzenklasse. Mit solch einem Kauf macht man nichts falsch, ausserdem kann man Schuhe nie genug haben.

Nur einige Schritte weiter, in der Tsakalof 20, schauen wir bei "Parthenis" vorbei. Orsalia Parthenis ist eine griechische Modedesignerin, deren Entwürfe extravagant-puristisch sind. Stylish und trotzdem lässig, Wohlfühlkleider sozusagen. Sie verarbeitet qualitativ hochwertige Materialien, vornehmlich reine Baumwolle, meist einfarbig, viel weiss. Totales Understatement. Ein leichtes weisses Baumwollkleid zu meinen gemusterten Schlangenledersandalen - perfekt selbst bei den heissesten Temperaturen, wenn man gar nicht mehr weiss, was man anziehen soll. Popi bricht in Bewunderungslaute aus, und ich nehme es, zumal die Preise hier sehr zivil sind. Zivil sind auch die Preise für trendigen Modeschmuck bei "Follie Follie", der ein weisses Kleid ziemlich upgraden kann (Tsakalof 6, weitere Filialen: Ermou 18 und 37 sowie Solonos 25).

Im Viertel Kolonaki gibt es nicht nur erstklassige Boutiquen, sondern auch einige alteingesessene Galerien, und wir beschliessen, ihnen einen Besuch abzustatten. Als erstes gehen wir zu "Zoumboulakis", Kolonakiplatz 20, wo gerade eine Gruppenausstellung griechischer Künstler gezeigt wird, darunter der weltweit bekannte Ioannis Moralis. Eine kleine minimalistische Plastik von ihm wird für 6000 Euro angeboten. Zeitgenoessische griechische und internationale Maler präsentiert die renommierte Galerie "Kalfayan" (Odos Charitos 11), zur Zeit ist dem jungen, in London lebenden Bill Balaskas eine Soloausstellung gewidmet. In beiden Galerien ist das Personal sehr freundlich und zugewandt, obwohl wir gar nichts kaufen. Das Angebot, uns per E-Mail über zukünftige Ausstellungen und Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten, nehmen wir gerne an. Das war eine anregende, inspirierende Unterbrechung; ich habe interessante Werke von Künstlern gesehen, die ich bisher noch nicht kannte.

Meine Athener Freundin führt mich jetzt durch die Odos Voukourestiou, die exclusive Juwelierstrasse. Ein Blick in die Schaufenster zeugt von Luxus pur. Popi behauptet, man koenne nirgendwo auf der Welt schoeneren Schmuck kaufen als in Athen und ich stimme ihr zu. In der Goldschmiedekunst sind die Griechen unübertroffen. Schliesslich hat sie eine jahrtausendealte Tradition, und die häufig von antiken oder byzantinischen Vorbildern inspirierten Kreationen der Athener Top-Juweliere sind in New York inzwischen ebenso ein Begriff wie in London und Paris. Auch die Bulgari-Dynastie hat ihre Wurzeln in Griechenland. Ihr Gründer, der Silberschmied Sotirios Voulgaris, verliess seinen Geburtsort im griechischen Epirus Richtung Italien, wo er rasant Karriere machte. Sein erstes Geschäft eroeffnete er 1884 in Rom, seinen Namen änderte er in Sotirio Bulgari.

Bulgari hat zwar auch eine Filiale in der Voukourestiou, aber unser Ziel sind zwei andere Nobel-Juweliere: Zolotas, den es schon seit 1895 gibt, und Ilias Lalaounis, der Schmuckdesigner schlechthin, der sogar ein eigenes Museum unterhält (Karyatidon 4/Kallisperi 12, unterhalb der Akropolis). Die Läden der beiden Konkurrenten stehen einander gegenüber, in der Voukourestiou Ecke Panepistimiou.(Zolotas hat noch ein Geschäft in der Stadiou 9.) Die Preise für die traumhaft schoenen, edlen Goldcolliers und opulenten Armreifen liegen bei Lalaounis im fünfstelligen Bereich. Sie sind auffallend kompakt und gewichtig, das Collier, das ich in der Hand hielt, wog gefühlte 500 Gramm. Seit einigen Jahren hat Lalaounis auch eine preiswerte "junge" Kollektion aufgelegt. So kostet ein luxurioes-schlichter silberner Armreif 450 Euro. Die Preise bei Zolotas sind ähnlich. Auch Zolotas führt eine preiswerte Linie, vor allem in Silber. Besonders schoen sind die silbernen Anhänger an verschiedenfarbigen Lederbändern, sie kosten um die 120 Euro.

Was fehlt jetzt noch? Kosmetik. Im "Masticha Shop", eine Ecke weiter - Panepistimiou Ecke Kriezotou - bekommt man alle moeglichen Hautpflegeprodukte aus dem Harz des Mastixbaums, der auf der Insel Chios wächst. Diese Artikel (neben den Cremes auch Süsswaren wie Kekse, Kaugummi usw.) bekommt man nur in Athen. In der Kriezotou 7 hat die Zoumboulakis-Galerie eine Zweigstelle, wo man Grafiken z.B. von dem international bekannten Maler Alekos Fassianos und allerlei Dekoratives für die Wohnung kaufen kann.

Ein Geschäft steht noch aus: Meine Lieblingsboutique, die ich jedes Mal aufsuche, wenn ich in Athen bin. Es ist die von Ioanna Kourbela in der Plaka, Adrianou Ecke Chatzimichali. Für ein Kleid dieser talentierten Modedesignerin, die einen ganz unverkennbaren Stil vertritt, lasse ich von vornherein Platz im Koffer frei. Ihre Kleider sind einfach, aber raffiniert, ihre Trägerin sticht aus der Masse heraus. Kourbela stellt auch leicht exzentrische, aber gleichwohl alltagstaugliche Strickwaren her, die alle miteinander kombinierbar sind. Hier findet jeder sein Lieblingsstück. Und Qualität, Schnitt und Preis stimmen.

Nach so vielen Einkäufen und kulturellen Anregungen ist eine Erholungspause fällig. Wir suchen das Gartencafe hinter dem Schliemann-Haus auf, entspannen uns bei einem Glas frischgepressten Orangensaft und geniessen die Stille mitten im Zentrum der Stadt. "Die griechische Mode wird unterschätzt", resümiert meine Athener Freundin. "Trotz Mary Katrantzou und Kostas Mourkoudis."













Sonntag, 22. Juni 2014

Der deutsche Philhellene Wilhelm Müller. Die Odos Myllerou in Athen

Odos Myllerou - eine Müller-Strasse in Athen? Wenigstens gibt es nur eine Odos Myllerou und das ist schon einmal von Vorteil in der Hauptstadt, wo - aus welchen Gründen auch immer - oft ein Dutzend Strassen denselben Namen tragen, von Berühmtheiten wie Sokrates, Sophokles, Aristoteles oder Perikles, was das Auffinden der Adressen oftmals zu einem Problem macht. So berühmt ist Müller nun nicht, und so ist es ein leichtes, die Myllerou zu finden; noch dazu liegt sie im zentrumsnahen Stadtviertel Metaxourgio, von dem man sagt, dass es ein "aufstrebendes" ist. Das sagt man schon lange, aber zu sehen ist nichts, was diese Hoffnung rechtfertigt, ausser, dass wenige Galerien, aber viele Künstler hierher gezogen sind, vermutlich wegen der billigen Mieten in den heruntergekommenen Häusern. Sollte es eine Gentrifizierung gegeben haben, wie immer man dazu stehen mag, so ist ihr zartes Pflänzchen von der Krise im Ansatz erstickt worden.

Die Odos Myllerou ist eine Strasse wie jede andere im Umkreis, unauffällig, etwas schäbig, ohne besondere Eigenschaften. Bemerkenswert ist jedoch die Person, deren Namen sie trägt: Wilhelm Müller, 1794 in Dessau geboren und 1827, eine Woche vor seinem 33. Geburtstag, dort gestorben, ein deutscher Dichter der Romantik, Publizist, Uebersetzer (er übersetzte Christopher Marlowes "Faustus" aus dem Englischen), Redakteur, Herausgeber (bei Brockhaus), Herzoglich-Dessauischer Bibliothekar, Hofrat.

"Griechen-Mueller", wie ihn seine Zeitgenossen schon zu Lebzeiten nannten, engagierte sich leidenschaftlich in der deutschen philhellenischen Bewegung, die damals über ganz Westeuropa schwappte. Die Griechenlandbegeisterung erfasste nahezu jeden, vor allem aber Dichter und Intellektuelle, die sich dazu berufen fühlten, die jahrhundertelang unterdrückten Hellenen in ihrem Freiheitskampf gegen die Türken zu begleiten und zu unterstützen. Die herausragendste Persoenlichkeit unter ihnen war Müller, der selbst (wie auch Winckelmann) nie in Griechenland war. Ebenso wie Goethe, kam er nur bis Italien.

Von 1821, dem Beginn der nationalen Erhebung, bis kurz vor seinem frühen Tod schrieb er mehr als fünfzig "Griechenlieder", darunter "Griechenlands Hoffnung", "Hydra", "Der kleine Hydriot" und "Byron" - ein langes Gedicht über den englischen Lyriker und Philhellenen Lord Byron, den Müller verehrte und der 1824 in Mesolongi, einem Zentrum im Widerstand gegen die Türken, am Sumpffieber starb. (Lord Byron wird in Athen nicht nur durch eine Strasse, die Odos Vironas in der Plaka, sondern durch ein ganzes Stadtviertel - Vironas - geehrt.) In seinen späteren "Griechenliedern" klingt immer auch Kritik an der repressiven Politik der europäischen Grossmächte und der Kirche an. Manche seiner politisch- und gesellschaftskritischen Gedichte und Essays fielen deshalb der Zensur anheim und wurden erst lange nach seinem Tod veroeffentlicht. Verdienste erwarb er sich auch als Uebersetzer und Herausgeber neugriechischer Volkslieder.

Dem breiten Publikum ist Müller hauptsächlich durch das Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" und durch seine von Franz Schubert vertonten Liederzyklen "Die schoene Müllerin" und "Die Winterreise" bekannt. Das aus der Winterreise berühmteste Lied ist wohl "Der Lindenbaum" (Am Brunnen vor dem Tore ...). Beide waren Zeitgenossen, sind sich aber nie persoenlich begegnet. Schubert starb 1828, ein Jahr nach Müller. Er wurde nur 31 Jahre alt.

Die Griechen haben dem grossen Hellenenfreund seinen Einsatz und seine lebenslange Solidarität nie vergessen. Für das Denkmal im Dessauer Park stifteten sie den Marmor, und noch im 20. Jahrhundert war Müller so populär, dass Abordnungen aus Athen zu seinen Geburtstagen Kränze auf sein Grab legten.

Das alles ist lange her. Die Griechenlandbegeisterung hat in den Zeiten der Schuldenkrise gegenteiligen Empfindungen Platz gemacht. Die Deutschen, seit jeher verzückt und berauscht von südlicher Landschaft, Kultur und Lebenskunst, kehren erst allmählich zaghaft nach Hellas zurück. Sie fühlen sich nicht mehr willkommen, sogar von Deutschenfeindlichkeit ist die Rede. Das ist jedoch ein voellig falscher Eindruck. Auch wenn die Griechen (zu Recht) von der deutschen Politik und ebenso gehaltlosen wie verletzenden und würdelosen Schuldzuweisungen in den Medien - als "faul, korrupt", "Betrüger", "sollen sie doch ihre Inseln oder die Akropolis verkaufen" - enttäuscht sind und sich als europäischer Sündenbock fühlen: Sie leben vom Tourismus und sind nicht so toericht, sich den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Sie unterscheiden genau zwischen Politikern und Normalbürgern. Die Deutschen werden - im Gegenteil - sehnsüchtig erwartet. Dennoch dürfte es einige Zeit dauern, bis die Wunden tatsächlich verheilt sind.

