Mittwoch, 11. September 2013

Hydra - hier gibt sich die Kunstszene der Welt ein Stelldichein

Die Dependence der Deste-Foundation


Gebirgig-schroff, karg und unfruchtbar ragt Hydra aus dem Saronischen Golf. Zentrum der Insel ist ihr einziger Ort, das gleichnamige Hydra, dessen kubisch verschachtelte Häuser sich wie ein riesiges Amphitheater zwischen den steilen Felswänden über der Hafeneinfahrt bergaufwärts ziehen. Im Sommer herrscht hier hektische Betriebsamkeit. Dann ist das quadratische Hafenbecken  chronisch überfüllt. Dicht an dicht ankern Luxusjachten, gelegentlich auch die von Dakis Ioannou, zu erkennen an ihren Aussenwänden, die sein Freund Jeffs Koons gestaltet hat. Fischerboote fahren ein und aus sowie die wendigen Wassertaxis, die den Besucher zu den entlegenen Stränden oder Restaurants an der unbewohnten Südküste bringen und oftmals für einen Verkehrsstau sorgen. Da haben es die Kapitäne der aus Piräus kommenden Fähren und Katamarane schwer, heikle Anlegemanöver sind an der Tagesordnung, besonders dann, wenn auch noch Kreuzfahrtschiffe die Einfahrt blockieren.

Im Ort selbst ist das Hauptverkehrs- und Transportmittel der Esel, der einen schon unten am Hafen erwartet. Alles wird auf den Rücken der Lasttiere geladen, gleich, ob Zementsack oder Millionen-Kunstwerk der Deste-Stiftung, denn Hydra ist - ausgenommen das Müllabfuhr- und Feuerwehrauto - komplett autofrei. Sogar Motorroller und Fahräder sind verboten.

Die meisten Gebäude im Ort stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das strenge Grau ihrer Natursteinfassaden lässt nichts von der prachtvollen Innenausstattung ahnen, für die einst Künstler aus ganz Europa herangezogen wurden. Hier lebten die sagenhaft reichen Reeder und Kapitäne, die sich im griechischen Freiheitskampf höchsten Ruhm erwarben, der sie zwar wirtschaftlich ruinierte, aber in der griechischen Bevölkerung bis heute unvergessen ist: Sie übernahmen die gesamten Kosten des Seekriegs gegen die Türken und rüsteten ihre Schoner zu Kriegsschiffen um. Unter den Admirälen taten sich die Brüder Tombasis, Tsamados, Voulgaris, Kountouriotis und der Oberkommandierende Andreas Miaoulis besonders hervor. Ihre Nachfahren spielten später in der Politik Griechenlands eine grosse Rolle.

Die lokale Bautradition wird durch strenge Auflagen geschützt. Das Stadtbild von Hydra ist so einheitlich geblieben, wie es war; der Ort trotzt erfolgreich allen Globalisierungstendenzen. Dies ist das Verdienst der Denkmalschützer, die mit Argusaugen über jede architektonische Veränderung wachen. Das Erbe muss erhalten werden. Stein und Holz sind weiterhin die wichtigsten Baumaterialien. Es werden keine Plastikrolläden und -fenster, Türen aus Metall, Neonreklamen und Satellitenschüsseln oder Asphalt genehmigt, Strassen und Wege werden gepflastert.

Die Antike ist an der Seefahrerinsel spurlos vorübergegangen, Tempel, Säulen, Mosaiken gibt es auf Hydra nicht.

Anfang der sechziger Jahre entdeckten Künstler, Schriftsteller und Musiker das zeitlos schöne Eiland. Reiche Athener zogen nach und kauften sich grössere Anwesen. Hydra hat die höchsten Grundstückspreise Griechenlands, dabei gibt es nicht einmal Häuser mit Strandzugang. Der Sänger Leonard Cohen lebte hier mehrere Jahre und schrieb seine weltberühmten Lieder "Suzanne", "Bird on a Wire" und nach seiner Trennung von Marianne, der Frau des norwegischen Schriftstellers Axel Jensen, "So long Marianne", das ebenfalls ein Welthit wurde. Henry Miller und Lawrence Durrell kamen, der in Rom lebende Arte-Povera-Künstler Jannis Kounellis hat hier ein Ferienhaus, Brice Marden kommt regelmässig im Sommer, und der Fotograf Jürgen Teller verbringt hier samt Familie oft die Ferien. Jeff Koons machte während seiner Flitterwochen mit Cicciolina auf Hydra Station.

Auch die junge Künstlergeneration fühlt sich von Hydra angezogen. Der Maler Carsten Fock zieht sich hier häufig zum Arbeiten zurück und stellt seine Werke aus, ebenso Marilyn Minter, Andres Serrano, Josh Smith und viele andere. 2009 eröffnete der Grossammler Dakis Ioannou in dem ehemaligen Schlachthaus auf den Klippen über dem Meer eine Dependance seiner Athener Deste Foundation, das Deste Foundation Project Space. Seitdem trifft sich nun auch die internationale Kunstwelt regelmässig auf Hydra, Sammler, Künstler und Kuratoren. Jeden Sommer, von Anfang Juni bis Ende September, finden Ausstellungen weltbekannter Künstler statt. Ausserhalb der Ausstellungen wird alljährlich ein Künstler beauftragt, ein Projekt zu präsentieren, das auf die Insel selbst Bezug nimmt. 2013 wurde der in New York lebende Schweizer Urs Fischer ausersehen, das Programm zu gestalten. Fischer, 1973 geboren, stellte schon bei Gagosian, im Palazzo Grassi und auf der Biennale Vernedig 2011 aus. Für seine hintergründig-humorvollen Skulpturen werden Millionenbeträge in Auktionen geboten. Eingeweiht wurde der neue Kunstplatz 2009 mit "Blood of Two", einer spektakulären Performance und Ausstellung von Elizabeth Peyton und Matthew Barney.

In der Galerie Hydra Workshop am Hafen zeigt die Reedergattin Pauline Karpidas, gebürtige Britin, in den Sommermonaten zeitgenössische Kunst von musealem Rang aus ihrer Privatsammlung. In den labyrinthartigen Gassen werben kleinere Galerien mit einem Top-Angebot um die Aufmerksamkeit des Publikums. In dem ehemaligen Herrenhaus der Familie Tombasi hat die Athener Kunstakademie eine Dependance eingerichtet. Und in einem Haus hinter dem Hafen wurde für junge, noch unbekannte Künstler ein Arbeits- und Ausstellungsraum geschaffen, das Hydra School Project. Von der gegenwärtigen Krise ist auf Hydra nichts zu spüren, es sei denn, das Fährpersonal streikt wieder einmal. Auch Massentourismus findet nicht statt, weil es nur kleinere Hotels und keine grossen Ferienanlagen gibt.

Sonntag, 18. August 2013

Stille Stunden in Athen - der Erste Athenische Friedhof. Die Grabstätten von Heinrich Schliemann und Adolf Furtwängler

Der Proto Nekrotafio Athinon, der Erste Athenische Friedhof, ist der Friedhof schlechthin. Auf ihm möchte jeder Athener begraben sein. Für den, der hier kein Familiengrab hat, stehen die Chancen jedoch schlecht. Schon seit Jahrzehnten sind keine Grabstätten mehr zu kaufen, und wenn gelegentlich eine frei wird, was immer dann passiert, wenn eine Familie ausstirbt, übersteigt die Nachfrage das Angebot tausendfach. Auch muss man sich ein Grab hier leisten können. Für das Privileg, wenigstens nach dem Tod noch den sozialen Aufstieg geschafft zu haben, wechseln oftmals horrende Summen die Besitzer. In der feinsten Nekropole Griechenlands fanden seit jeher die Reichen und Prominenten ihre letzte Ruhe, lokale Berühmtheiten ebenso wie internationale Geistesgrössen des 19. Jahrhunderts, die sich um Hellas verdient gemacht haben. Darunter sind bekannte deutsche Philhellenen, die im Gefolge Ottos I. nach Athen kamen, Konsuln, Wissenschaftler, Offiziere und königliche Adjutanten und nicht zuletzt zwei der bedeutendsten deutschen Archäologen, Heinrich Schliemann und Adolf Furtwängler.

