Samstag, 20. Februar 2016

Alexis Akrithakis und Fofi's Estiatorion in Berlin

Jedes Mal,wenn ich ins "Cassambalis" essen gehe, fühle ich mich an Fofi's Estiatorion erinnert. Fofi war wohl die bekannteste Griechin in Berlin, ihr Restaurant eine Berliner Institution, genauer: eine Westberliner Institution, denn in jenen Jahren war die Stadt noch geteilt.

Fofi und ihr Ehemann Alexis Akrithakis kamen 1969 nach Berlin, Alexis als Stipendiat des Künstlerprogramms des DAAD (von dem auch 1973 bzw. 1977 Vlassis Caniaris und Jannis Psychopedis eingeladen wurden). Das Klima in Berlin war damals vor dem Hintergrund der politischen Situation in Hellas sehr Griechenfreundlich, speziell in den siebziger Jahren, und die vor der Athener Militärdiktatur aus ihrer Heimat geflohenen Intellektuellen, Studenten und Künstler wurden überaus herzlich aufgenommen. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gingen viele zunächst in die Gastronomie und kellnerten oder eröffneten Restaurants, die meisten mitten im Zentrum West-Berlins und das war Charlottenburg.

Auch Fofi arbeitete anfangs in mehreren Tavernen, darunter in dem berühmten "Exil" in Kreuzberg und ab 1972 in dem Szene-Lokal "AxBax" (eigentlich "AchWach", aber für die Berliner war das griechische ch ein x und das vita ein B) der beiden Österreicher Oswald Wiener und Michel Würthle ("Paris Bar"), bis sie 1976 - zusammen mit Costas Cassambalis - ihr eigenes Restaurant eröffnete. Sie gab ihm den schlichten Namen "Estiatorion", das griechische Wort für Restaurant. Aber niemand nannte es so. Man sagte "Ich geh ins Fofi's", wenn man sich im "Estiatorion" in der Fasanenstraße traf. Vom ersten Tag an ein Erfolg, versammelte sich hier regelmäßig die Künstler-, Literaten- und Intellektuellenszene Berlins; jeder kannte jeden. Heiner Müller, Thomas Brasch, Luc Bondy, Peter Stein und seine Schaubühnen-Stars, Markus Lüpertz, der Komponist Wolfgang Rihm, der Prominentenmaler Reinhold Timm, der um die Ecke, in der Meinekestraße, wohnte und mindestens ein Porträt von Fofi anfertigte, und Jannis Psychopedis waren Stammgäste, Jannis Kounellis schaute vorbei, wenn er in Berlin war und da das Estiatorion weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war, fanden auch viele internationale Prominente den Weg zu Fofi, etwa Robert Rauschenberg, Takis, Ed Kienholz oder Robert de Niro.

Zwanzig Jahre lang lief das Geschäft glänzend, bis Fofi ihre Räume 1996 an Cartier verkaufte und ein neues Restaurant in Berlin-Mitte, dem ehemaligen Ostteil der Stadt, eröffnete. Ihre Stammgäste aus dem "alten Westen" waren älter geworden und scheuten den weiten Weg, in der neuen fremden Umgebung mußte sie sich erst einen Namen machen, und schließlich hatte sich nach dem Mauerfall die Situation insgesamt verändert. Und dann gab es ja das "Cassambalis". 1997 gab sie auf und kehrte zurück in ihre Heimatstadt Athen.