Heute bemüht sich die Internationale Wilhelm-Müller-Gesellschaft um das Werk des Autors. Das Land Sachsen-Anhalt vergibt alle zwei Jahre den Wilhelm-Müller-Preis an junge Literaten.

Freitag, 20. Juni 2014

Die Pistazieninsel im Saronischen Golf: Aegina

Aegina ist die interessanteste Saronische Insel. Sie bietet nicht nur Sandstrand, Sonne, Meer, das haben alle Inseln, das erwartet man. Es ist die besondere Kombination aus Landschaft, Kultur und Historie, die ihren Reiz ausmacht. Jeder Schritt ist begleitet von Tradition und Geschichte, diesem ganz speziellen Griechenlandgefühl der Ehrfurcht und Ergriffenheit. Viele Künstler fühlten sich hier heimisch, vor allem Bildhauer, wie Christos Kapralos, Karina Raeck und Gerhard Marcks, neben Barlach der bedeutendste deutsche Bildhauer des 20. Jahrhunderts, der hier (in Kypseli) ein Ferienhaus besass. Marcks war zutiefst beeindruckt von der Vollkommenheit des Aphaiatempels. Einer seiner Bronzefiguren (seit 1968 in den Wallanlagen in Bremen) gab er den Namen "Liegende Aegina".

Im Gegensatz zu den drei anderen Inseln - Poros, Hydra und Spetsä - besitzt sie bedeutende antike und byzantinische Stätten, und als einzige spielte sie im Altertum eine glorreiche Rolle, als sie ein wichtiger Handelsplatz mit einer grossen Seeflotte war. In ihrer Blütezeit, im 7. Jahrhundert v. Chr., prägte sie als erste griechische Stadt Münzen, "Schildkroeten" genannt, die aufgrund weitreichender Handelsbeziehungen über den ganzen Mittelmeerraum bis hinüber zum Schwarzen Meer verbreitet waren. Mit dem Erstarken Athens nahm Aeginas wirtschaftlicher Einfluss ab, und obwohl es in der Schlacht von Salamis 480 v. Chr. an der Seite Athens gegen die Perser kämpfte, erzwang Athen Aeginas Beitritt zum Delisch-Attischen Seebund, dem es hohe Tribute entrichten musste. Zu Beginn des fast dreissigjährigen Peloponnesischen Krieges wurden die meisten Einwohner vertrieben und durch attische Kolonisten ersetzt. Von diesem Schlag konnte sich die einstmals so mächtige Insel nicht mehr erholen, sie sank in die Bedeutungslosigkeit.

Im 19. Jahrhundert, nach dem Unabhängigkeitskrieg, tauchte Aegina noch einmal kurz aus der Versenkung auf. 1828 war der Inselort neun Monate lang die erste Hauptstadt des von den Türken teilbefreiten Landes unter dem ersten Präsidenten des neuen Griechenland, Ioannis Kapodistrias. Danach fiel die Hauptstadtrolle an Nauplia, wo Kapodistrias 1831 von Fanatikern aus der Mani ermordet wurde.

Aegina hat mehrere kleinere Badeorte, doch am kurzweiligsten und interessantesten ist es im gleichnamigen Haupt- und Hafenort. An der Küstenpromenade reiht sich ein Cafe, eine Taverne an die andere. Die besten sind das "Plaza" und das "Dromaki", die ein Gespür für feine Aromen haben und die Gerichte nicht in Oel ertränken (alles, was das Meer hergibt, noch dazu preiswert und täglich frisch, servieren auch die kleinen Lokale am Fischmarkt). Im Hafenrund ankern Fischerboote und Jachten, an den Ständen gegenüber kann man frische Pistazien - gesalzen, ungesalzen, geroestet - kaufen, für die die Insel berühmt ist, oder in Honig eingelegte Pistazien im Glas, eine koestliche, hier hergestellte Spezialität, der man nur schwer widerstehen kann. Die "Pistazie von Aegina" wurde 1994 als Produkt geschützt ("geschützte Herkunftsbezeichnung"), um sie von Produkten minderer Qualität - vornehmlich aus der Türkei und dem Iran - abzuheben. Die Aegina-Pistazie ist begehrt, aber nicht billig, zwanzig Euro und mehr kostet das Kilo. Doch die Ausgabe lohnt sich, ihr Geschmack ist unvergleichlich. Rund vier Prozent der Pistazien-Welternte stammen von hier. Die Steinfrucht ist allgegenwärtig. Wenn man die Insel durchquert, fährt man kilometerweit durch satt-grüne Pistazienhaine.

Den aus Piräus Ankommenden begrüsst links vom Hafen eine einsame, acht Meter hohe Säule, Kolona genannt, ein Rest vom Apollontempel, der im 5. Jahrhundert v. Chr. die Anhoehe kroente. Bis auf die Fundamente ist nicht mehr viel zu sehen, manches ist noch unter dem Hügel versteckt. Systematisch gegraben wurde hier erst ab 1894, von 1904 bis zu seinem Tod 1907 von Adolf Furtwängler, einem der ganz grossen seines Fachs. (Das Grab Furtwänglers befindet sich auf dem Ersten Friedhof in Athen.) In den sechziger Jahren legte der Münchner Archäologe Hans Walter eine grosse prähistorische und mehrere nachfolgende Siedlungen frei. Die noch heute andauernden Grabungen, die 4000 Jahre Siedlungsgeschichte abdecken, leitet das Oesterreichische Archäologische Institut. Zahlreiche Kleinfunde sind im Grabungsmuseum ausgestellt, andere stehen im Freien. Man sieht die ganze Anlage durch den Drahtzaun hindurch, wenn man zu einem der von dichten, duftenden Pinienbäumen abgeschirmten Strände oder zu seinem Hotel geht, denn die ruhigen Mittelklassehotels am noerdlichen Ortsrand wie das "Klonos" und das benachbarte "Klonos Anna", das "Nafsika" mit herrlichen Park und einer Aussichtsterrasse über dem Meer oder das "Danai" bieten sich für einen kürzeren wie längeren Aufenthalt an. Von hier aus fussläufig erreichbar ist das Christos-Kapralos-Museum an der Küstenstrasse, das sein beeindruckendes, auf Aegina entstandenes Werk ausstellt.

Die Hauptsehenswürdigkeit Aeginas ist der zwoelf Kilometer oestlich stehende Aphaiatempel (um 500/480 v. Chr.), ein Meisterwerk dorischer Architektur. Er wurde aus heimischem Kalkstein erbaut. Nur die Dachpartien und die Giebelskulpturen bestanden aus Marmor, und zwar aus parischem, der im Altertum nur für Spitzen-Kunstwerke verwendet wurde. Den hervorragend erhaltenen, auf einer Anhoehe thronenden Tempel entdeckte 1811 zufällig der Nürnberger Architekt Carl Haller von Hallerstein. Die lichtweiss gebleichten Giebelskulpturen erwarb 1812 Ludwig I. von Bayern, damals noch Kronprinz. Hallerstein kaufte sie für ihn auf Aegina. Sie bildeten den Grundstock der Sammlungen in der Münchner Glyptothek, die Ludwig im "griechischen Stil" eigens für die "Aegineten" erbauen liess. Adolf Furtwängler leitete ab 1901 die Ausgrabung des Heiligtums.

Zum Tempel fahren mehrmals täglich Busse, deren Endstation Agia Marina ist, das zu schnell gewachsene, reizlose Touristenzentrum Aeginas. Etwa auf halber Strecke halten die Busse an der gewaltigen Kuppelkirche des Agios Nektarios. Er wurde erst 1961 heiliggesprochen und ist damit der jüngste griechisch-orthodoxe Heilige. Im Kloster hinter der Kirche lebte Nektarios bis zu seinem Tod (hat man einen Blick in den kleinen Raum geworfen, den er bewohnte, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob ihm die überdimensionierte Kirche wohl gefallen hätte). Nur 500 Meter weiter erhebt sich der Hügel mit den Resten von Paläochora, der einstigen, um 1800 verlassenen mittelalterlichen Inselhauptstadt, in der noch rund 30 kleine, in verschiedenen Stadien des Verfalls begriffene byzantinische Kirchlein ums Ueberleben kämpfen.

Aegina ist auch für Wanderer interessant, denn es verfügt - was auf griechischen Inseln selten ist - über ein gut markiertes Netz von Wanderpfaden, auf denen man alle Doerfer und Naturschoenheiten zu Fuss erkunden kann. Einer der Wege führt durch duftende Pinienwälder auf und um den Oros herum, mit 532 Metern der hoechste Inselberg. Vom Gipfel hat man eine fantastische Sicht über das Meer. Die schoenste Zeit nicht nur zum Wandern, sondern überhaupt zum Besuch der Insel, sind das Frühjahr oder die Monate September und Oktober. Dann ist der touristische Hochsommertrubel vorüber, das Klima ist viel angenehmer als im Juli und August, es ist immer noch warm genug, um im Meer zu schwimmen und nicht zuletzt wird man überall zuvorkommend bedient. Die Insel ist zu ihrem normalen Alltag zurückgekehrt; alles geht wieder seinen ruhigen Gang.

Die Inseln im Saronischen/Argolischen Golf - Aegina, Poros, Hydra und Spetsä - werden von Fähren und Schnellbooten mehrmals am Tag angelaufen. Alle, ausgenommen das am südlichsten gelegene Spetsä, kann man auch auf einer Tageskreuzfahrt kennenlernen. Athen am nächsten liegt Aegina, das die Hauptstädter als ihren "Vorort" betrachten. Mit dem Schnellboot ist man in nur 35 Minuten dort, das Fährschiff braucht die doppelte Zeit.

Mittwoch, 18. Juni 2014

Griechische Vornamen - im Land der Kostas, Makis und Takis, der Roulas, Toulas und Voulas

Nachdem im neuen Koenigreich Griechenland unter dem Wittelsbacher Otto I. die "reinste Antike wieder auferstanden" war - erhielten "Kreise, Distrikte und Gemeinden die groesstenteils seit Jahrhunderten vergessenen Ortsnamen der Antike zurück, so dass ihre Bewohner sich nun noch mehr mit den alten Hellenen identifizieren und ihr Nationalbewusstsein auch auf diese Weise stärken konnten". Diese Hinwendung zur Antike, die bald in Antikenverehrung mündete, bedeutete auch, dass viele Griechen ihren Kindern - sehr zum Verdruss der orthodoxen Kirche - altgriechische Vornamen gaben. Eingesetzt hatte diese Entwicklung bereits Anfang des 19. Jahrhunderts mit der von Auslandsgriechen (mit dem in Paris lebenden Adamantios Korais an der Spitze) in Gang gebrachten Aufklärungsbewegung, die sich stark am Hellenentum "als Sprach- und Kulturgemeinschaft" orientierte. "Die Griechen führen etwas im Schilde", schwante schon damals Ali Pascha von Epirus, als ihm zugetragen wurde, dass immer mehr kleine Achilleas, Herakles, Perikles und Aristoteles das Land bevoelkerten. Er sollte Recht behalten. Die Namen als Kassandra; sie entwickeln sich nicht unabhängig von der Geschichte und den sozialen Erfahrungen eines Volkes. Unterstützt von einem breiten Philhellenismus, "der ersten europaweiten Protest- und Solidaritätsbewegung", kam es nach mehreren misslungenen Aufständen 1821 zum erfolgreichen Freiheitskampf gegen die fast 400jährige osmanische Fremdherrschaft. Griechenland machte sich auf den Weg zum Nationalstaat.