Solange der neugriechische Staat besteht, solange gibt es den Proto Nekrotafio Athinon. Otto I., der aus dem bayerischen Haus Wittelsbach stammende erste Hellenenkönig, liess ihn 1834 an einem Platz anlegen, der damals noch extra muros lag, ausserhalb des 5000-Seelen-Dorfes, das Athen kurz nach der Befreiung von den Türken war. Heute liegt er im Zentrum der Millionenstadt, 15 Minuten vom Sintagmaplatz entfernt. Die einzige Zugangsstrasse ist die Odos Anapafseos, die "Strasse der Ewigen Ruhe", in der Steinmetzen und Floristen ihre Läden haben. Ein Gefühl der Ruhe umfängt den Besucher auch auf dem Friedhof, vielleicht der einzige Ort der Stille in dem lauten Athen und sicherlich der am sorgsamsten gepflegte Platz der ganzen Stadt. Kein Unrat liegt herum, kein Grab ist verfallen oder von Unkraut entstellt. Man sieht weder mutwillig zerbrochene oder umgestürzte Grabsteine noch Grafitti, weit und breit keine Spuren von Vandalismus. Auch Stadtstreichern oder Fixern, die es sich erlauben würden, hier zu kampieren, begegnet man nicht. Hingegen entdeckt man beim Schlendern durch die weissen Grabmalreihen so manches Gerüst an den oft herrenhausgrossen Gruften und Arbeiter, die Restaurationsarbeiten vornehmen. Für den Erhalt der Denkmäler wird Sorge getragen.

Die Touristenagenturen haben die marmorweisse Totenstadt noch nicht in ihr Programm aufgenommen. Friedhofsführungen, wie sie in anderen Grossstädten längst üblich sind, gibt es in Athen nicht. Man kann stundenlang durch die Gräberstrassen spazieren, ohne einer Menschenseele zu begegnen.

Schliemanns Grab ist nicht zu übersehen. Das tempelartige Mausoleum, in dem auch seine griechische Ehefrau Sophia Engastromenou und ihrer beider Tochter Andromachi Melas bestattet sind (Sohn Agamemnon ist in Paris begraben), steht auf einer Anhöhe links über dem Hauptweg, nur wenige Schritte vom Eingang entfernt. Schliemann hatte diesen Platz mit Blick auf die Akropolis noch zu seinen Lebzeiten erworben und als Platz für seine letzte Ruhestätte bestimmt. Auch den Bau des Mausoleums hatte er lange vor seinem Tod - er starb am 26. Dezember 1890, 68 Jahre alt, an einer verschleppten Ohreninfektion in Neapel - bis ins kleinste vorbereitet. Geld spielte keine Rolle. Stararchitekt Ernst Ziller, dem Athen viele der schönsten neoklassizistischen Gebäude verdankt und der auch Schliemanns prächtiges Wohnpalais an der Athener Universitätsstrasse baute, schon damals eine Sehenswürdigkeit für Athen-Besucher, standen 50 000 Drachmen zur Verfügung, eine unerhörte Summe, die ihm völlig freie Hand liess.

Auch die Gestaltung der Grabkammern überliess Schliemann nicht dem Zufall. In Punkt 29 seines in Neugriechisch abgefassten Testaments verfügte er, dass sie mit Motiven aus Pompeji und Orchomenos, wo er 1880 das mykenische Schatzhaus des Minyas freilegte, ausgemalt werden sollten. Es sei "vorher aber mit dem Maler über diese Arbeit ein Vertrag abzuschliessen", ermahnte der vorsichtige Schliemann die Testamentsvollstrecker. Nicht umsonst hatte der Pastorensohn eine glänzende Karriere als Kaufmann hinter sich, bevor er seine zweite, noch glänzendere Karriere als Archäologe mit der ihm eigenen Energie und Zielstrebigkeit in Angriff nahm. Ohne die zuvor angehäuften Reichtümer wäre der glühende Homer-Verehrer nie an das Ziel seiner Wünsche gelangt.

Die Schliemann-Büste vor dem Tempel gab Sophia in Auftrag, die - mit 38 Jahren Witwe geworden - ihren Mann um 42 Jahre überlebte. Der umlaufende Wandfries stellt das Ehepaar in Troja dar, umgeben von türkischen Arbeitern, die mit Spitzhacke und Spaten die kostbaren Funde zutage fördern, von denen Schliemann glaubte, sie seien der Schatz des Priamos. Der Archäologe rezitiert aus einem Homer-Band, die ihm zugewandte Sophia hört ihm aufmerksam zu. In seinen letzten Lebensjahren hatte Schliemann eine regelrechte Homer-Manie entwickelt. "Einzig Homer interessiert mich noch", erklärte er einem Freund. "Alles andere wird mir immer gleichgültiger."  

Schliemann starb einsam am 26. Dezember um 15.30 Uhr im Grand Hotel in Neapel an einer verschleppten Infektion der Ohren. Nahezu taub, hatte er sich am 12. November in Halle einer komplizierten beidseitigen Ohrenoperation unterzogen. In dem Gefühl einer trügerischen Besserung verliess er gegen den Rat der Ärzte die Klinik, um seinen Geschäften nachzugehen. In Leipzig hatte er eine Besprechung mit Brockhaus, in Berlin verhandelte er mit seinem Grundstücksverwalter und begutachtete mit seinem Freund Virchow die Schliemann-Sammlung. Noch am selben Abend fuhr er mit dem Zug nach Paris, wo ebenfalls Geschäfte auf ihn warteten. Von dort reiste er weiter nach Neapel, um sich die neuesten Ausgrabungen in Pompeji anzusehen. Damit hatte der Rastlose seinem geschwächten Körper wohl zuviel zugemutet. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, und er musste seine Heimreise nach Athen zweimal verschieben. Am ersten Weihnachtsfeiertag brach er auf der Piazza della Carita, vermutlich auf dem Weg zu einem Arzt, bewusstlos zusammen. Unglücklicherweise hatte er keine Papiere bei sich, so dass wertvolle Zeit verstrich, bis man seine Identität festgestellt hatte. Aber auch ein nochmaliger Eingriff hätte ihn nicht mehr retten können, die Infektion war zu weit fortgeschritten. Noch während die Ärzte das weitere Vorgehen diskutierten, starb Schliemann. Von Neapel aus wurde die Todesnachricht in die Welt gekabelt. Aus allen Erdteilen trafen Beileidsdepeschen in Athen ein. Prominente aus Wissenschaft, Politik und Kultur würdigten die ungeheure Leistung des Mannes,der unbeirrbar an den Wahrheitsgehalt der homerischen Epen glaubte und mit genialem Spürsinn und Enthusiasmus eine versunkene Kultur ans Licht brachte, die andere als ins Reich der Sage gehörend abtaten. Unter denen, die ihrer Trauer Ausdruck gaben, war auch der Botschafter Amerikas: Heinrich - Henry - Schliemann war amerikanischer Staatsbürger. Die Trauerfeier fand am 4. Januar 1891 in Schliemanns Haus an der Athener Universitätsstrasse (Odos Panepistimiou) statt. Auch ihren Ablauf hatte er lange vor seinem Tod bis ins Detail geplant. Am Kopfende des offenen Sarges stand eine Büste Homers, des Schliemannschen "Hausgotts". Im Sarg lagen eine Ausgabe der Ilias und der Odyssee. Die Trauerrede hielt sein Freund und Mitarbeiter Wilhelm Dörpfeld, der den Toten nach Griechenland heimgeholt hatte. "Ruhe in Frieden, Du hast genug getan", waren seine Abschiedsworte. Auch der König von Griechenland und der Kronprinz erwiesen ihm ihre Reverenz. Sie hielten die Totenwache.

Ein anderer bedeutender Archäologe, Adolf Furtwängler (1853-1907), fand seine letzte Ruhestätte in dem kleinen protestatischen Teil des Friedhofs. Sein Grab ist relativ bescheiden, gekrönt nur von einer bronzenen Sphinx, einer Kopie vom Aphaiatempel auf der Insel Ägina, den Furtwängler zu Beginn des 20. Jahrhunderts systematisch freilegte. Die meisten Gräber in diesem Teil des Friedhofs sind schmucklos und bescheiden. Viele amerikanische und englische Philhellenen liegen hier begraben.