Alexis Akrithakis hatte Berlin bereits 1984, nach fünfzehn Jahren Aufenthalt, verlassen; hier verbrachte er einige seiner produktivsten Jahre. Anfang der neunziger Jahre ging es mit seiner Gesundheit rapide bergab und nach wiederholten Krisen und Krankenhausaufenthalten starb er am 19. September 1994 im Alter von 55 Jahren in Athen. Akrithakis gilt als einer der bedeutendsten griechischen Künstler des 20. Jahrhunderts, er war von entscheidender Bedeutung für die zeitgenössische Kunst. (Beispielsweise weisen manche Bilder von Keith Haring Ähnlichkeiten mit Akrithakis auf, etwa mit dem "Spielmann" von 1969.) Seine Malereien sind poetische und detailreiche Bilder in leuchtenden Farben, voller Codes und Symbole in allen möglichen Formen und Variationen wie Vögel, kleine Flugzeuge und Fahrräder, Blumen, Herzen, Pfeile, die in verschiedene Richtungen zeigen, und immer wieder Koffer, vielleicht ein Wunschbild für Erinnerungen oder für ein in die Welt hinausgehen. Schöner als der Galerist Folker Skulima kann man seinen Mikrokosmos nicht in Worte fassen: "Der besessene Maler-Dichter entwickelte seine Bildsprache wie ein nur ihm gehörendes Alphabet: Verwurzelung und Universales in einer seltsam eindringlichen Mischung. Was er auf seinen Griechenlandreisen am Straßenrand aufsammelte oder an den Stränden fand, das waren 'arme' Materialien: angeschwemmte Hölzer, Plankenteile von Schiffswracks. Er schuf daraus wunderbar leuchtende Reliefs. Ein mediterraner Liebender hat das Weggeworfene, Angeschwemmte verzaubert. In diesen Reliefs brachte Akrithakis Mythos und Materie ins Gleichgewicht."

2003 widmete die Berliner Neue Nationalgalerie Akrithakis eine Ausstellung, die Folker Skulima kuratierte: "Alexis Akrithakis ist auf dem Weg zum Klassiker zu werden - er hätte es sich nicht träumen lassen". Da hat er wohl Recht. Schade, daß er das nicht mehr erlebt hat. Viele Ausstellungen folgten, u.a. 2008 und 2010 bei Kalfayan in Athen, 2011 bei Faggionato Fine Art in London, und 2013 "Fofi's Berlin - Fofi Akrithaki's Berlin: 1969-1997", Makedonian Museum of Contemporary Art (Museum Alex Mylona). Hier war auch Alexis Akrithakis berühmte Installation "Bar" zu sehen, als ein Platz, an dem Menschen sich treffen, die zuerst - 1981 - die Athener Galerie Bernier zeigte und 2010 die Galerie Kalfayan.

Noch bis zum 29. Februar 2016 ist die Ausstellung "Flying over the Abyss" im Contemporary Art Center of Saloniki und bis zum 5. März 2016 "Propositions. For a History of the Artistic Avantgarde" im State Museum of Contemporary Art, ebenfalls in Saloniki, zu sehen.

Montag, 1. Februar 2016

Küsten in Hellas. Demokratische Strände und Privatisierung

Mit seinen über dreitausend Inseln und Inselchen hat Griechenland eine Küstenlinie von knapp 14 000 Kilometer Länge, wovon rund 2500 Kilometer touristisch genutzt werden. Neben der Antike ist die Küste die wichtigste Ressource, das größte Pfund, mit dem der griechische Tourismus, der einzige Wirtschaftszweig mit Wachstumspotential, wuchern kann.

Alle Strände in Hellas sind öffentlich, das heißt, es gibt keine Privatstrände. Auch diejenigen der Hotels müssen für jedermann zugänglich sein. Selbst wenn die Hotels gerne mit "Privatstrand" werben, trifft das formal nicht zu. Es mag bedeuten, daß man möglicherweise einen Umweg gehen muß, um ihn zu erreichen, aber niemand darf den Zutritt verwehren. Der Zugang zu einem Strand bzw. die Anwesenheit dort ist immer frei, das heißt, kein Strand ist kostenpflichtig. Eine Kurtaxe, wie sie in Deutschland an Nord- und Ostsee üblich ist, ist in Griechenland unbekannt.