Die altgriechische Namengebung, in der sicherlich auch das Bewusstsein einer jahrtausendealten grossen Kultur mitschwingt, hat sich bis heute erhalten. Zwar werden in der orthodox geprägten Gesellschaft noch immer zumeist christliche und seltener antike Vornamen vergeben, beide aber tauchen in den nachfolgenden Generationen kontinuierlich auf. Das liegt an der bis heute aufrecht erhaltenen Tradition, den ersten Sohn nach dem Grossvater väterlicherseits und die erste Tochter nach der Grossmutter väterlicherseits zu benennen. Entsprechend vergibt man bei den zweiten Kindern die Namen der Grosseltern mütterlicherseits. Ab dem dritten Kind hat man freie Wahl; oft entscheidet man sich allerdings für die Vornamen der Taufpaten, die in Griechenland lebenslang auch finanzielle Verpflichtungen für ihr Patenkind übernehmen. Die jungen Griechen, es sei denn, sie sind sehr traditionsverhaftet, ordnen sich diesem Brauch nicht mehr so ohne weiteres unter, sondern wählen einen Namen, der ihnen zusagt, meistens aber einen griechischen.

Ein berühmter Grieche, der Tanker-Tycoon "Ari" Onassis, trug gleich drei antike Vornamen: Aristoteles Sokrates Homer. Seine Enkelin Athina wurde nach ihrer Grossmutter benannt.

Listen der beliebtesten Jungen- und Mädchennamen, wie sie in Deutschland jedes Jahr veroeffentlicht werden, gibt es in Griechenland nicht. Wozu auch. Modenamen sind eher selten, und wenn, dann stammen sie gewoehnlich ebenfalls aus der Antike wie in den letzten Jahren Zoi und Danai, aber kaum je aus einem westlichen Land, etwa Frankreich oder dem angloamerikanischen Sprachraum. Kevins und Justins, Chantals und Jacquelines gibt es in Hellas nicht. Die Griechen bleiben bei ihren eigenen Namen, die sich inzwischen auch bei den Deutschen, die deren Bedeutung und zeitlose Schoenheit vielleicht erkannt haben, zunehmender Beliebtheit erfreuen. Jedenfalls trifft man hier neuerdings viele kleine Penelopes, Zoes, Daphnes und andere, es scheint ein neuer Trend zu sein.

Die Griechen lieben Abkürzungen und Akronyme. Gerade auch bei den Namen wird man mit einer Flut von Abkürzungen überschüttet, die den originalen Namen gar nicht mehr erkennen lassen. Bei Mädchennamen trifft man am häufigsten auf die Kurzformen Voula, Roula, Toula, Soula, Koula, hinter denen sich Vasiliki, Xanthippi, Sotiria, Argyro, Paraskevi, Anastasia, Varvara und noch so einige andere Vornamen verbergen, oder auf Litsa, Ritsa, Nitsa, Gitsa und Kitsa, die zum Beispiel für Evangelia, Pagona, Georgia, Virginia und viele weitere Namen stehen.

Die häufigsten Kurzformen bei den Jungennamen sind Makis für Efthimios, Takis, Makis oder Mitsos für Dimitrios, Sakis für Athanasios, Akis für Alexandros. Wer würde hinter Agis Agamemnon vermuten, hinter Dakis Leonidas, hinter Soulis Odysseas und hinter Fotis Theofanis? Der wohl häufigste Vorname aber ist unangefochten Konstantinos bzw. dessen Kurzform Kostas. Ein oft erzählter alter Witz lässt daran keinen Zweifel aufkommen: Ein Grieche sieht auf einer voll besuchten Platia einen Freund und ruft "Hallo Kosta" quer über den Platz. Daraufhin dreht sich mindestens die Hälfte der anwesenden Männer um.

Es gibt noch viele andere männliche und weibliche Kurzformen, belassen wir es hier bei den gebräuchlichsten. Im Kalender der Namenstage, der in den griechischen Zeitungen regelmässig veroeffentlicht wird, tauchen die Voulas und Toulas, die Takis und Makis nicht auf. Da in Hellas die  Namenstage immer noch mehr als die Geburtstage gefeiert werden - obwohl letztere stark aufgeholt haben -, muss man also, um zu gratulieren, die Taufnamen wissen. Aber nicht nur das, die Sache ist komplizierter, denn manche Namen, zum Beispiel Alexandros, Anna, Kosmas, Zara, Zacharias, Loukia, kommen im Kirchenkalender mehrfach vor. Doch jede Person feiert nur einmal im Jahr. Man muss also das auf sie zutreffende Datum herausfinden. Aehnliches gilt für diejenigen, die vor oder nach Ostern Namenstag haben, wie Theodora, Zoi, Jorgos und andere. Ostern ist ein bewegliches Fest und somit sind auch die Daten der Namenstage niemals gleich. "Chronia polla" ("viele Jahre") wünscht man dem Feiernden.

Alle Zitate aus Nikolaos-Komnenos Hlepas, Ein romantisches Abenteuer, in Alexander von Bormann (Hrsg.), Ungleichzeitigkeiten der Europäischen Romantik, Würzburg 2006





Montag, 12. Mai 2014

Meine Hotels in Athen - vom "Nefeli" zum "Electra Palace" und zum "Grande Bretagne"

Wenn ich in Athen bin, wohne ich seit jeher am liebsten mitten im Zentrum, im Areal Sintagmaplatz - Plaka. Das Zentrum der Stadt ist klein und übersichtlich, und man kann von hier aus alle wichtigen Sehenswürdigkeiten bequem zu Fuss erreichen. Ausreisser waren im Laufe der Zeit das (erstklassige) "St. George Lykabettos" in Kolonaki, das (ultramoderne) "Fresh" in der Nähe vom Zentralmarkt sowie einige kleinere einfache Hotels in der Omonia-Gegend. Letztere sind zur Zeit aus Gründen der Sicherheit nicht zu empfehlen. Vor allem die Strassen noerdlich des Omonia-Platzes sollte man abends und nachts meiden, sie gelten als gemeingefährlich. Dann sind hier zwielichtige Gestalten unterwegs, Rauschgiftsüchtige und ihre Dealer, Obdachlose, die in dunklen Hauseingängen vor aufgegebenen Geschäften schlafen, und Kleinkriminelle.

Mein erstes Hotel in Athen war das "Nefeli" (Iperidou/Chatzimichali 2) in der neoklassischen Altstadt Plaka. Sein groesster Pluspunkt ist die Lage. Ruhig und sicher an der Ecke einer autofreien Gasse gelegen, braucht man nur etwa fünf Minuten Fussweg zum Sintagmaplatz und nur wenige Schritte zu der sich durch die ganze Plaka windenden Hauptader Odos Adrianou (Hadrianstrasse). Dort ist man sogleich mitten im Getuemmel der Läden, Tavernen, Cafes und antiken Denkmäler zu Fuessen der Akropolis. Geht man die Adrianou nach links, kommt man zum Nationalgarten, den schattigen Park, den einst Koenigin Amalia anlegte, bzw. in der entgegengesetzten Richtung über die Odos Vironos (Byronstrase) zum Akropolismuseum; biegt man in die Adrianou rechts ein, gelangt man zur Roemischen und zur Antiken Agora, wo sich ein Lokal an das andere reiht. Die Lage des "Nefeli" koennte idealer nicht sein. Weniger ideal und nicht auf der Hoehe der Zeit sind die 18 Zimmer des kleinen Familienhotels, sie sind eng, sehr karg eingerichtet und haben keine Balkone. Die Rezeption ist 24 Stunden besetzt, und die freundlichen und hilfreichen Rezeptionisten sind immer für ein Schwätzchen zu haben.

Absoluter Tiefpunkt ist das Frühstück, das beharrlich den Zeitläuften trotzt: ein Kännchen Kaffee und ein Glas absolut ungeniessbarer "Orangensaft", ein Turm aus trockenen Zwiebacken, schlappes Weissbrot, ein Stück trockener Rührkuchen, ein steinhartes Ei und eine Schmelzkäseecke. Ich nehme es inzwischen mit heiterem Humor, frage mich aber jedes Mal aufs Neue, aus welcher Quelle das Hotel wohl seine Schmelzkäsespezialität bezieht. Sie soll in den fünfziger, sechziger Jahren in Deutschland sehr beliebt gewesen sein, das weiss ich aus Erzählungen; mir ist sie nirgendwo begegnet, nur hier. Dennoch, wenn ich nur ein, zwei Tage in Athen bin, zieht es mich gelegentlich weiterhin in das gute alte "Nefeli". Warum? Vermutlich will ich mich bloss davon überzeugen, dass wenigstens hier noch alles so ist wie es immer war: Die Zeit vergeht, das "Nefeli" bleibt. Jetzt kann ich beruhigt auf meine wunderbaren Inseln fahren, die mich für die erlittene Unbill entschädigen.

Nur eine Strasse weiter, also ebenfalls günstig gelegen, steht an der Odos Nikodimou das beste Hotel der Plaka, das "Electra Palace". In der komfortablen Fünf-Sterne-Unterkunft war ich in den letzten Jahren mehrfach Gast und kann sie uneingeschränkt empfehlen. Sie hat alles, was man von einem Hotel dieser Preisklasse erwartet. Dazu gehoert ein Pool auf dem Dach mit Blick auf die Akropolis, unbestritten einer der schoensten, den man in Athen haben kann. Der Parthenon erscheint zum Greifen nah. Hier hat man die zweitausendfünfhundertjährige Vergangenheit der Stadt in ihrer hoechsten Vollendung vor Augen. Die heutige herzzerreissend jammervolle Architektur-Wüstenei Athen scheint nicht existent, die Schuldenkrise ist ganz weit weg und das unverwüstliche, unzerstoerbare ewige Athen der Antike ganz nah. Das Schoene und das Hässliche liegen in Athen eng beieinander.

Die Zimmer (viele haben Balkone mit Akropolisblick) sind behaglich-elegant eingerichtet, mit Textilien in kräftigen Mustern. Stoffe in oeden Nichtfarben wie Taupe, Mauve und Beige, wie sie heute Mode in den Hotels überall auf der Welt sind, vor allem in den besseren - langweiliges "Ton in Ton" scheint guter Geschmack zu bedeuten - kommen glücklicherweise nicht zum Einsatz. Allein schon das farbenfrohe Design sagt mir: Ich bin in Athen. Und was mitten im städtischen Steinmeer selten ist: Das "Electra Palace" hat ein Gärtchen, eine ruhige grüne Enklave, in der man sich zum Frühstück niederlässt und am Nachmittag zum Tee oder sich von anstrengenden Busexkursionen und obligaten Museumsbesuchen erholt.

Das Personal verstroemt griechische Herzlichkeit, der Barmann in der Halle erkannte mich nach längerer Abwesenheit wieder und begrüsste mich mit einem Glas gut gekühlten Weisswein - selbstverständlich auf Kosten des Hauses. Ich nahm es mit leicht schlechtem Gewissen, denn ich wohnte gar nicht im Hotel, sondern war nur vor einem Regenguss ins Trockene geflüchtet (gelobte aber sogleich im Stillen, das nächste Mal wieder im "Electra" abzusteigen).

Gelitten habe ich in zwei kleinen Plaka-Hotels nahebei, dem "Acropolis House" und dem "Byron". Beide sind nur eingeschränkt oder gar nicht zu empfehlen. Das beste am "Acropolis House" (Odos Kodrou 6) ist sein Aeusseres, die stilvoll restaurierte Fassade des neoklassizistischen Stadthauses. Sie verspricht, was das Hotel nicht einloesen kann. Ebenso wie das nahe "Nefeli" ist es ein Zwei-Sterne-Familienbetrieb, aber individueller. Hier gleicht kein Zimmer dem anderen. Allerdings sind die meisten mit zusammengewürfeltem alten oder besser altmodischem - dunklen - Grossmutter-Mobiliar vom Troedelmarkt ausgestattet bzw. recht voll gestellt, so dass die Räume trotz der schoenen hohen Decken schummrig-düster und keineswegs anheimelnd wirken. Diese Nachteile wiegen auch die Balkone mit Akropolisblick nicht auf, die manche Räume haben.