Auch Ziller ist auf dem Ersten Athener Friedhof beerdigt. Er starb am 25. November 1923 verarmt in Athen.

Freitag, 19. Juli 2013

Das Vamos-Programm: Im Hotel Likithos auf der Chalkidike

Anfang Mai fuhren wir für eine Woche auf die Chalkidike in das Hotel Likithos nahe Neos Marmaras. Wir, das sind eine Drei-Generationen-Familie: Grosseltern, Eltern und die beiden Kinder, Paulina, knapp vier Jahre und Poppy, acht Monate alt. Wir wollten weg aus dem kalten Berlin, irgendwohin, wo die Sonne scheint und der Himmel blau ist, kurzum, wir suchten Sonne, Strand und Meer. Und Wärme. Ausserdem musste es ein Ort sein, an dem sich die Kinder nicht langweilen und die Erwachsenen Spass, Entspannung und endlich etwas Ruhe finden würden. Und natürlich sollte dieser Sehnsuchtsplatz nicht zu weit weg sein, länger als rund zwei Stunden wollten wir mit den Kindern nicht im Flugzeug sitzen.

Bei unserem Studium der Möglichkeiten stiessen wir auf ein verheissungsvolles Angebot, dass uns all dies zu versprechen schien. Wir entdeckten die Vamos-Eltern-Kind-Reisen, einen deutschen Spezialisten für Familienreisen. Vamos hat meist kleinere, von den Besitzern persönlich geführte Hotels mit Charakter in schönen naturnahen Regionen im Programm, davon sechs solcher Anlagen in Griechenland. Wir entschieden uns für das Hotel Likithos auf der Sithonia, dem mittleren, dicht bewaldeten und leicht bergigen Finger der Halbinsel Chalkidike. Um es vorweg zu sagen: Die Woche war perfekt.

Wir kamen nach Einbruch der Dunkelheit an, willkommen geheissen von Grigorios Theocharis, dem Eigentümer der Anlage, den alle nur Grigorios nennen und der ein akzentfreies Deutsch spricht. Er hat einige Jahre in Deutschland verbracht, wo er auch seine Frau Marina kennenlernte, die in Sarti auf der anderen Küstenseite die Villa Kalypso leitet, ebenfalls ein Vamos-Familienhotel. Grigorios ist die Seele des Ganzen, er ist immer präsent, gibt  Ratschläge und Empfehlungen oder diskutiert mit Eltern (und Grosseltern) kenntnisreich und mit vielem Insiderwissen die gegenwärtige, weiterhin miserable Situation in Hellas.

Am nächsten Morgen sehen wir, was wir in der Dämmerung nur ahnten: das Blau und Weiss Griechenlands, den Himmel und unter uns das im Sonnenlicht glitzernde Meer, dazu ein Grün in sämtlichen Schattierungen, das satte Dunkel der Zypressen und Eukalyptusbäume, das hellere der dichten Pinienwälder und Zitronenplantagen und das silbrige Grün der Olivenhaine. Um 10 Uhr, nach dem reichlichen Buffetfrühstück, eilen die Kinder in den Kinderclub, in dem sie malen, basteln und Lieder einstudieren, auf kleine Wanderungen an den Strand oder auf Schatzsuche gehen, kurz, alles das tun, was Kinder glücklich macht. Jetzt haben die Eltern ein paar Stunden Zeit für sich, um in Ruhe ein Buch ein Buch zu lesen, hinunter in die beidseitig von Felsen eingerahmte Privatbucht zu steigen oder die Gegend zu erkunden.

Nachmittags, nach dem Mittagessen im Pool-Restaurant, wo wir täglich herrlich gegrillten Fisch und Salat essen, ist Hochbetrieb im Kinderbereich des riesigen Swimmingpools, dem Herzstück des Hotels; jetzt sind die Eltern wieder gefragt. Oder zumindest ein Elternteil, denn die Väter spielen nachmittags gewöhnlich Volleyball. Nebenan ist ein Spielplatz, auf dem die Mütter mit den kleineren Kindern schaukeln oder Ballspielen und Erfahrungen mit den anderen Müttern austauschen. Wir, die Grosseltern, gehen meist hinunter zum Strand, den wir fast immer ganz für uns alleine haben. Nach dem abendlichen Buffet, das sehr abwechselungsreich ist (trotzdem hält sich Paulina wie die meisten anderen Kinder an Pommes und Spaghetti), gibt es die Blaue Stunde, in der die beiden jungen Betreuerinnen, die die Zuneigung der Kinder schnell gewonnen haben, den Kleinen vorlesen. Es gab wohl kein Kind, dass die Blaue Stunde versäumte. Und um uns herum geniessen heitere Eltern bei einem Glas Naoussa-Wein und herrlichem Sonnenuntergang die freie Stunde.

Connie, die energische Leiterin des Vamos-Programms, sorgt dafür, dass auch den Erwachsenen einiges geboten wird. Sie organisiert Fahrten in die nahen Dörfer oder zusammen mit dem sportlichen Michi mehrstündige Bergbesteigungen. Auch wenn  die Berge nicht hoch sind - wer je in Griechenland gewandert ist, weiss, wie beschwerlich das Laufen wegen oft fehlender Wege durch Disteln und Gestrüpp sein kann. Paulinas gut trainierter Opa, der jedes Jahr eine Woche in die Alpen geht, kommt jedenfalls nach fünf Stunden Wanderung zwar glücklich, aber doch recht erschöpft von der strapaziösen Tour zurück. Zweimal fahren wir alle in das wenig pittoreske, erst 1923 von Flüchtlingen aus Kleinasien gegründete Neos Marmaras, das aber einige hübsche Cafes und eine Handvoll guter Fischtavernen aufweist. Im Mytikas direkt am Strand lassen wir uns frische Meerbrassen und Barbounia schmecken, fahren mit der Fähre hinüber in die riesige Luxusanlage Porto Karras, die augenscheinlich ihre besten Tage hinter sich hat, und kaufen einige Flaschen Olivenöl für zu Hause. Schliesslich ist das griechische Olivenöl das beste der Welt.

Die sieben Tage sind schnell vorbei. Paulina schmerzt der Abschied von der besten Freundin Lara ein wenig, aber vielleicht sehen wir uns ja alle im nächsten Jahr wieder im Likithos-Hotel (oder in der Villa Kalypso in Sarti). Einige Familien sind schon zum zweitenmal hier. Wir haben hier jedenfalls einen unvergesslichen Familienurlaub verbracht.



Sonntag, 14. Juli 2013

Deutsche Künstler in Athener Galerien - Kippenberger und Middendorf bei Eleni Koroneou



Eine der prägendsten und einflussreichsten Figuren der Athener Kunstwelt ist Eleni Koroneou. 1988 gründete sie ihre Galerie und präsentierte von Anfang an international bekannte Künstler, darunter auch die beiden Deutschen Helmut Middendorf und Martin Kippenberger. Zu einer Zeit, als Sammlungen und Ausstellungen von Zeitgenossen in Athen noch eine Seltenheit waren, sah Koroneou es als ihre Aufgabe an, die Griechen mit der westeuropäischen Kunst bekannt zu machen und auch griechischen Künstlern der jüngeren Generation eine Plattform zu bieten. Middendorf stellte erstmals 1989 bei Koroneou aus. Er lebt und arbeitet den grössten Teil des Jahres in Athen, verbringt aber noch immer regelmässig mehrere Monate in Berlin, wo er in den siebziger und achtziger Jahren zu den "Jungen Wilden" gehörte. Doch diese Periode der "heftigen Malerei", der grellen, explodierenden Farbwut, hat er längst hinter sich gelassen und zu zurückhaltender Farbigkeit und Konzeption gefunden. Kippenberger folgte bei Koroneou 1994 mit "MoMAS" und 1996, ein Jahr vor seinem frühen Tod, mit "Made in Syros". Zur Zeit - Sommer 2013 - sind beide Künstler bei Koroneou Teil der Gruppenausstellung "6 Artists".