Der freie Zugang zum Meer ist ein in der Verfassung verankertes Grundrecht, Strände sind ausnahmslos öffentliches Eigentum. So gehört auch den Besitzern von Wassergrundstücken der vor ihren Anwesen liegende Strand nicht. Sie müssen sich wenn auch zähneknirschend damit abfinden, ihn mit fremden Menschen zu teilen. Mir erzählte kürzlich ein griechischer Freund, als er nahe Porto Cheli nach dem Schwimmen an Land gegangen sei, habe ein betreßter Wachmann ihn zwar höflich, aber unmißverständlich aufgefordert, den Strand zu verlassen, wohl der Angestellte irgendeines Monarchen oder Ex-Monarchen, der dort residiert. Ebenso höflich sei er der Weisung nicht nachgekommen, sondern habe Artikel 24 der Verfassung zitiert, auf den der Schutz des Meeres und der Küsten gründet ("der Schutz der natürlichen Umwelt ist Pflicht des Staates und ein Recht für jeden"). Daraufhin habe sich der Sicherheitsmann wortlos zurückgezogen.

Ganz privat sind auch Privatinseln in Griechenland nicht. Ihre Eigner sind von dem Gesetz nicht ausgenommen, mögen sie Niarchos heißen oder Emir von Katar. Letzterer hat sich im Jahr 2013 eine kleine Inselgruppe im Ionischen Meer, die Echinades bei Ithaka, zugelegt, zu einem Schnäppchenpreis, wie es heißt. Die Buchten dieser Kleininseln sind beliebte Ankerplätze bei Seglern. Die Besitzer können niemandem verbieten, an "ihrem" Strand an Land zu gehen - aber nicht weiter.

Doch mit diesem Privileg für alle könnte es bald vorbei sein. Dieses Recht wollte der griechische Finanzminister der Vor-Tsipras-Regierung 2014 aushebeln und ein Gesetz verabschieden, das es privaten Investoren ohne Einschränkungen ermöglicht, Küstengrundstücke zu erwerben und zu bebauen. Es soll bereits Pläne von Großinvestoren für gigantische Hotelkomplexe direkt an Stränden gegeben haben und noch geben, ebenso für den Bau von Golfplätzen - die Griechenland zweifellos dringend braucht, denn seit Jahrzehnten ist zu den bestehenden lediglich fünf Golfplätzen in ganz Hellas, die noch dazu in die Jahre gekommen sind, nur ein einziger auf dem Peloponnes hinzugekommen; aber sie müssen ja nicht unbedingt direkt am Strand liegen.

Das Gesetz zur Privatisierung der Küste ist inzwischen vom Tisch, weil sich ein breiter Widerstand gegen das Vorhaben formiert hatte, u.a. von Umweltorganisationen. Sie fürchten spanische Verhältnisse, die Verschandelung und Betonierung der Küsten. Aber ob sich die Großinvestoren so leicht abschrecken lassen? Ob es nicht Sondergenehmigungen gibt, jetzt, wo das Land privatisieren muß? Schließlich ist die wirtschaftliche und soziale Not noch lange nicht ausgestanden, das Land ist in der Krise (und wird es vermutlich noch lange sein). Dies soll nun nicht heißen, daß eine Privatisierung generell zu unterbinden ist, etwa bei Projekten, die der Staat nicht mehr stemmen kann und die sich in einem Stadium des Niedergangs befinden wie etwa der Yachthafen Vouliagmeni mit dem "Astir Palace" oder die Golfplätze von Glifada und Rhodos. Golfspieler fahren nicht nach Griechenland, sondern nach Portugal. Allein darin, diese zahlungskräftige Klientel über die Jahrzehnte vernachlässigt zu haben, offenbart sich ein großes Versäumnis und komplettes Versagen des Tourismusministeriums. Private (Groß-)Investoren sind also gefragt und notwendig, um wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen; das wird immer gern übersehen, wenn in Hellas gegen jegliche Privatisierung protestiert wird, diese Einstellung ist fatal, und hat in manchen Fällen - auch bei Vouligmeni - dazu geführt, daß durch die jahrelangen Verzögerungen der Marktwert der Objekte tatsächlich sogar sinkt, weil sie immer mehr verlottern. Aber es muß in jedem Einzelfall (und zwar schnell und ohne abschreckende bürokratische Hürden) entschieden werden, ob das Projekt sinnvoll ist. Der Schutz der Landschaft und das, was dieses Land auszeichnet und so besonders macht, muß erhalten bleiben.