Vom "Byron" in der Odos Vironos (Byronstrasse), dessen spartanische Zimmer Hostel-Charme haben, ist ganz abzuraten. Da hilft es auch nicht, dass sie Balkon und Akropolisblick haben oder das Hotel nur zwei Minuten vom Akropolismuseum und etwa fünf von der Metrostation Akropolis entfernt ist. Für das wenige, das es bietet, ist es zu teuer, die Zimmer kosten genauso viel wie die in erheblich besseren Hotels. Das karge Frühstück wird in der lieblosen dunklen Lobby im Erdgeschoss serviert, wo an der Theke der mürrische Rezeptionist entweder gelangweilt vor sich hin doest, ins Telefon schreit oder lautstark mit Touristen streitet.

Ein Hotel der Mittelklasse nahe dem Sintagmaplatz ist das "Cypria" in der Diomiasstrase 5, einer Nebenstrasse der Ermou (Hermesstrasse), die sich vom Sintagmaplatz über Monastiraki bis nach Gazi zieht, vorbei an einem Biotop der Stille, dem grossartigen antiken Friedhof Kerameikos. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre im Jahr 2000 dem Metrobau zum Opfer gefallen. Glücklicherweise haben Proteste der Archäologen und Umweltschützer diesen Frevel in letzter Minute noch verhindern koennen. Das "Cypria" ist ein Touristenhotel ohne besondere Merkmale. Aber die Zimmer sind geräumig, manche haben einen Balkon - die meisten allerdings ohne Aussicht, den Blick begrenzen die gegenüberliegenden Häuser - , das Büffetfrühstück (warme und kalte Gerichte) ist ausgezeichnet und die Lage ist bestens, besonders für eilige Touristen. Der Bus zum Flughafen hält direkt am Sintagmaplatz, ebenso die U-Bahn dorthin, und man braucht nur zwei Minuten zu Fuss. Die Zimmerpreise sind vergleichsweise günstig. Es ist unwesentlich teurer als das "Nefeli" und billiger als das "Byron", an dem nur der Name interessant ist.

Das nobelste Hotel Athens ist das berühmte "Grande Bretagne" am Sintagmaplatz. Von meinem Balkon aus blicke ich rechts auf eine Ansammlung von Menschen, die gerade vor dem Parlamentsgebäude demonstriert - man kennt die Bilder aus dem Fernsehen -, links auf den kegelfoermigen Lykabettoshügel im Stadteil Kolonaki, mit 277 Metern die hoechste Erhebung Athens. Einen grandiosen Rundumblick hat man vom Dachgarten, der auch Frühstücksterrasse ist: auf die Akropolis, auf den Athener "Hausberg" Hymettos und über die Dächer von Piräus hinunter aufs Meer, den im Sonnenlicht türkisblau glitzernden Saronischen Golf mit der Insel Salamis, wo 480 v. Chr. die berühmte Seschlacht gegen die Perser stattfand.

Das "GB" ist so alt wie der neugriechische Staat und aufs Engste mit seiner Geschichte verknüpft. Der klassizistische Bau an der Ecke zur Odos Panepistimiou (Universitätsstrasse) war nicht als Grandhotel geplant. Der reiche Triester Kaufmann Dimitriou liess ihn sich 1842/43 von Theophil Hansen, der entscheidend am Stadtbild Athens mitwirkte und später in Wien die prachtvollen Ringpaläste schuf, als Wohnpalais errichten. Nachdem das "Megaron Dimitriou" mehrere Jahre lang Gästehaus des Koenigs war - Otto I. residierte im gleichfalls 1843 fertiggestellten Schloss schräg gegenüber, dem heutigen Parlamentsitz - , beherbergte es 1856-1872 das Franzoesische Archäologische Institut. Danach wurde es zum Hotel umgebaut und 1874 glanzvoll eroeffnet, schon damals unter dem Namen "Grande Bretagne", weil die meisten Gäste britische Beamte und Geschäftsleute waren, die auf dem Weg in die Kolonien hier Station machten. Die Gästeliste ist lang und nennt illustre Namen aus Film, Kunst, Politik und Adel. Die Schriftsteller Hugo von Hofmansthal, Graham Greene, Henry Miller, Heinrich Boell und Truman Capote haben hier gewohnt, die Rothschilds, Krupps, Rockefellers und John F. Kennedy, Maria Callas mit Aristotelis Onassis natürlich, Romy Schneider mit Alain Delon und heute Pop-Groessen wie Sting und Madonna. 2014 nächtigte hier die Rechtsanwältin Amal Clooney, die Griechenland im Fall der Parthenon-Skulpturen vertritt.

Im Zweiten Weltkrieg war das Hotel nacheinander Hauptquartier der griechischen, deutschen und englischen Truppen. Winston Churchill wäre hier Weihnachten 1944 beinahe einem Anschlag zum Opfer gefallen. Erst in letzter Minute wurde der Sprengstoff, mehrere Tonnen Dynamit, der das gesamte Gebäude zerstoert hätte, im Keller und in den unterirdischen Abflussrohren entdeckt. 1951-1953 war es provisorische Unterkunft der deutschen Botschaft, und Adenauer und Heuss schrieben sich ins Gästebuch ein. 1974 regierte Konstantin Karamanlis nach dem Ende der Militärdiktatur von hier aus kurze Zeit das Land, bevor er in den Präsidentenpalast einziehen konnte. Heute bevorzugt noch immer die Politprominenz der Welt das "GB", auch die Mitglieder der verhassten "Troika", wenn sie in Athen kontrollieren, ob das Land auch seine Sparverpflichtungen eingehalten hat.

Vor den Olympischen Spielen 2004 wurde das "GB" für 80 Millionen Euro komplett renoviert. In der luxurioesen, noch von der Pracht des 19. Jahrhunderts kündenden Halle und in den edel moeblierten Zimmern (mit opulenten verschiedenfarbigen Marmorbädern) erwarten den Gast kostbare Antiquitäten - Statuen, Bilder, Gobelins und erlesene alte Teppiche -, ersteigert in internationalen Auktionshäusern. Die Ball- und Empfangssäle im Erdgeschoss bilden den Rahmen für gesellschaftliche Anlässe, Bankette und Galas der Athener Society, die in den drei Restaurants und in "Alexander's Bar" ein- und ausgeht. Auch wer nicht hier wohnt, sollte einen Blick in die Halle wagen oder im "GB Corner" speisen, wo man sehr gut essen kann und gleichzeitig einen Eindruck davon bekommt, wie die Athener Oberschicht lebt.

Mittwoch, 30. April 2014

Koenig Otto von Griechenland und das "Museum der Stadt Athen"

Griechenland hat mehr archäologische und historische Museen als jedes andere europäische Land, ein Hinweis auf sein jahrtausendealtes kulturelles Erbe. Eines davon ist das Koenig-Otto-Haus im Zentrum Athens, das offiziell den nichtssagenden Namen "Museum der Stadt Athen" trägt, wohl weil die Bayernherrschaft, die "Vavarokratia", bis heute bei den Griechen in keinem guten Ansehen steht. Kaum etwas in der Hauptstadt erinnert an den ersten Koenig von Griechenland. Lediglich die Suedbegrenzung des zentralen Sintagmaplatzes, die Odos Othon (Ottostrasse), gerade mal fünf Häuserblocks kurz und als eigenständige Strasse kaum wahrzunehmen, gedenkt seiner. Kein Denkmal ehrt ihn - und das in einem Land, in dem jedes Dorf seine Lokalhelden in pompoes-marmornen Standbildern verewigt.

Dass im Erdgeschoss des ersten Wohnsitzes Ottos ausschliesslich Ansichten zur Stadtgeschichte Athens, meist Gemälde und Drucke aus dem 18. und 19. Jahrhundert sowie das auf dem Entwurf von Eduard Schaubert und Stamatis Kleanthis basierende Stadtmodell zu sehen sind, rechtfertigt den Namen "Stadtmuseum" jedenfalls nicht. Beide Architekten, gute Freunde, hatten bei Karl Friedrich Schinkel an der Berliner Bauakademie studiert und kamen nach 1834, als Athen auf Drängen Ludwigs I. Hauptstadt des neuen griechischen Staates wurde und ein beispielloser Bauboom einsetzte, hierher, um das heruntergekommene, nur noch rund 6000 Einwohner zählende Dorf in eine präsentable Residenzstadt zu verwandeln. In den folgenden Jahren entwickelte sich Athen in eine bildschoene Stadt - mit knapp 27 000 Einwohnern 1840 -, die in schmucken klassizistischen Häusern wohnten. Das änderte sich mit der Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzenden Landflucht und den 1922 aus Kleinasien vertriebenen 1,5 Millionen Griechen ("Kleinasiatische Katastrophe"), von denen die meisten in Athen Zuflucht suchten. Athen wuchs zu schnell und unkontrolliert. Die schoene Architektur wurde ohne Not hemmungslos abgerissen und die Stadt mit hässlichen Wohnblocks ueberzogen. Und viele der Häuser, die den Kahlschlag ueberlebt haben, verfallen heute, weil kein Geld fuer eine Sanierung da ist.

Auf Otto von Wittelsbach, zweitgeborener Sohn Ludwigs I. von Bayern, den die europäischen Grossmächte England, Frankreich und Russland nach dem Ende des Befreiungskrieges vom Osmanischen Reich (1821-29) als ersten Koenig des modernen Griechenland eingesetzt hatten (mit Zustimmung der Griechischen Nationalversammlung im Juli 1832) und der es fast 30 Jahre lang, von 1833 bis 1862, regierte, weist lediglich eine kleine Tafel am Museumseingang hin, noch dazu in griechischen Lettern, die als Information für den Normaltouristen wenig hilfreich sein duerfte und wohl mit ein Grund dafür ist, dass Besucher rar sind - hoechstens 20 sollen es an guten Tagen sein, die sich in aller Ruhe den Sammlungen widmen koennen. Athen hält sich also bedeckt, und man weiss nicht unbedingt, was einen erwartet, wenn man das bescheidene einstoeckige Haus am Klafthmonosplatz betritt noch, was es einmal darstellte, nämlich die erste Residenz des jungen Monarchen in Athen.

Von Bord der britischen Fregatte "Madagaskar" betritt Otto als Siebzehnjähriger am 6. Februar 1833 in der peloponnesischen Hafenstadt Nauplia erstmals griechischen Boden, jubelnd empfangen von der Bevoelkerung, die grosse Hoffnungen in den jungen Koenig setzt. Doch die Realität konnte schlimmer nicht sein: Der minderjährige Monarch und sein dreikoepfiger Regentschaftsrat finden ein von jahrhundertelanger Fremdherrschaft und anschliessendem Buergerkrieg verwüstetes Land sowie anarchische gesellschaftliche Zustände vor. Die finanzielle Situation ist desolat, die wirtschaftliche Lage katastrophal. Der einzige florierende Wirtschaftszweig ist die Piraterie, von der ganze Inseln leben. Aus diesem Chaos ein einigermassen geordnetes Staatswesen zu formen, bedeutete eine Herkulesarbeit, die die Grossmächte wohl nur allzu gerne den Deutschen ueberliessen. Mehrfach stand das finanzschwache junge Koenigreich kurz vor dem Bankrott, auch, weil die Alliierten ihre finanziellen Zusagen nicht einhielten. Ludwig muss einspringen. Er leiht Athen fast zwei Millionen Gulden und bringt sich damit in grosse Schwierigkeiten, weil er den Bayerischen Landtag nicht eingeweiht hat und Otto die Anleihe nicht zurueckzahlen kann.