Middendorf und Kippenberger waren auch 2011 in der Ausstellung "The Last Grand Tour" im Kykladenmuseum zu sehen, die Griechenland als Ort der Inspiration für Künstler des 20. Jahrhunderts zum Thema hatte. Der Titel der Ausstellung spielt auf die Tradition der Bildungsreisen früherer Jahrhunderte an, als es für die Söhne des Adels und nach der Aufklärung auch für die Söhne der reichen westeuropäischen Familien Pflichtprogramm war, nach Italien und Griechenland zu reisen, um die antiken Stätten, Kirchen, Klöster und sonstigen Kulturschätze zu besuchen. Die jahrtausendealte Kultur, Geschichte und Mythen Griechenlands üben bis in die Gegenwart eine Anziehungskraft auf Künstler aus, so auch auf die in der Ausstellung vertretenen Maler Brice Marden, der seit 1971 seine Sommer oftmals auf Hydra verbringt, auf Linda Berglis, Manfred Pernice oder Jürgen Teller. Kippenberger war mit Gemälden, Zeichnungen und Modellen vertreten, die einen Eindruck von seinen Projekten auf Syros geben, dem MetroNet und dem MoMAS.

Kippenberger verbrachte seit Anfang der neunziger Jahre jeweils mehrere Monate im Jahr auf Syros, wo er bei seinen Freunden Catherine und Michel Würthle, dem Besitzer der berühmten Berliner "Paris Bar", wohnte. Auf dieser entlegenen Kykladeninsel, weit weg vom etablierten Kunst- und Kulturbetrieb, kam ihm die Idee zu zwei seiner ausgefallensten und grössten künstlerischen Unternehmungen: dem globalen, von Syros ausgehenden MetroNet  und dem Museum of Modern Art Syros, dem MoMAS. 1993 war ihm auf einer Anhöhe über dem Hafen eine Neubauruine aufgefallen, die einmal ein Schlachthof werden sollte. In dem nackten Betonskelett sah er eine "moderne Akropolis", das Ideal eines Tempels moderner Kunst, und so erklärte er "die Säulenhalle" kurzerhand zum Museum of Modern Art Syros und sich selbst zu dessen Direktor. Alljährlich lud er einige Gleichgesinnte auf die Insel ein, Künstlerfreunde aus seinem Umfeld, um hier Projekte zu realisieren und sie der Öffentlichkeit vorzustellen, die indes - soweit bekannt ist - nicht sehr interessiert war. Die Vernissagen waren nur spärlich besucht. Aber das war ihm zu der Zeit wohl ziemlich egal. "Es kann auch sein, dass ich ein Mitteilungsbedürfnis habe für nur eine Person oder zwei Personen, wo ich voll drin aufgehe" zitiert Susanne Kippenberger ihren Bruder in ihrer sehr lesenswerten Biographie (Kippenberger. Der Künstler und seine Familien, Berlin 2013). "Mit Kunstmarkt hatte das nichts mehr zu tun. ...Das MoMAS war seine Antwort auf den globalisierten Kunstbetrieb."

So ganz hielt er die stillen Tage auf Syros aber denn doch nicht aus. Ab und zu zog es ihn nach Athen, wo er auf Vernissagen des bedeutenden Sammlers Dakis Ioannou für Aufsehen sorgte, seine Galeristin traf und den ihm seit seinen Berliner Tagen bekannten Helmut Middendorf, mit dem er nächtelang durch die Bars zog. Von drei Tagen mit Kippenberger musste Middendorf sich eine Woche lang erholen, aber, wie Susanne Kippenberger ihn in ihrer Biographie zitiert, "ich habe nie jemanden getroffen, mit dem ich soviel Spass hatte. Es gab keinen zweiten. Im Kunstbetrieb sowieso nicht." Und in Athen "brauchte er nicht diesen Selbstdarstellungsblödsinn. In Berlin und Köln war es so, als ob sie ihn mit einem Schalter angestellt hätten. Dann musste er den Martin machen."

Kippenberger eröffnete das MoMAS 1993 mit einer Einzelausstellung von Hubert Kiecol, der überwiegend als Bildhauer arbeitet. Es folgten 1994 Christopher Wool und Ulrich Strothjohann, 1995 Stephen Prina, Cosima von Bonin und Christopher Williams und 1996 Johannes Wohnseifer, Michel Majerus und Heimo Zobernig.

Die auf dem Hügel thronende "Säulenhalle" wurde schliesslich fertig gebaut. Sie wurde aber weder Museum und auch kein Schlachthaus, sondern Kläranlage.

Im September 1993 eröffnete Kippenberger auf Syros - einige Kilometer im Inland auf unwirtlichem Gelände  - auch seinen U-Bahn-Eingang, die erste Station eines fiktiven weltweiten Metrosystems, das alle regionalen Trennungen überwinden sollte. Der U-Bahn-Eingang ohne U-Bahnanschluss bestand aus einem schon vorhandenen Gitter als Geländer, einem Tor und einer kurzen Treppe aus Beton, die nirgendwohin führte. Das MetroNet verbindet Syros mit dem anderen Ende der Welt, dem ebenfalls ländlichen  Dawson City in Kanada, einer ehemaligen Goldgräberstadt. Diese zweite Station richtete Kippenberger 1995 ein. Andere sollten folgen, z.B. in New York, Los Angeles, Tokio, Wien, Paris und Münster. Aber dazu kam es dann nicht mehr. Kurz vor seinem Tod stellte er noch einen mobilen U-Bahn-Eingang fertig, einen mobilen Lüftungsschacht und einen Schacht, aus dem das Geräusch hindurch fahrender Züge zu hören ist. Metronetz und MoMAS gehören zum Werkkomplex seiner von ihm so genannten "unsinnigen Bauvorhaben".

Zu Lebzeiten stark umstritten und eine Zeitlang nicht richtig ernst genommen, bildet Kippenbergers Werk heute einen festen Bestandteil in allen wichtigen Sammlungen der Welt. 2006 stellte ihn die Londoner Tate Modern aus, 2009 das Museum of Modern Art in New York, 2013 der Hamburger Bahnhof in Berlin. Einige seiner Ausstellungsplakate wurden von Mega-Stars wie Jeff Koons und Mike Kelley oder Rosemarie Trockel und Christopher Wools gestaltet.

Kippenberger beherrschte alle Kunstgattungen, ob Malerei, Zeichnung, Fotografie oder Plakate und Installationen. Da er stets sehr schnell auf Zeitströmungen reagierte, dachten viele, seine Kunst ginge über den Tag nicht hinaus. Das war eine Fehleinschätzung. Seine Werke erzielen längst Rekordpreise. Bekam er zu Lebzeiten höchstens 10 000 Dollar für eine Arbeit, werden seine Bilder heute zu Höchstpreisen gehandelt. In Auktionen wurde für ein Gemälde 2005 bei Philips de Pury eine Million Dollar bezahlt, für eine Skulptur 2011 bei Christie's London schon etwas über zwei Millionen und für ein Selbstporträt 2012, ebenfalls bei Christie's London, stattliche 5,1 Millionen Dollar.

Die Galerie von Eleni Koroneou befindet sich in einem neoklassizistischen Gebäude unterhalb der Akropolis im Viertel Thission, Dimofontos 30 Ecke Thorikion 7.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Der griechische Pavillon auf der 55. Biennale Venedig 2013

Alle zwei Jahre wieder sorgt die Biennale von Venedig, die älteste der Welt, für Diskussionen. Vom 1. Juni bis zum 24. November präsentieren sich in den herrlichen Giardini und den riesigen Hallen des Arsenale, des einstigen Werftgeländes, 88 Länder. 50 weitere Ausstellungen bilden das Nebenprogramm und sind über die ganze Stadt verteilt. Selbst der Vatikan ist dabei - zum ersten Mal. Manche Kunstwerke sieht man schon von weitem wie die gewaltige Skulptur "Alison Lapper Pregnant" von Marc Quinn, die den Platz vor der Kirche San Giorgio Maggiore am Ufer des Canal Grande beherrscht. Andere findet man in Kirchen (zum Beispiel von dem chinesischen Super-Star und Dissidenten Ai WeiWei die Szenen seiner Haft in sechs Containern in der Sant' Antonin), in Palästen am Canal Grande (Taiwan) oder versteckt in unscheinbaren alten Häuschen an den Nebenarmen des Canal.