Die anfängliche Begeisterung schwindet denn auch schnell - auf beiden Seiten. "Die - ohnehin ueberhoehten - Erwartungen einer schnellen Angleichung an die 'fortgeschrittenen Länder des Westens' hatten sich nicht erfuellt." Und Otto hatte, wie wohl die meisten europäischen "Graecomanen" mit Ludwig I. an ihrer Spitze, beeinflusst vom romantisch verklärten Blick eines Winckelmann und Hoelderlin, ganz andere Griechen im Kopf. Dennoch, trotz herber Enttäuschungen blieben er wie auch sein Vater, der Muenchen zu einem Isar-Athen gestaltete, bis an ihr Lebensende ueberzeugte Philhellenen.

Obwohl Otto I. gutwillig war und die besten Absichten fuer ein "neues Hellas", den Eintritt Griechenlands in die Moderne, hatte, machte er Fehler, die nicht geeignet waren, die Barrieren zu den Griechen abzubauen. Zu lange regierte er absolutistisch. Doch der autoritäre Regierungsstil weckte anfangs auch gar keinen Widerstand, weil sich die Griechen durch einen ausländischen Koenig die Unterstuetzung der europäischen Mächte sichern wollten und auf Befriedung im Innern hofften. Erst die Revolte einer konstitutionellen Bewegung im September 1843 bahnte den Weg zur konstitutionellen Monarchie, und im Jahr darauf, im Maerz 1944, gestand der Koenig vom Balkon seines Palastes dem Volk die geforderte Verfassung zu. Seitdem heisst der Platz vor dem Schloss, dem heutigen Parlamentsgebäude, Platia Sintagmatos (Verfassungsplatz). Auf wenig Verständnis stiess auch, dass er und Amalia nicht zum griechisch-orthodoxen Glauben uebertraten. Nachteilig fuer den wackligen Thron des "katholischen Koenigs" war ferner, dass die Ehe kinderlos blieb.

Zweifellos hat Griechenland während der Herrschaft Ottos den Anschluss an Westeuropa gefunden. Die bayerischen Reformer trieben die Modernisierung des Landes voran und schufen eine effektive Verwaltung und Rechtsprechung nach bayerischem Modell, ein Militär-, Medizin- und Bildungswesen; ein auch nur halbwegs funktionierendes Steuersystem zu etablieren, speziell auf dem Lande, gelang jedoch nicht. "Trotz seiner offensichtlichen Organisationsschwäche konnte der junge griechische Staat ... die Schulpflicht im Bildungssystem sowie die Dienstpflicht fuers Militär durchsetzen und damit die ideologisch-kulturelle Homogenisierung der Gesellschaft energisch vorantreiben" konstatiert der Politikwissenschaftler Nikos Hlepas (Wuerzburg 2006). Bereits 1834 wurde das von Wilhelm von Weiler erbaute Militärhospital eroeffnet, 1837 die ("ueberdimensionierte") Ottonische Universität gegruendet, an der anfangs vornehmlich bayerische Professoren lehrten, es folgten die Griechische Nationalbank, die Akademie der Wissenschaften, das Archäologische Nationalmuseum, die Sternwarte, die Augenklinik, mehrere hundert Schulen sowie der Nationalgarten, noch heute die gruene Lunge im Zentrum Athens, das mit Gruenflächen nicht eben gesegnet ist. Einen Grossteil der Kosten trug Ludwig I. von Bayern. Otto versuchte - so Nikos Hlepas - Athen zum "gesamtgriechischen Zentrum fuer Politik, Bildung und Kultur ... zu etablieren. Diese Stadt symbolisierte ferner die erfolgreiche Einverleibung der zunehmend populären Antike in die nationale Identität." Dass die Akropolis erhalten blieb und restauriert wurde - unter Leitung des deutschen Archäologen Ludwig Ross - sowie einige byzantinische Kirchen wie die Kapnikarea in der Ermou-Strasse nicht abgerissen wurden, ist das Verdienst der Wittelsbacher.

Mit seiner Frau Amalia von Oldenburg, die er am 10. November 1836 in Oldenburg geheiratet hatte - die Griechen erfuhren davon erst vier Wochen später aus der Zeitung - wohnte er sieben Jahre lang, zwischen 1836 und 1843, unter sehr beengten Verhältnissen im Vouros-Haus, bis das von Friedrich von Gaertner entworfene fruehklassizistische Schloss, das heutige Parlamentsgebäude am Sintagmaplatz, vollendet war. Den Grundstein legte Ludwig I., der 1835-36 Hellas bereiste.

Ottos erste Residenz hatten die beiden Architekten Gustav Adolph Lüders und Joseph Hoffer 1833 als Privathaus für den Bankier Stamatios Dekozis-Vouros erbaut. Sein Erbe Konstantinos Dekozis-Vouris liess eine Generation später, 1859, das benachbarte Haus als Familiensitz errichten. Es ist mit dem "alten Palast" durch einen Uebergang verbunden und - obwohl ebenfalls Teil des "Museums der Stadt Athen" - als Vouros-Evtaxias-Museum besser bekannt. Das trifft fuer den "Otto-Teil" nicht zu, er existiert nicht als selbständige Einheit, als wäre der Name ein Tabu.

Im ersten Stockwerk sind die - fuenf - Räume so wiedererstanden, wie sie damals waren. Sie sind klein, wohnlich und schlicht, und auch die Einrichtung ist bescheiden. Einer davon ist der "Thronsaal" - eher ein Thronzimmerchen mit einer Art Thronstuhl auf einem erhoehten Podest -, daneben Ottos Arbeitsraum mit Porträts seines Vaters Ludwig I. und seines Grossvaters Maximilian I. sowie einer Kopie der Verfassung von 1843. Das Original befindet sich im Parlamentsgebäude. Auch die Privaträume des Paares gegenueber sind mit den Originalmoebeln ausgestattet, darunter dem Spinett, auf dem Amalia musizierte, und einem Tisch mit Tavli-Spiel, dem typisch griechischen Brettspiel, das der Koenig erlernte. In allen Zimmern hängen Stiche, die Bezug zum Leben ihrer einstigen Bewohner haben.

1862 setzten die Griechen Otto, der immerhin fast dreissig Jahre auf dem Thron sass, ab - auf einem englischen Schiff verliess das Koenigspaar das Land und kehrte nach Bayern zurueck. Fortan lebten die beiden in der fuerstbischoeflichen Residenz in Bamberg. Mit einem kleinen griechischen Hofstaat versuchten sie, ihre Athener Lebensumwelt aufrecht zu erhalten. Offizielle Hofgarderobe waren Trachten aus den verschiedenen Gegenden Griechenlands wie auch die Nationaltracht mit der Fustanella. Die abendliche Konversation erfolgte auschliesslich auf Griechisch, das Otto und Amalia vollendet beherrschten.

Obwohl man ihn ins Exil getrieben hatte, fuehlte sich Otto Griechenland noch immer so verbunden, dass er 1866 mit seiner gesamten Jahresapanage die gegen das tuerkische Joch kämpfenden kretischen Aufständischen unterstuetzte - Kreta gelangte erst 1912/13 an Griechenland. Wie sehr er Griechenland liebte, bezeugen noch seine letzten Worte auf dem Totenbett: "Griechenland, mein Griechenland, mein liebes Griechenland". Mit dieser sehnsuchtsvollen Offenbarung verschied er am 26. Juli 1867. Amalia ueberlebte ihn um acht Jahre. Das Koenigspaar ruht heute in der Fuerstenkrypta der Wittelsbacher in der Theatinerkirche in Muenchen.

Trotz mancher Fehlentwicklungen, entstanden durch gegenseitige Missverständnisse und oftmals unrealistische Ansprueche, trotz innerer wie äusserer Zwänge, dem letztlichen Scheitern der Wittelsbacher Herrschaft, hat Griechenland seinem ersten Koenig und dessen Vater viel zu verdanken. Nicht nur haben sie die institutionellen Grundlagen des modernen griechischen Staates gelegt - Ludwig hatte sich auch "als erster unter den europäischen Koenigen fuer die griechische Unabhängigkeit eingesetzt und den neuen Staat offiziell anerkannt". Er unterstuetzte die Aufständischen bereits 1821, also gleich zu Beginn des Freiheitskampfes, mit allen erdenklichen Mitteln: durch namhafte Geldbeträge aus seinem Privatvermoegen, dann, indem er Freiwillige unter dem bayerischen General Karl von Heydeck nach Hellas entsandte, er Geld- und Lebensmittelspenden fuer die notleidende Bevoelkerung sammelte, Wohltaetigkeitsveranstaltungen organisierte und schliesslich unermuedlich fuer eine breite oeffentliche Anteilnahme am Schicksal der Griechen in Bayern warb. Ausserdem stellte er direkte persoenliche Beziehungen von Athen nach Muenchen her. Junge Griechen besuchten auf Kosten Ludwigs und des bayerischen Philhellenenvereins das Griechische Lyzeum oder die Kadettenanstalt, um mit den hier erworbenen Kenntnissen am Aufbau des jungen Staates mitzuwirken. Viele von ihnen machten später in Hellas Karriere.

Alle diese Leistungen sind nicht hoch genug einzuschätzen. Sie scheinen in Griechenland in Vergessenheit geraten zu sein. Angemessene Anerkennung haben sie dort nicht erfahren.

Eines haben die Bayern den Griechen uebrigens nicht gebracht, auch wenn man das in verschiedenen Veroeffentlichungen immer wieder liest: das Blau-Weiss der griechischen Flagge. Die Farbgebung wurde von der ersten Nationalversammlung bestimmt, die 1822 in Epidaurus zusammentrat. Otto kam erst zehn Jahre später nach Hellas. "Die blaue Fahne mit dem griechisch-orthodoxen Kreuz war ein Gegenbild der roten Fahne mit dem osmanisch-byzantinischen Halbmond, genauso wie der neue griechische Staat in vielerlei Hinsicht ein Gegenstueck zum Osmanischen Reich darstellen sollte" (Nikos Hlepas).

Alle Zitate aus: Nikos Hlepas, Ein romantisches Abenteuer, in: Alexander von Bormann (Hg.), Ungleichzeitigkeiten der Europäischen Romantik, Wuerzburg 206.

Donnerstag, 27. Februar 2014

Bürgerinitiativen und Selbsthilfeprojekte in Athen und Griechenland - die Atenistas

Sechs Jahre Rezession, 27,6 Prozent Arbeitslosigkei (November 2013; mehr als doppelt so hoch bei den bis zu 24-jährigen), hohe Schuldenquote trotz Schuldenschnitts und Krediten der internationalen Geldgeber, eine zugrunde gerichtete Wirtschaft, zehntausende Pleiten, aber keine Investitionen und reales Wachstum in Sicht. Dazu ringen die Griechen mit immer neuen Sparprogrammen: Haushaltskürzungen, Rentenabbau, geschrumpfte Sozialleistungen, Gehälter und Löhne bei gleichzeitig steigenden Steuern und unverändert hohem Preisniveau.

Die Sparmassnahmen treffen vor allem die Mittelschicht, fast jeder ist betroffen, und da das soziale Sicherungssystem kaum der Rede wert ist - es gibt maximal ein Jahr lang Arbeitslosenunterstützung von hoechstens 450 Euro, wovon niemand leben geschweige denn seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann, dazu fliegt man nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit aus der Krankenkasse -, droht der gesellschaftliche Absturz. Griechenland ist das einzige EU-Land ohne jegliche Grundsicherung. Wer noch einen Job hat, lebt in der Angst, ihn zu verlieren oder muss oft für die Hälfte des Lohns arbeiten. Die Menschen sind verunsichert und verzagt, müde vom Protestieren und der ewigen Streiks überdrüssig; sie glauben nicht mehr daran, dass sich die Lage bessert. Eine - gefährliche - Folge der Armut und sozialen Erschütterungen ist das Erstarken neofaschistischer Strömungen wie der rechtsradikalen Chrissi Avgi ("Goldene Morgenröte"), die aus der Misere Nutzen und Zustimmung zieht. Im Aufwind befindet sich auch die euroskeptische Linkspartei Syriza, die Umfragen zufolge bereits vor den Regierungsparteien Nea Dimokratia und der Pasok liegt.