Verantwortet wird die Gesamtschau von dem erst 40 Jahre alten Massimiliano Gioni, Ausstellungsleiter am New Museum in New York und künstlerischer Direktor der Mailänder Nicola-Trussardi-Foundation. Er wählte auch das Motto für die Hauptausstellung "Il Palazzo Enciclopedico" (Der enzyklopädische Palast), das als lockerer Leitfaden gelten soll. Dahinter steht die Idee, das gesammelte Weltwissen vorzustellen und in eine Ordnung zu bringen, nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Forschung und Wissenschaft, Natur und Politik, was natürlich nicht wirklich gelingen kann. Aber es ist ein mutiger, interessanter Ansatz.

Der deutsche Pavillon ist international ausgefallen. Es stellen Künstler aus vier Nationen aus: Ai WeiWei, der eine meterhohe Skulptur aus 886 alten chinesischen Holzhockern geknüpft hat, der französische Filmregisseur Romuald Karmakar, der südafrikanische Fotograf Santu Mofokens und die indische Fotografin Dayanita Singh. Damit soll Deutschland "als aktiver Teil eines komplexen weltweiten Netzwerkes repräsentiert werden", wie die Kuratorin des deutschen Pavillons, Susanne Gaensheimer, Direktorin am mmk in Frankfurt, ihre Künstlerauswahl begründet. Auf mich wirkt die Auswahl der Künstler willkürlich. Was sie miteinander verbindet, erschliesst sich mir nicht. Und immer wieder Ai WeiWei! Es muss einem inzwischen fast so vorkommen, als sei er der einzige Vertreter chinesischer Gegenwartskunst. Dabei mangelt es in diesem Riesenreich, das in den letzten Jahren einen Kunstboom erlebte, gewiss nicht an jungen vielversprechenden und spannenden Talenten. Insgesamt ist der Auftritt nicht wirklich gelungen. Auch den französischen Pavillon - die Deutschen und die Franzosen haben übrigens ihre Pavillons getauscht - hat kein französischer Künstler gestaltet, sondern der in Albanien geborene und in Frankreich lebende Anri Sala. Seine Installation "Ravel Ravel Unravel" gilt als ungewöhnlich gelungen und wird allgemein gerühmt.

Viel Aufmerksamkeit erregt auch der griechische Pavillon, den der 1973 in Prag geborene und in Amsterdam und Athen lebende Videokünstler Stefanos Tsivopoulos kreiert hat. Als einer der wenigen - neben dem russischen und dem katalonischen - beleuchtet er die gegenwärtige Krise des Kapitals und die aktuelle soziopolitische Situation in Griechenland. In der dreiteiligen Videoinstallation mit einer Textmontage ("History Zero") zeigt er auf eine sehr berührende, fesselnde Weise, wie die Realität der Armen und Migranten in Athen aussieht. Der Film führt uns drei komplett verschiedene Individuen vor: einen jungen afrikanischen Immigranten, der in den Strassen und in verlassenen Industriearealen von Athen nach verwertbarem Altmetall sucht, einen nach Inspiration suchenden Künstler und eine demente alte Dame und Kunstsammlerin, die aus 500-Euro-Scheinen Blumenblüten faltet und zu Sträussen bindet. Nachdem sie die Blumen glaubt, welken zu sehen, wirft sie sie in den Müllcontainer vor dem Haus, wo der junge Schwarze sie auf der Suche nach Brauchbarem findet und überglücklich mit dem wertvollen Strauss von dannen eilt. Damit ist Tsivopoulos ein herausragendes Werk gelungen, ein Porträt bitterster Not und zugleich verschwenderischen Reichtums. Die begleitende Textdokumentation in der Rotunde, die 32 Themen behandelt, ist als umlaufendes Panorama gestaltet. Sie fragt nach dem Wert des Geldes und erforscht, welche Rolle das Geld in menschlichen Beziehungen und Gesellschaften spielt. Sie stellt alternative Währungen und Wirtschaftsmodelle vor, zum Beispiel den Tauschhandel, dem heute nicht wenige Menschen in Griechenland der Not gehorchend nachgehen.

Kuratiert hat die Ausstellung Syrago Tsiara, Direktorin des Center of Contemporary Art in Saloniki. Gegenüber ArtInfo UK äusserte sie: "History Zero bezieht sich zuerst auf die vielschichtige Krise in Griechenland, die natürlich ein Symptom der globalen politischen Krise ist. Doch die Arbeit wendet den Diskurs über die Krise zu einer höheren philosophischen und politischen Beschäftigung, die über die Notwendigkeit des Hier und Heute hinausgeht."

Der griechische Pavillon mit seiner charakteristischen neo-byzantinischen Fassade stammt aus dem Jahr 1934.

Die 55. Biennale für zeitgenössische Kunst endet am 24. November 2013. Sie ist täglich, ausser Montag, von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Ein Zwei-Tage-Pass kostet 30 Euro.

Mittwoch, 8. Mai 2013

Exarchia

Exarchia - einfach traurig


Es sah hier nicht immer so aus. Noch vor einigen Jahren war Exarchia ein  bürgerliches Alt-Athener Wohnviertel, dessen schattige Strassencafes an der Platia Exarchion man tagsüber gern aufsuchte, wenn man sich erschöpft vom Besuch im  Archäologischen Nationalmuseum erholen oder einfach nur eine Kaffeepause einlegen und beim geschäftigen Treiben rundum entspannen wollte. Abends genoss man das Nachtleben in den angesagten Bars und populären Clubs und wusste die alteingesessenen Tavernen zu schätzen, die gutes griechisches Essen ohne modischen Schnickschnack zu günstigen Preisen servierten. Alles hatte etwas Beschwingtes, Begeisterndes, Heiteres und gleichzeitig sympathisch Kleinstädtisches, wo ein jeder jeden kennt. Das Publikum - vorwiegend hier wohnende Studenten, Künstler, (Links-)Intellektuelle  - war jung, kreativ, diskutierfreudig, von mitreissender Vitalität und vor allem griechisch. Hier konnte man Stunden zubringen, ohne einem Touristen zu begegnen.  Die blieben seit je im überlaufenen Altstadtviertel Plaka unter sich. Kaum einer verirrte sich in die unprätentiöse Alternative Exarchia.

Heute tun sie recht daran, die Plaka-Touristen. Es ist kaum zu glauben, wie stark sich Exarchia verändert hat. Die politische und soziale Krise ist hier am sichtbarsten. Schon tagsüber stimmt einen der Gang durch die tristen Strassen wehmütig, Lebensfreude war einmal, Normalität auch. Das ganze Viertel wirkt bedrückend und trostlos, die Verelendung ist augenscheinlich geworden. Illegale, die illegale Waren verkaufen  - Sonnenbrillen, Taschen, Handys, Zigaretten -, bestimmen das Strassenbild. Allerlei ominöse Gestalten sind unterwegs. In der Stournaristrasse, auf dem Zaunsockel vor dem Polytechnion, lagern jämmerliche Gestalten im Halbkoma, Rauschgiftsüchtige, die sich Heroin spritzen. Deren Dealer, meist Schwarzafrikaner, gehen in aller Öffentlichkeit ihren Geschäften nach. Abends ist das Viertel tot, die dämmrigen Lokale sind leer. Man begegnet nur wenigen Passanten. Die engen Hauseingänge haben Obdachlose in Besitz genommen. Automatisch beschleunigt man den Schritt, wenn man durch die dunklen Gassen geht. Man fühlt sich unwohl und möchte nichts wie weg.

Verunstaltet sind auch die einst sorgfältig gepflegten Bürgerhäuser. Fast ausnahmslos jedes Gebäude - so scheint es einem jedenfalls - ist mit grellen Graffiti beschmiert, die Hauswände sind zentimeterdick mit Plakaten und Parolen zugekleistert, die zu Streiks und Demonstrationen sowie zum Klassenkampf aufrufen. Kein Fleckchen Mauer bleibt ungenutzt. Manche Häuser sind besetzt. Auch die schönen neoklassizistischen Stadtvillen an den charmanten steilen Treppengassen blieben nicht verschont. Bei vielen sind die Rollläden herabgelassen und die Haustüren mit schweren Eisenketten versperrt. Sie sehen verlassen aus.

Exarchia war immer ein buntes, alternatives Szeneviertel, in dem von jeher Widerstand gegen Obrigkeiten geleistet und gegen alles Mögliche opponiert wurde. Aber der Alltag war normal. Die im Herbst 1973 von hier ausgehenden Protestaktionen haben den Sturz der sieben Jahre währenden Obristenregierung eingeleitet. Am 14. November demonstrierten Hunderte Studenten gegen die Militärdiktatur. Unterstützt von der Athener Bevölkerung, verschanzten sie sich drei Tage lang auf dem Gelände des Polytechnion, bis das Regime in der Nacht des 17. November seine Panzer anrollen liess. Sie walzten die Tore nieder, und Scharfschützen der Polizei nahmen den Hof unter Beschuss. Zahlreiche junge Leute starben, wieviele Menschen getötet wurden, ist nie genau geklärt worden. Manche sprechen von 35 oder 40, andere von 20 Toten, die Angaben differieren. Ein Denkmal im Hof erinnert an sie. Heute macht auch das Polytechnion einen vernachlässigten Eindruck, im Garten wuchern Unkraut und Gestrüpp. Die meisten Fakultäten sind schon vor einigen Jahren nach Zografu umgezogen, nur die Architekten und die Bibliothek sind geblieben.

Nach dem Sturz der Militärherrschaft wurde das Universitätsasyl eingeführt, das es der Polizei verbot, Universitätsgelände auch nur zu betreten. Das war eine schöne Idee. Doch was damals zum Schutz der Studenten sinnvoll erscheinen mochte, erwies sich in den folgenden Jahren als fatal. Das Asylrecht wurde derart ausgehöhlt, dass von der schönen Idee nicht viel übrig blieb. Mehr und mehr entwickelten sich die Hochschulen des Landes zu rechtsfreien Räumen für gewaltbereite Anarchisten, Linksextremisten und Berufsrevoluzzer, die sich nach ihren sinnlosen Gewaltorgien und Zerstörungszügen auf das sichere Hochschulterrain flüchteten. Die Regierung blieb tatenlos und die Polizei war machtlos. In einer misslichen Lage befanden sich auch die Universitätsrektoren, die sich nicht trauten, gegen die radikalen Gruppierungen vorzugehen, weil sie Gewalt und Anschläge im eigenen Haus fürchteten. Diese Sorge war berechtigt, denn den terroristischen Organisationen gelang es nicht selten, das akademische Leben komplett lahmzulegen; sie stürmten Vorlesungen, machten aus Hörsälen und Seminarräumen Kleinholz und scheuten nicht davor zurück, auch Professoren tätlich anzugreifen, deren Forschungen ihnen nicht genehm waren. 2005 nahmen vermummte "Autonome" während einer Lesung sogar den späteren Finanzminister Venizelos kurzzeitig in "Geiselhaft". Erst nachdem eine hilflose Polizei ihnen freien Abgang zugesichert hatte, liessen sie ihn gehen. 2011 hat die Pasok-Regierung diesem empörenden Missbrauch nach mehreren vergeblichen Anläufen endlich ein Ende bereitet. Das gesetzlich verankerte Universitätsasyl wurde abgeschafft.

Exarchia ist keine Gegend mehr, in der man sich gerne aufhält. Die Situation hat sich noch verschärft, seit am Abend des 6. Dezember 2008 der 15jährige Alexandros Grigoropoulos von einem Polizisten erschossen wurde, angeblich versehentlich durch einen Querschläger. Der Todesschuss auf den Schüler, ein halbes Kind noch, war nur der Funke, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte: die über Jahre angesammelte Wut auf den abgewirtschafteten Staat brach sich Bahn, auf die korrupte politische Kaste, das rückständige und ungerechte Bildungswesen, die Misswirtschaft insgesamt und die unfähige Bürokratie, die es bis heute nicht geschafft hat, die alltägliche Steuerhinterziehung speziell der Reichen in den Griff zu bekommen. Der Zorn auf das inhumane System, der schon lange unter der Oberfläche schwelte, löste die schwersten Unruhen seit der Militärdiktatur aus. Eine ungeheure Protestwelle griff auf das ganze Land über, vor allem in den Städten kam es zu schlimmen Ausschreitungen und Strassenschlachten mit der Polizei.

Auch wenn sich die Lage insgesamt inzwischen beruhigt hat, vergessen ist der Vorfall nicht. Vor allem nicht in Exarchia. Dort hat man an dem Haus an der Ecke Mesolongiou/Tsavela, vor dem Alexis oder Gregory, wie ihn seine Freunde nannten, von der tödlichen Kugel getroffen wurde, eine schwarze Gedenktafel mit einem Bild des Jugendlichen und einer Inschrift angebracht, vor das die Menschen noch immer Blumen niederlegen. Sympathisanten haben das Strassenschild ausgetauscht: Die Odos Mesolongiou heisst jetzt Alexandrou-Grigoropolou-Strasse.

Inzwischen meiden auch Athener selbst dieses Viertel. Manche, die in den wohlhabenden Villenvororten im Norden leben, fahren nicht einmal mehr in das Athener Zentrum: "Ich war schon über ein Jahr lang nicht mehr dort" sagte mir ein in Kifisia wohnender Arzt. "Die ewigen Demonstrationen und die Strassenschlachten der Autonomen mit der Polizei sehe ich mir im TV an."  Das scheint mir stark übertrieben zu sein. Denn abgesehen von wenigen Quartieren ist Athen immer noch eine sichere Stadt. Im Nachbarviertel von Exarchia, in Kolonaki, pulsiert das Leben wie eh und je, in den Cafes und Restaurants findet man zu keiner Zeit kaum einen Platz. Dasselbe gilt für die anderen Stadtteile im Zentrum, ausgenommen eben Exarchia und die Gegend um den nahen Omoniaplatz.

      

Samstag, 4. Mai 2013

Griechische Insel zu verkaufen

Griechenland macht nun endlich ernst mit der seit 2011 von der Troika geforderten, der Regierung jedoch nur zögerlich begonnenen Privatisierung. Als erstes Unternehmen wurde Anfang Mai ein "Kronjuwel" privatisiert, der staatliche Lotterie- und Wettveranstalter Opap. 33 Prozent gingen auf das tschechisch-griechische Konsortium Emma Delta über, an dem der griechische Reeder Giorgios Melissanides zu einem Drittel beteiligt ist. Emma Delta zahlte dem griechischen Staat inklusive Dividende 712 Millionen Euro. Die Privatisierung des nationalen Gasversorgers Depa, die Anfang Juni abgeschlossen sein sollte, ist geplatzt. Der einzige Interessent, die russische Gazprom, hat kein verbindliches Gebot abgegeben. Bis zum Jahr 2015 wollte Griechenland elf Milliarden Euro aus der Veräusserung von Staatsvermögen erlösen, die zur Schuldentilgung eingesetzt werden müssen. Dieses Ziel dürfte wohl nicht mehr zu erreichen sein. 2011 hatte man noch mit erheblich höheren Einnahmen, mit 50 Milliarden Euro, gerechnet.

Da der Verkauf aus dem im Privatisierungsprogramm vorgesehenen Staatsbesitz bei weitem nicht die erwarteten Erträge bringt - manche Firmen, z.B. die griechische Eisenbahn, sind so marode, dass jeder Investor von vornherein abwinkt -, hat die griechische Regierung jetzt auch die Inseln ins Visier genommen. Sie erwägt zwar nicht deren Verkauf, das lässt die derzeitige Gesetzeslage nicht zu und das ist auch nicht gewollt, zieht aber die langjährige Verpachtung unbewohnter Inseln in Betracht, die für die Entwicklung touristischer Projekte geeignet erscheinen. Allerdings sind diese Pläne, so beschloss es das Parlament im Februar 2013, vor ihrer Ausführung dem Verteidigungsministerium und dem Ministerium für öffentliche Sicherheit zur Prüfung vorzulegen. Die Pachtdauer soll 30 bis 50 Jahre betragen.