In einem Land, das keine Wohlfahrtsstaatlichkeit kennt und in dem das Vertrauen in die Politik gründlich verloren gegangen ist, ist soziales Engagement wichtiger denn je. Aus dieser Not heraus hat sich 2010 eine Bürgerbewegung gegründet, die den allgemeinen Niedergang nicht mehr hinnehmen wollte. Ausgehend von Athen, griff sie auf das ganze Land über. In der Krise erwachte der in Griechenland bis dahin wenig ausgeprägte Bürgersinn; seitdem ist der Anteil derer, die gemeinnützige Arbeit leisten, rapide gestiegen und nimmt weiter zu. "Wann, wenn nicht jetzt", sagt Ioanna, eine junge Lehrerin, die gerade ihren Job verloren hat und jetzt Kindern unentgeltlich Nachhilfeunterricht erteilt, deren Eltern die Kosten dafür nicht mehr aufbringen koennen. Sie ist eine der "Atenistas", Athener Aktivisten, die sich freiwillig engagieren und ihre Stadt, die sie lieben, zu einem besseren Platz machen wollen; sie kurbeln Projekte und Initiativen auf breiter Ebene an und helfen dort, wo Hilfe gebraucht wird. Jeder bringt seine Begabung ein. Es gibt inzwischen über hundert Untergruppen, die zum Teil miteinander vernetzt sind. Viele der Freiwilligen sind arbeitslos wie Ioanna, wollen aber ihre Freizeit nutzen, um etwas Sinnvolles für ihre Stadt und die Menschen zu leisten. "Ich tu etwas für die Gesellschaft und damit auch für mich selbst; das macht mich glücklich", sagt Ioanna. Diejenigen, die Arbeit haben, treffen sich an den Wochenenden. Auch Ioanna will dabei bleiben, sollte sie wieder einen Job haben.

Ihr erster Einsatz, durch den die Atenistas von sich reden machten, war im Herbst 2010 an der Küste von Neo Faliro bei Athen, wo mehrere hundert Freiwillige den kilometerlangen Sandstrand vom liegengebliebenen Müll der Sommersaison säuberten. Eigentlich die Aufgabe der Kommune, doch auf Unterstützung durch den Staat setzt hier niemand mehr. Es folgten die Kampagnen für ein sauberes Athen. Mit Besen und Schaufeln, Farbeimern und Pinseln rücken die Freiwilligen, die sich über das Internet verständigen, zu ihren Einsatzorten aus. Die liegen in verfallenden Stadtteilen wie Metaxourgio, Viktoria und den heruntergekommenen Strassen um die Platia Vathis, die Brennpunkte der Migration geworden sind, oder in manchen Gegenden in Psirri und um die Patissionstrasse herum. Sie entfernen ausländerfeindliche Grafitti, streichen Klassenzimmer in Schulen, halten Ausschau nach brachliegenden Grundstücken, befreien sie von Müll und Dreck und machen daraus einen Spielplatz oder kleinen Park. Oft hat die Begeisterung, ihre Umgebung zu verschoenern, auch die Anwohner ergriffen - das werten die Atenistas als ihren groessten Erfolg. Sie kommen mit ihren Kindern und wollen beim Pflanzen der Bäumchen selbst mitanpacken oder beim Bemalen der tristen Hauswände, verlotterter Parkbänke und Spielgeräte. Auch aus so manchem der typischen einstoeckigen Häuser haben die Atenistas ein Schmuckkästchen gemacht. Was Begeisterung und ein bisschen Farbe doch bewirken koennen!

Aber die Atenistas schwingen nicht nur Besen und Pinsel für ein sauberes und schoeneres Athen, sie kümmern sich auch um Obdachlose, begleiten alte gebrechliche Menschen, sammeln Kleidung und verteilen Grundnahrungsmittel - Nudeln, Reis, Mehl, Zucker und Olivenoel - an Bedürftige. Doch der Mensch braucht auch geistige Anregungen. Die Atenistas (die Tourgruppe "Polis") organisieren Spaziergänge im historischen Zentrum Athens, durch das Ottonische Athen, das Jüdische Athen oder auch einen "Gang durch das schmackhafte Athen", ein Besuch traditionsreicher Konditoreien, Restaurants, Cafes, Gewürzläden und Kaffeeroestereien. Ausserdem arrangieren sie Besuche von Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen oder - vielfach auf Plätzen unter freiem Himmel - Theateraufführungen, Konzerte, regelmässige Strassenfeste und Partys, um Menschen zusammenzubringen und ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, sie aus ihrer Mutlosigkeit herauszuholen und ihnen zu zeigen, was alles moeglich ist und in welch einzigartiger Stadt sie leben.

Die Atenistas-Bewegung hat sich unter verschiedenen Namen im ganzen Land ausgebreitet: als Tessalonikistas in Thessaloniki, Patristas in Patras, Pirgistas in Pyrgos usw. In manchen Orten fungiert sie einfach als Nachbarschaftshilfe oder als Unterstützung für die Armen in der Krise. So wie der Immobilienmakler Manolis in Parikia auf der Insel Paros handeln jetzt viele: "Ich spiele an den Wochenenden in einer Band. Wir haben beschlossen, die Einnahmen regelmässig den Kindern einer Schule zu spenden, damit sie ein warmes Mittagessen bekommen." Es hat den Anschein, als sei Bewegung in die griechische Gesellschaft gekommen.





Mittwoch, 26. Februar 2014

Ja zu Athen: die "Yes!"-Hotels des Dakis Ioannou

Das fehlte noch in der griechischen Hauptstadt: Hotels, die einem Museumsgänge nicht nur in Athen ersparen, sondern auch in New York, Paris oder Wien. Denn in den von weltbekannten Designern gestalteten Häusern des Dakis Ioannou erwarten den Gast Spitzenwerke der internationalen Künstlerelite, die zuvor in europäischen oder amerikanischen Grossstädten zu sehen waren. Es sind Stücke aus der bedeutenden Kollektion des Industriellen und passionierten Kunstsammlers, die jeden Museumsdirektor vor Neid erblassen lassen.

Das erste seiner inzwischen fünf "Yes!"-Hotels - Yes steht für "young, energetic, seductive" - war das 2004 eroeffnete "Semiramis" in dem wohlhabenden grünen Kifissia, einem noerdlichen Villenviertel, in dem die reichsten Leute, die teuersten Boutiquen und die feinsten Restaurants zu Hause sind. Schon ein Jahr später zählte Conde Nast Traveller es zu den 60 besten Hotels der Welt.

Gestaltet hat die Nobelherberge der berühmte Industriedesigner Karim Rashid, der nach mehreren Jahren Tätigkeit in Italien 1993 sein eigenes Studio in New York eroeffnete. Mit über 40 Preisen und Auszeichnungen bedacht, sind seine Arbeiten in 14 Museen ausgestellt. Seine Kunden sind global, seine Projekte Innenausstattung, Moebel, Lampen, Mode und Kunst. Das "Semiramis" war Rashid's erstes Hotelprojekt. Zusammen mit Dakis Ioannou, der promovierter Architekt ist, schuf er eine Bühne für dessen Kunst in typischem Rashid-Design: knalliges Pink und Orange, Zitronengelb und Grassgrün an Wänden, Boeden, Moebeln und Balkonen, der kongeniale Rahmen für die ausgestellten - teils provokativen - Werke u.a. von dem britischen Künstlerehepaar Tim Noble und Sue Webster, dem Japaner Takashi Murakami oder Ioannous Lieblingskünstler Jeff Koons ("Jeff in the position of Adam"). Die meisten Kunstwerke werden halbjährlich ausgewechselt. In mehr oder minder kräftigen Bonbonfarbtoenungen erstrahlen auch die 51 Zimmer, moeglicherweise etwas schwer auszuhalten bei einem längeren Aufenthalt.

In Kifissia gibt es zwei weitere Yes!-Hotels, die "Kefalari Suites" in einem eleganten Eckgebäude aus dem 19. Jahrhundert und das "Twenty One", das in eine Wassermühle, ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert, integriert ist. Beide Häuser sind topmodern, komfortabel und mit 13 bzw. 16 individuell gestalteten Suiten klein. Ihr gemeinsames Band ist die Kunst. Für das "Twenty One" hat die junge, in New York lebende Künstlerin Georgia Sagri einen das ganze Hotel umfassenden 70 Meter langen farbenfreudigen Gemäldefries geschaffen, der sich, jeweils über die Länge einer ganzen Wand, durch alle Räume zieht.

Die beiden anderen "Yes!"-Hotels stehen im Zentrum Athens: das "Periscope" im Herzen von Kolonaki, am Fusse des Lycabettos, und das "New Hotel", das im Juli 2011 als letztes eroeffnet wurde, nur 200 Meter vom Syntagmaplatz entfernt am Eingang zur Altstadt Plaka. Auch das "Periscope" ist mit seinen 21 minimalistisch eingerichteten Zimmern klein, ein intimes Boutiquehotel. An den Decken sind Fotografien von verschiedenen Vierteln Athens abgedruckt, in manchen Zimmern Luftaufnahmen des Athener Fotografen Nikos Daniilides. Seinen Namen hat das Hotel von einem steuerbaren Periskop auf dem Dach, mit dem man sich einen Ueberblick über ganz Athen verschaffen kann. Mit einem Joystick koennen sich die Gäste einzelne Gegenden oder Sehenswürdigkeiten auswählen, die Bilder werden dann simultan auf einen TV-Schirm in der Lounge im Erdgeschoss übertragen.

Das "New Hotel", das ehemalige "Olympic Palace", 1958 von dem Modernisten Iasonos Rizos erbaut, ist mit seinen 79 Zimmern auch das groesste. Mit der Innengestaltung beauftragte Ioannou die vielfach ausgezeichneten Campana-Brüder, Humberto und Fernando, die u.a. durch ihren aus vielen kleinen Holzstückchen zusammengesetzten "Favela"-Stuhl weltbekannt wurden. Es ist das erste Hotelprojekt des brasilianischen Designer-Duos. Beide schufen einen ungewoehnlichen, aufregenden Ort, in dem brasilianische Handwerkskunst mit dem griechischen Design der fünfziger Jahre eine verblüffende Verbindung eingeht. Die Campana-Brüder zerlegten das noch existente alte Mobiliar und sonstige Ueberbleibsel des Olympic Palace und fertigten daraus neue überraschende Objekte oder rekonstruierten, restaurierten und interpretierten Vorhandenes zeitgemäss, nichts Wichtiges sollte verloren gehen.

In allen 79 Räumen wird der Gast mit drei Themen aus der griechischen Kultur bekannt gemacht. Der erste Raumtyp stellt die traditionsreiche und noch heute beliebte Schattentheaterfigur Karagiozis in allen moeglichen Variationen dar, der zweite widmet sich dem Auge gegen den boesen Blick, einem lokalen Aberglauben, und im dritten lassen alte Postkarten nostalgische Athen-Gefühle aufkommen.

Für Design-Liebhaber sind alle fünf Häuser, so verschieden sie sind, ein Non-plus-ultra. Die Preise bewegen sich im Rahmen vergleichbarer Hotels oder sind sogar niedriger.



Mittwoch, 12. Februar 2014

Apodiksi parakalo 2013 - Steuerhinterziehung in Griechenland

"Wer keine Quittung bekommen hat, muss auch nicht bezahlen". Solche Aufkleber - auf Griechisch und Englisch - sieht man neuerdings in Läden, Hotels und gastronomischen Betrieben. Diese im Dezember 2012 von der Regierung beschlossene und am 12. Januar 2013 in Kraft getretene Verordnung fordert eine Selbstverständlichkeit ein, nämlich dem Kunden unaufgefordert eine Rechnung auszustellen.

Allerdings scheint die Verordnung noch nicht überall angekommen zu sein. Die Steuermoral in Hellas, dem von der Schuldenkrise am schwersten betroffenen Land, ist weiterhin lax und zwar auf breiter Basis. Auf meiner sechswoechigen Reise im Herbst 2013 nach Athen, Kreta und auf mehrere Inseln habe ich jedenfalls häufig erst auf Nachfrage einen Beleg bekommen. Speziell in den kleineren Orten auf Kreta scheinen die Tavernenbesitzer von der neuen Verordnung nichts zu wissen oder sie schlichtweg zu ignorieren. So gab sich in dem Anfang Oktober wegen eines Festivals noch sehr gut besuchten Badeort Matala der Kellner hoechst erstaunt, als wir nach einem opulenten Abendessen zu viert sein handgeschriebenes Zettelchen nicht akzeptieren wollten, sondern eine Rechnung verlangten. Mehrfaches Mahnen half nicht, wir bekamen erneut einen Zettel und dann noch einen, statt der vorherigen Hieroglyphen diesmal in Schoenschrift. Die Hartnäckigkeit des Kellners, sich in Nichtverstehen zu üben, stachelte unsere Hartnäckigkeit an und wir verlangten nach der Chefin, die zwar anfangs ebenfalls nicht verstehen wollte, dann aber doch - nach kurzem Disput - die Rechnung brachte. Auch an den anderen vollbesetzten Tischen wurden nur handgeschriebene Zettelchen verteilt, was die Gäste leider nicht monierten. Wir hatten uns als einzige unbeliebt gemacht. Einen ordnungsgemässen Beleg auszustellen, schien uns hier eine nur selten geübte Praxis zu sein.

Aehnliches, wenn auch nicht so extrem, erlebten wir auf einigen Kykladeninseln. Die Gastronomie ist noch immer die Sparte, der es leicht gemacht wird, Steuern zu hinterziehen. Ich hatte nicht den Eindruck, als würde sich jemand wegen moeglicher Kontrollen und Strafen Sorgen machen. Das muss auch niemand, weil dem Finanzministerium die Mittel fehlen, mehr Steuerfahnder einzustellen und die Kontrollen bereits um 22 Uhr enden.

Auf mangelndes Bewusstsein lässt auch die Klage einer - deutschen - Galeristin schliessen, die wortreich ihren rückläufigen Gewinn beklagte. "Die Griechen fallen als Käufer fast ganz aus. Sie haben kein Geld mehr für Kunst. Und die Touristen zahlen alle mit Kreditkarte", das heisst, es fliesst kein Bargeld mehr in die Kasse, das sich an der Steuer vorbeischleusen liesse. Kalliopi, die freundliche und hilfsbereite Vermieterin meines Studios auf Santorin, erregte sich über die in grossem Rahmen praktizierte Steuerhinterziehung und das Versagen des Staates. "Die Infrastruktur ist schlecht. Die Schulen sind so miserabel, dass unsere Kinder teuren Privatunterricht brauchen, um die Prüfungen zu bestehen. Die Gesundheitsversorgung wird immer schlechter und teurer, und die Reichen kommen wieder einmal ungeschoren davon." Damit hat sie recht, und ich stimmte ihr vorbehaltlos zu, war aber gleichzeitig etwas verwundert darüber, dass sie nicht auf die Idee kam, mir eine Rechnung über meinen achttägigen Aufenthalt auszustellen. Nikos auf Naxos begründete sein Verhalten an der Steuer vorbei mit entwaffnender Offenheit damit, er habe für seine drei (!) Pensionen noch Kredite abzuzahlen. "Alle kleinen Hotelbesitzer machen das so. Das sind meine Konkurrenten. Wem wuerde es nuetzen, wenn wir unsere Hotels verloeren und die Angestellten den Job?" Und: "Warum soll ich ehrlich sein, wenn es die Reichen nicht sind." Das hoert man oft.

Gute Erfahrungen machten wir auf Hydra und Poros, den Inseln nahe bei Athen, und auch in Athen selbst. Die Besitzerin des kleinen Traditionshotels "Sophia" bestand darauf, uns die Rechnung auszustellen, obwohl wir darauf verzichten wollten, weil wir fast unser Schiff nach Poros versäumt hätten. Sie telefonierte mit dem Schnellboot, um unser etwas verspätetes Erscheinen anzukündigen. In unserem Hotel "Manessi" auf Poros hing die Plakette neben der Kasse. Die Eigentümerin sagte uns, dass die Betriebe, die schon immer steuerehrlich waren, auch jetzt kein Problem mit der Plakette hätten. In Athen wurde uns lediglich in einem Restaurant unterhalb der Akropolis die Rechnung vorenthalten: "Die Kasse ist leider gerade kaputt", eine häufig gebrauchte Ausrede.

Steuerhinterziehung ist noch immer eines der gravierendsten Probleme Griechenlands. Dem Staat entgehen auf diese Weise Milliardenbeträge, wenigstens zehn Milliarden Euro sollen es jedes Jahr sein, schätzen die Finanzbehoerden. "Damit betrügen sie den Staat dreifach" sagte das Finanzministerium der Nachrichtenagentur dpa. "Erstens verheimlichen sie den Umsatz. Dann kassieren sie die Mehrwertsteuer. Drittens führen sie diese nicht an das Finanzamt ab, sondern stecken sie in die eigene Tasche." Das Inkrafttreten neuer Vorschriften wird 2014 erwartet, nachdem ein Rückgang insbesondere bei der Mehrwertsteuer festzustellen war.





Sonntag, 9. Februar 2014

Fix-Bier. Die erste Brauerei Griechenlands

Das im Jahr 2000 gegründete Nationalmuseum für zeitgenoessische Kunst erhält nach jahrelanger provisorischer Unterbringung endlich sein permanentes Haus. Es wird im Sommer 2014 in das Gebäude der ehemaligen Fix-Brauerei an der Syngrou-Strasse einziehen. Der von dem Modernisten Takis Zenetos (1926-77), einem der tonangebenden Nachkriegsarchitekten, 1957 erbaute monumentale Riegel sollte in den neunziger Jahren im Zuge des Metrobaus einem Parkhaus weichen. Zwei Drittel des Gebäudes waren schon abgerissen, als eine Zenetos-Bürgerinitiative die weitere Demolierung stoppte. In den folgenden Jahren wurde viel über die zukünftige Nutzung des Restbaus diskutiert, und zahlreiche Vorschläge wurden unterbreitet, bis der Eigentümer Attiko Metro schliesslich einen 50jährigen Mietvertrag mit dem Zeitgenoessischen Museum schloss. Es ist mit oeffentlichen Verkehrsmitteln schnell zu erreichen, denn die Metrostation "Syngrou - Fix" befindet sich auf demselben Gelände.

Die Geschichte des Unternehmens Fix, bis Mitte des 20. Jahrhunderts die einzige Grossbrauerei Griechenlands und über Generationen hinweg in Familienbesitz, liest sich als Erfolgsgeschichte. Sie nahm ihren Anfang im Jahr 1833, als der erst 17 Jahre alte bayerische Koenigssohn Otto im Hafen von Nauplia, Griechenlands erster Hauptstadt, landete, nachdem die drei Schutzmächte Russland, Grossbritannien und Frankreich den Wittelsbacher 1832 als ersten Koenig des jungen neugriechischen Staates eingesetzt hatten. Mit dem jugendlichen Monarchen kamen viele Deutsche ins Land: Ausser dem dreikoepfigen Regentschaftsrat - Otto I. war noch nicht volljährig -und 3545 bayerischen Soldaten folgten ihm mehrere tausend Wissenschaftler, Beamte, Architekten, Ingenieure und Handwerker, die vor der schwierigen Aufgabe standen, in dem vom Befreiungskrieg zerrütteten Land, in dem chaotische gesellschaftliche Zustände herrschten, eine funktionierende Verwaltung und ein stabiles Justiz-, Bildungs- und Gesundheitswesen nach westeuropäischem Vorbild, kurz: einen modernen Staat, aufzubauen.

Montag, 3. Februar 2014

Zeitgenössische Kunst in Athen - die Sammlungen von Dakis Ioannou, Dimitris Daskalopoulos und George Economou

Endlich, im Jahr 2000, bekam auch Athen ein Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst (EMST), aber leider kein festes Haus. Seitdem wandert es von einem Provisorium ins nächste, zur Zeit ist es im Konservatorium in der Rigilisstrasse in Kolonaki untergebracht. Sein zukünftiges Heim, die alte Fix-Brauerei am Leoforos Syngrou, soll nach langjährigem Umbau im Sommer 2014 soweit fertiggestellt sein, dass es die alle neuen Kunstrichtungen abdeckenden Sammlungen aufnehmen kann; Schwerpunkt sind die Werke führender griechischer Künstler. In einem Land, dessen Kulturpolitik kein Geld hat und für Zeitgenösssisches schon gar nicht, sind Privatinitiativen umso wichtiger, trotz aller Konflikte und ungelösten Fragen, die daraus resultieren. Private Aktivitäten nützen Athen und machen es attraktiver. Sie haben das Kunstleben überhaupt erst in Bewegung gebracht und eine Brücke zu den internationalen Entwicklungen geschaffen.

Naturgemäss verlässt sich die griechische Metropole hauptsächlich auf ihr einzigartiges antikes Erbe - allenfalls noch auf Byzanz - , wer fährt schon eigens nach Athen, um eine Ausstellung von Martin Kippenberger oder Rosemarie Trockel zu besuchen. Aber jeder wird auf die Akropolis steigen, das grossartige neue Akropolis-und das unvergleichliche Archäologische Nationalmuseum besichtigen sowie die vielen ähnlich bedeutenden Sammlungen und antiken Stätten, die von der vergangenen Grösse zeugen, auf die der Grieche so stolz ist und aus der er noch heute sein Selbstgefühl schöpft. Die Fussgängerzonen - der "archäologische Park" - haben die Ausgrabungsstätten einander noch näher gebracht und Athens Verbindung mit seiner antiken Vergangenheit weiter gefestigt. Sie sind Teil des Alltags. Ob man nun mit der Metro mitten durch die antike Agora fährt, in den Tavernen am Römischen Marktplatz zu Abend isst oder in den Strassen unvermittelt über mehr als 2000 Jahre alte Säulen, Thermen und Häuser spaziert, die von Glasböden geschützt sind - die Antike begleitet einen auf Schritt und Tritt. Wo gibt es Vergleichbares auf der Welt?

Durch den stets präsenten Einfluss einer jahrtausendealten Kultur haben die Griechen erst spät begonnen, sich für Gegenwartskunst zu interessieren. Und da die öffentlichen Kassen leer sind - selbst die antiken Hinterlassenschaften zu finanzieren, stellt schon einen erheblichen Kraftakt für das gebeutelte Land dar -, ist Athen mehr als andere europäische Städte, auf denen keine solche Bürde lastet, auf private Stifter angewiesen. Den Anfang machte in den achtziger Jahren der in Athen lebende Industrielle Dakis Ioannou mit seiner Deste Foundation zur Förderung der griechischen Kunst und Kultur, eine Einrichtung, die aus Athen nicht mehr wegzudenken ist. Ioannou besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst weltweit, darunter die grösste Kollektion des Pop-Artisten Jeff Koons. Alle nennenswerten Stars am Kunsthimmel sind mit Spitzenwerken vertreten, um die ihn ein jedes Museum beneidet. Im Focus stehen die amerikanische und die britische Kunst der letzten drei Jahrzehnte, zum Beispiel Vanessa Beecroft, Jenny Holzer, Mike Kelley, Kara Walker, Christopher Wool, Paul McCarthy, Chris Ofili und Anish Kapoor. Unter den deutschen Künstlern findet man u.a. Martin Kippenberger, Andreas Gursky, Rosemarie Trockel. Weniger vertreten sind die Griechen, hier scheinen ihm die jungen Video-Künstler Lina Theodorou und Nikos Navridis sowie der 1964 in Athen geborene Miltos Manetas zu gefallen. Manetas ist Maler, Video- und Netzkünstler, er lebt in London.