Griechenland hat über 2000 Inseln und Inselchen, sie machen ein Fünftel der Landesfläche aus. Rund 180 Inseln sind bewohnt, etwa 500 befinden sich in Privatbesitz. Inzwischen sind 60-70 kleine Privatinseln auf dem Markt. Die neu eingeführte Immobilienabgabe und die höhere Grundsteuer zwingen auch wohlhabende Eigentümer, sich von ihrem Grundstück, ihrer Villa oder Insel zu trennen. In diesen Zeiten sind selbst die Superreichen gezwungen, auf ihre Budgets zu achten. Da aber die meisten Inseln aus unterschiedlichen Gründen nicht bebaut werden können, etwa weil sie unter Naturschutz stehen, archäologische Stätten oder militärisches Gebiet sind und ähnliches mehr, finden sie nur schwer Käufer. Somit reduziert sich das Angebot, das Investoren anlocken könnte, auf rund ein Dutzend.

Eine davon ist die vier Quadratkilometer grosse Felseninsel Patroklos nahe Kap Sounion, auf dem der berühmte Poseidontempel steht. Sie soll 150 Millionen Euro kosten. Zum Verkauf steht auch das kreisrunde Inselchen Agios Athanasios im Golf von Korinth, das mit nur 1,6 Millionen Euro ziemlich preiswert erscheint. Sie wird als "Privatinsel mit altem Baumbestand (Oliven- und Feigenbäume) sowie kleinem Strand (ca. 300 qm)" angeboten. "Die Gesamtfläche beträgt 11 000qm - nicht eingeschlossen die offizielle Küstenlinie. 8500 qm haben den Grünen Stempel, d.h. sie sind vom Landwirtschaftsministerium zur Bebauung freigegeben." Im Angebot ist auch eine zur Diapori-Gruppe gehörende Insel im Argosaronischen Golf, die schnell von Piräus aus zu erreichen ist, ein Inselchen in der Südägäis bei Amorgos sowie drei kleine Eilande im Ionischen Meer nahe Korfu.

Im Ionischen Meer hat auch der Emir von Katar zugeschlagen. Er kaufte im Frühjahr 2012 sechs unbewohnte Inselchen, die schon von antiken Autoren erwähnten Echinades. Sie liegen direkt vor dem Festland nahe Ithaka, der mythischen Heimat des Odysseus. Für die kleine Gruppe soll er 8,5 Millionen Euro bezahlt haben. Angeblich war der Makler heilfroh, die Inseln los geworden zu sein, weil sie schon 40 Jahre am Markt waren. Dass die Käufer nicht Schlange stehen, hat nichts mit der Qualität oder Beschaffenheit der Inseln zu tun, sondern mit den starren bürokratischen Hürden, die jeden gutwilligen Investor abschrecken. Den Käufer erwartet oft eine langjährige Odyssee durch verschiedene Ministerien und Behörden, um die notwendigen Papiere zu erlangen. Selbst dem Emir machen die rigiden Bauvorschriften zu schaffen. Die Villen, die er für seine umfangreiche Familie - drei Ehefrauen und 24 Kinder - bauen möchte, dürfen nicht grösser als 250 qm sein. So gross sei daheim allein schon sein Bad, liess er wissen. Und Ioannis Kassianos, der griechisch-amerikanische Bürgermeister von Ithaka, zu dem die Echinades verwaltungsmässig gehören, sagte der Europe News am 5. März: "Auch wenn man eine Insel kauft, sogar als Emir von Katar, dauert es eineinhalb Jahre, bis der Papierkram durchgestanden ist."  Offiziell ist der Emir noch immer nicht der Besitzer. (Kleine Anmerkung am Rande: Kassianos, Bauunternehmer und Multimillionär, wurde 2013 wegen Steuerhinterziehung und Korruption als Bürgermeister abgesetzt.)

Der Griechenlandliebhaber kann beruhigt sein: Einen Ausverkauf der Inseln wird es nicht geben. Da sei die Bürokratie vor.





Donnerstag, 25. April 2013

Fava - eine Spezialität aus Santorin

Fava - eine Spezialität aus Santorin - und was wir den Griechen sonst noch unbedingt abkaufen sollten


Fava sind eine Köstlichkeit. Wer Santorin besucht, sollte nicht versäumen, dieses Gericht, das die meisten guten Restaurants anbieten, zu bestellen. Man findet es auch auf anderen südlichen Kykladeninseln wie Paros, Naxos und vor allem Milos, aber dort muss man oft lange nach einem Lokal suchen, das diese Hülsenfrucht auf seiner Speisekarte führt bzw. sie nach dem Originalrezept und mit den echten Santorini-Bohnen zubereitet. Serviert mit lokalen "Accessoires" wie kleingehackten roten Zwiebeln, frischem Dill oder Kapernblätter und einem Schuss kräftigen, nativen und vor allem ungepanschten Olivenöl kann Fava zu einer Leibspeise werden.

Fava sind kleine gelbliche platte Bohnen von etwa zwei Milimeter Durchmesser, deren besonderer Geschmack und typische qualitative Merkmale auf die spezielle Santorini-Erde zurückgeführt werden. Ihre Einzigartigkeit ist den Umwelt- und Anbaubedingungen, die es nur hier gibt, zu verdanken, sowie einem speziellen Trocknungsverfahren.

Aufgrund der aussergewöhnlichen Bodenbeschaffenheit - vulkanische Erde - , den Klimabedingungen und der Pflanzenart haben die Fava Santorins einen sehr hohen Anteil an Kohlehydraten (63 Prozent) und Proteinen (20 Prozent). Für Vegetarier und Veganer sind sie die ideale Kost.

Das Anbaugebiet der echten Santorini-Bohnen ist eng begrenzt: auf Santorini und Thirasia sowie die winzigen unbewohnten Nebeninseln Aspronisi, Christiana und Askania. Archäologische Funde (Samen) aus Akrotiri belegen, dass Fava hier bereits seit 3600 Jahren kontinuierlich angepflanzt wird.

Fava gibt es auf Santorini in jedem Supermarkt. Da die echten Bohnen rar sind, haben sie einen stolzen Preis: 500 Gramm kosten sieben bis acht Euro. In Athen bekommt man die Original-Fava in den gehobenen Supermärkten. Wer nicht soviel Geld ausgeben möchte, kann Fava-Bohnen aus anderen Anbaugebieten für knapp ein Drittel dieses Preises kaufen. In Deutschland findet man Fava in Läden, die sich auf mittelmeerische Produkte spezialisiert haben.

Was können wir den Griechen sonst noch abkaufen, um ihnen ökonomisch ein wenig unter die Arme zu greifen? Worin sind sie Spitze?  Spitze ist griechischer Spargel, der vor allem im Norden angebaut wird. Er ist im Geschmack kräftiger als der deutsche, ist einige Wochen eher auf dem Markt und sehr viel billiger. Ähnliches gilt für die griechischen Kirschen, die gewöhnlich etwas kleiner als die deutschen sind, aber unübertroffen süss und voll im Geschmack. Keine Spur von Wässrigkeit. Auch mit anderen Agrarprodukten wie Pfirsichen, Aprikosen und Melonen könnten die Griechen erheblich mehr punkten, wenn sie endlich die italienischen Grosshändler ausschalten und sich ihre eigenen Vertriebswege schaffen würden.

Exportschlager sind Oliven, besonders die schwarzen aus Kalamata, und natürlich ihr berühmtes Olivenöl. Mit rund 430 000 Tonnen pro Jahr ist Hellas drittgrösster Produzent global. Feinschmecker und Sterneköche schwören auf das unnachahmlich aromatisch-bitterfruchtige "grüne Gold" aus Kalamata und einiger Anbaugebiete auf Kreta. Griechenland hat das beste Öl der Welt und verschleudert den grössten Teil an die Italiener, die es mit älterem italienischen, zum Teil auch marokkanischem Öl panschen und diesen Verschnitt unter italienischen Markennamen zu einem hohen Preis exportieren - auch in die griechischen Supermärkte. Weil die hellenischen Erzeuger keine modernen Abfüllanlagen haben, die Oliven nur in Einzelfällen an Ort und Stelle weiterverarbeitet werden und nicht in wirtschaftlich rentablen Mengen, gelangen nur knapp zehn Prozent direkt in den Handel. Ausserdem mangelt es an Marketingstrategien, die die meist familiär geführten Betriebe gar nicht leisten können, und wohl auch an Unternehmergeist. Damit verschenken die Griechen die Chance, ein Qualitätsprodukt ersten Ranges selbst auf den Markt zu bringen. Das grosse Geld verdienen die Italiener.