Die Deste-Stiftung gründete Ioannou schon 1983, mit seiner Sammlertätigkeit begann der er erst einige Jahre später (sein erster Kauf war übrigens ein Koons). Seit 2006 hat sie ihren Sitz in dem Athener Industrieviertel Nea Ionia. Dort liess er eine stillgelegte Strumpffabrik zu einem grosszügigen modernen Ausstellungsgelände umbauen, mit ungewöhnlich angeordneten Räumen über mehrere Etagen, die seine Werke aus allen Sparten der Kunst optimal zur Geltung bringen. Die Ausstellungen hier stellen jedes Mal einen Höhepunkt im Athener Kulturleben dar.

2009 liess Ioannou mit der Deste-Dependance auf der Insel Hydra einen weiteren Glanzpunkt folgen. Eingeweiht wurde sie mit "Blood of Two", einer Performance und Ausstellung von Elizabeth Peyton und Matthew Barney. Zur Eröffnungsparty reiste der internationale Kunst-Jetset an, die grosse Kunstfamilie, die Ioannou um sich geschart hat: Künstler, Kuratoren, Museumsdirektoren, Händler und Sammler - nur allzu bereit, dem Ruf Ioannous zu folgen und das sommerliche Spektakel zu geniessen. Man kennt sich, man trifft sich, man feiert sich. (Die Ausstellungen dauern jeweils von Juni bis Ende September.)

Seine beiden Deste-Häuser und die 2009 eingegangene Kooperation mit dem Kykladenmuseum Athen scheinen Ioannou noch nicht zu genügen. Der unermüdliche "King of Art", wie er auch genannt wird - der Milliardär ist Treuhänder der Guggenheim Foundation, des New Museum of Contemporary Art in New York und des Museum of Contemporary Art Los Angeles - will noch mehr Schwung in Athens Kunstszene bringen. So realisiert die Deste-Stiftung seit 2014 Projekte zusammen mit dem Benaki-Museum, auch um dem selbstgesetzten Anspruch näher zu kommen, eine breite Öffentlichkeit für die neuesten Entwicklungen in der Kunst zu interessieren. Die erste Schau, mit Werken des Georgiers Andro Wekua, findet im Februar und März 2014 statt, eine Gruppenausstellung ist für den Sommer geplant.

Nach dem Vorbild des Turner-Preises richtete Ioannou 1999 den mit 10 000 Euro dotierten Deste-Preis ein, der alle zwei Jahre einen griechischen Künstler auszeichnet. Die Werke der für den Preis - von einer jeweils international hochkarätig besetzten Jury - Nominierten, die "Shortlist", werden über einen Zeitraum von fünf Monaten jeweils im Kykladenmuseum ausgestellt. Ziel ist es, die junge aufstrebende Generation zu fördern und bekannt zu machen, ihr eine Plattform zu schaffen, und gleichzeitig die Athener an die Zeitgenossen heranzuführen. Beides scheint zu gelingen. Die Deste-Preis-Teilnehmer haben Erfolg. So gestaltete beispielsweise Stefanos Tsivopoulos den griechischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2013 und erhielt dafür viel Lob. Deanna Maganias schuf das Athener Holocaust-Denkmal, das ebenfalls viel Anerkennung findet. Und auch bei den Athenern, die sich mit der Moderne so schwer tun, stösst die "Deste Prize Exhibition" mehr und mehr auf Interesse.

Ein weiterer weltweit bedeutender Privatsammler und Förderer zeitgenössischer Kunst ist Dimitris Daskalopoulos, ein in Athen ansässiger milliardenschwerer Unternehmer (ihm gehört die Investment-Gesellschaft DAMMA Holdings SA), Präsident des Hellenischen Unternehmerverbandes, Guggenheim-Treuhänder und Aufsichtsrat der Tate London. Daskalopoulos begann vor rund 25 Jahren Kunst zu sammeln. Seine Vorliebe gilt der Skulptur und grossen raumgreifenden Installationen sowie Film und Video; sie nehmen einen besonderen Stellenwert in seiner Kollektion ein. Er besitzt wichtige Arbeiten u.a. von Louise Bourgeois, Robert Gober, Damien Hirst, Paul McCarthy, Matthew Barney, Marina Abramowitsch, Kiki Smith, Martin Kippenberger. Dass er grossteils dieselben Künstler wie Ioannou sammelt, kann nicht wirklich überraschen. Beide greifen nach der angesagten Elite, und die ist klein. Daskalopoulos verleiht - ebenso wie Ioannou - seit Jahren Werke aus seiner Kollektion an Museen in Europa und den USA, stellt aber auch an verschiedenen Standorten in Athen aus. Derzeit ist er auf der Suche nach einem permanenten Heim für seine Sammlung.

Im Sommer 2013 gründete er in Athen die Neon Foundation, eine Organisation "ohne Mauern". Ähnlich wie Deste peilt sie eine grössere örtliche Reichweite an. Sie will dazu beitragen, die Erziehung in den Künsten in Griechenland zu fördern und das Kunstverständnis zu erweitern, ferner ebenfalls für eine weite Verbreitung in der Bevölkerung, vor allem der jüngeren Generation, zu sorgen und sie mit neuen Strömungen bekannt zu machen. Daskalopoulos will das allmählich zwar wachsende, aber immer noch vergleichsweise geringe öffentliche Bewusstsein für die Gegenwartskunst wecken. Sie soll nicht länger nur einer Elite zugänglich sein. Neon arbeitet sehr aktiv mit kulturellen Organisationen zusammen und unterstützt private wie öffentliche Einrichtungen. So realisierte die Stiftung im Sommer 2013 die "Heart of Darkness"-Exposition in der Piräos 260 und im Herbst 2013 eine grosse Ausstellung zum 60. Geburtstag von Martin Kippenberger im Athener Kykladenmuseum. Es war die erste Einzelschau Kippenbergers in einem griechischen Museum überhaupt. Sie war so erfolgreich, dass sie verlängert werden musste. Ein anderes grosses Projekt und besonderes Anliegen ist ihm die "Kunst im öffentlichen Raum". So organisierte er 2014 eine Ausstellung von Bronzefiguren von Juan Munoz im Garten der Gennadios-Bibliothek. Seine Idee, den Athener Nationalgarten als Ausstellungsgelände für Skulpturen zeitgenössischer Künstler zu nutzen, wird von der Athener Verwaltung bislang blockiert.

50 000 Euro spendierte Daskalopoulos 2013 dem darbenden Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst, damit es auf der Londoner Frieze Graphiken erwerben konnte, um einige seiner Sammlungen zu ergänzen. Diese bescheidene Summe lässt Rückschlüsse auf das karge Budget des Museums für Ankäufe zu. Ausserdem unterstuetzt er das notleidende Museum durch einen Fonds. Für sein Engagement wurde ihm 2014 der Leo Award verliehen, ein nach dem berühmten New Yorker Kunsthändler Leo Castelli benannter Kunstpreis, der alljährlich vom Independant Curators International für besondere Verdienste in der Gegenwartskunst vergeben wird.

Ein weiterer Grossammler ist George Economou. Er gab sein Debüt 2012 in der Kommunalen Galerie Athen in dem aufstrebenden Galerienviertel Metaxourgio. Die Ausstellung sorgte für Besucherrekorde. Ein ständiges Zuhause für seine Werke ist geplant. Entwürfe für einen Museumsbau liegen vor, sind aber derzeit zurückgestellt.

Insgesamt umfasst die Sammlung des Reeders, der erst vor etwa zehn Jahren zur Kunst fand, beeindruckende 2000 Werke vor allem gegenständlicher Malerei. Economou verfolgt einen sehr breiten Ansatz, der von prächtigen Altmeistergemälden bis zu den Zeitgenossen reicht. Besonders die deutsche und österreichische Kunst des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es ihm angetan. Darunter sind viele spannende und reizvolle Werke, z.B. die lebensgrossen "Mondfrauen" aus dem Jahr 1930 von Otto Rudolf Schatz und das Porträt des Picasso-Händlers Daniel-Henry Kahnweiler aus dem Jahr 1925 von Ludwig Bock. Zunehmend findet sich auch Zeitgenössisches in seiner Kollektion, darunter einiges von Kippenberger, Daniel Spoerri und Bridget Riley sowie eine ansehnliche Auswahl an Jannis-Kounellis-Aquarellen.

Economou zeigt sich deutschen Museen gegenüber sehr spendabel. So überliess er kürzlich der Staatlichen Graphischen Sammlung in München als Leihgabe für zunächst zehn Jahre 500 Dix-Grafiken, die er von dem Berliner Händler Florian Karsch erworben hat. 2011 richtete er der Hamburger Kunsthalle das nach ihm benannte Cafe ein. Da Economou weniger bekannte Künstler favorisiert und in Marktnischen investiert, halten sich die Kosten in Grenzen. Verglichen mit Ioannou, Daskalopoulos und dem in der Öffentlichkeit weniger in Erscheinung tretenden Schiffsmagnaten Dinos Martinos, die nur die zeitgenössischen Stars nachfragen, spielt er in der zweiten Liga.

So wichtig die privaten Stiftungen für Athen auch sind, so sind ihre Aktivitäten doch nicht ganz unproblematisch und werfen einige Fragen auf. Nicht nur in Griechenland haben die öffentlichen Museen kaum noch die Mittel, um auf dem internationalen Kunstmarkt zu agieren. Die Kulturbudgets schrumpfen, die Preise für Kunst erreichen groteske Höhen. Das Wachstum wird von den neuen Superreichen, die reicher sind als je zuvor, noch angeheizt. Sie kaufen Werke der international gefragtesten Zeitgenossen zu jedem Preis, eine Grenze nach oben scheint es nicht zu geben. Das Geld hat den Kunstmarkt von Grund auf verändert. Kunst ist zum Statussymbol und gewinnversprechenden Investment geworden. Da Museen und Galerien immer weniger in der Lage sind, grössere Objekte zu erwerben oder auch nur attraktive Ausstellungen auf die Beine zu stellen, sind sie auf die Unterstützung der "Mäzene" angewiesen und damit auf deren Entgegenkommen als Leihgeber und Finanzier. Ob, wann und welche Werke gezeigt werden, kann von einer einzelnen Privatperson abhängen. Sie bestimmt und kontrolliert, was die Öffentlichkeit zu sehen bekommt und nimmt damit Einfluss auf den Kunstbetrieb. Gleichzeitig erhöht sie den Wert der eigenen Sammlung, besonders dann, wenn sie in renommierten Museen ausgestellt wird wie 2010 die von Dakis Ioannou im New Museum of Contemporary Art in New York, an dem er Treuhänder ist und Jeff Koons hier als Kurator sein Debut für seinen Freund Dakis gab. Ähnliches trifft für die Ausstellung "Der leuchtende Intervall" zu, die erste grosse Präsentation von Werken aus der Dimitris-Daskalopoulos-Collection, die 2011 im Guggenheim Bilbao zu sehen war, an dem Daskalopoulos Treuhänder ist. Alle diese Vorgehensweisen sorgen dafür, dass der Kunstmarkt stetig wächst und immer globaler wird, was auch heisst, dass die Preise weiterhin steigen dürften. Die Athener Kulturlandschaft, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt, ist jedenfalls für kunstinteressierte Touristen noch interessanter geworden. Es lohnt sich, den Ausstellungskalender zu studieren.