Ähnliches trifft auch auf andere Produkte zu. Manche griechischen Erzeugnisse kennt der deutsche Käufer gar nicht, weil sie hier kaum angeboten werden, wie Nüsse (besonders Pistazien), Honig, Käse - noch immer verbindet er mit Hellas nur Feta, Joghurt und Satziki - , darunter ganz hervorragende Hartkäsespezialitäten und anderes mehr. Da der Anteil des Agrarsektors am Export immerhin gut 20 Prozent beträgt, muss dieser Bereich erheblich ausgeweitet werden. Die Vermarktung muss professionalisiert und die industrielle Verarbeitung erhöht werden. Es ist nun mal das Hauptproblem Griechenlands, dass im Land selbst zu wenig produziert wird. Die klein- und mittelständisch geprägten landwirtschaftlichen Betriebe müssen Kooperationen gründen, um die Kosten zu senken und in Europa konkurrenzfähiger zu werden. Bei einem entsprechend grösseren Angebot wären die griechischen Erzeugnisse bekannter und somit auch viel stärker gefragt. Um zum Beispiel in das Sortiment von Supermarktketten aufgenommen zu werden, müssen die Produkte kontinuierlich und in grossen Mengen lieferbar sein. Um dieses Ziel zu erreichen, d.h. die Ausfuhren zu steigern, sind noch erhebliche Anstrengungen nötig. Die Agrarwirtschaft könnte längst konkurrenzfähig sein, hätten die Griechen die seit den neunziger Jahren aus Brüssel ins Land fliessenden Strukturhilfen in die Modernisierung der Landwirtschaft gesteckt und sie nicht auf unverantwortliche Weise für den Kauf teurer Autos oder Ferienhäuser verpulvert. Das ist Vergangenheit, aber dieses kurzsichtige Denken, von den damaligen nur auf Machterhalt bedachten Parteien noch gefördert oder zumindest nicht verhindert, hat sie langfristig um den Gewinn gebracht.

Es gibt jedoch auch Erfolgsgeschichten: Die Naturkosmetikfirma Korres, 1996 von Georgios Korres gegründet und inzwischen die grösste Griechenlands, arbeitet ausschliesslich mit natürlichen Inhaltsstoffen. Die Produkte des börsennotierten Unternehmens gibt es in 30 Ländern, auch in Deutschland, in Apotheken und guten Einzelhandelsgeschäften. Ein anderes, ebenfalls börsennotiertes und international tätiges Unternehmen ist Creta Farm. Es hat ein Verfahren entwickelt, das einen Teil der tierischen Fette aus dem Fleisch entfernt und durch gesundes Olivenöl ersetzt. Beide Firmen sind in der Krise sogar gewachsen.

Eine Erfolgsgeschichte könnte auch der Handel mit Wein werden: Die Anbaubedingungen sind optimal: kalkhaltige Böden, ganzjährige Sonneneinstrahlung, kaum Reblausbefall, so dass keine massiven Chemie-Einsätze notwendig werden, und eine grosse Anzahl einheimischer Rebsorten - ca. 300 -, die bestimmte Mikroklimata brauchen und anderswo nicht angesiedelt werden können. Griechische Weine gibt es in fünf Qualitätsstufen, die von hoher Qualität aus kontrollierten Anbaugebieten - zur Zeit sind das 25 - bis zur letzten Kategorie Tafelwein reichen.  Aber auch wenn dem griechischen Wein das Retsina-Image längst nicht mehr anhaftet (der Harzwein nimmt in der Kategorisierung übrigens eine Sonderstellung ein), sind noch immer viele erstklassige Erzeugnisse ausserhalb Griechenlands relativ unbekannt. Mittlerweile gibt es eine grosse Auswahl erlesener Weine, die dabei sind, sich zu ernsthaften Konkurrenten italienischer und französischer Spitzenerzeugnisse zu entwickeln. Aber auch hier hapert es am Export: Ebenso wie beim Olivenöl werden noch nicht einmal zehn Prozent der jährlichen Produktion (rund 4.000.000 Hektoliter)  in Flaschen ausgeführt. Die bekanntesten und grössten Weinhersteller sind Achaia Clauss, Tsantali und Boutari. Boutari besitzt sechs Weingüter in Griechenland und eins im französischen Languedoc.

Dennoch gibt es inzwischen einige Lichtblicke in der Krise. Seitdem die jetzt ins sechste Jahr gehende schwere Rezession jeden vierten Griechen (26 Prozent) und bei den unter 25jährigen jeden Zweiten (57 Prozent) arbeitslos gemacht hat, strömten Zehntausende aus den Städten zurück aufs Land, um die brachliegenden Felder ihrer Eltern oder Grosseltern zu bewirtschaften. Unter den Neubauern sind viele Akademiker, die Unternehmergeist mitbringen, Export-Netzwerke bilden und auf biologischen Anbau setzen. Speziell die grossen Inseln bieten wegen der geringen Umweltverschmutzung - es gibt kaum Industrien - die besten Voraussetzungen. Manche spürten Nischen auf, bauen Aloe Vera an, züchten Pilze, sammeln Weinbergschnecken oder Trüffel. Tausende von ihnen erhielten verbilligte Kredite, die beim Aufbau der neuen Existenz helfen. Um sich endlich von den veralteten agrarischen Geschäftsmodellen zu verabschieden, werden den Landwirten Schulungen in Ökologie und Betriebswirtschaft angeboten. Diese Schritte scheinen erste Erfolge zu zeitigen, zumindest für Wein und Olivenöl. Ihre Exporte nach Deutschland nahmen im Jahr 2012 um 24 Prozent (Wein) und 18 Prozent (Olivenöl) zu.

Es gibt noch sehr viel ungenutztes Potential in der griechischen Landwirtschaft. Und damit gute Zukunftsperspektiven.

Freitag, 15. März 2013

Cafe Economou

Das Cafe Economou in der Hamburger Kunsthalle

Ein griechischer Wohltäter in Hamburg


Die Hamburger Kunsthalle am Glockengiesserwall ist das bekannteste Kunstmuseum der Hansestadt und eines der bedeutendsten, grössten und seit Jahren bestbesuchten von ganz Deutschland. Seine Sammlungen sind von internationalem Rang und decken ein breites Spektrum ab, sie reichen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Schwerpunkte sind die italienische Renaissance, die französische Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts, Impressionismus und Klassische Moderne. 1997 hinzugekommen ist die grossartige Galerie der Gegenwart. In dem von Oswald Mathias Ungers konzipierten vierstöckigen Kubus werden alle wichtigen zeitgenössischen Künstler präsentiert, darunter Baselitz, Polke, Gerhard Richter, Jenny Holzer, Op- und Pop-Artisten wie Warhol, um hier nur einige wenige zu nennen.

Damit sich die Kunstliebhaber von dem überwältigenden Kunstangebot in kongenialem Rahmen erholen können, hat man zwei neue Cafe-Restaurants eingerichtet: The Cube in der Galerie der Gegenwart mit einer grossen Sonnenterrasse zur Alster und das Cafe George Economou, das erst im September 2011 eröffnet wurde, in der Rotunde. Namensgeber ist George Economou, ein milliardenschwerer griechischer Reeder, Unternehmer und Kunstsammler. Sein temperamentvoller Agent Dimitri Gravanis, den alle nur Dimitri nennen, liebt es, die Auktionssäle aufzumischen. Er ist durch sein nicht eben diskretes Auftreten in den grossen deutschen Häusern wie Villa Grisebach in Berlin, Neumeister und Ketterer in München oder Lempertz und Van Ham in Köln bestens bekannt. So liefert er sich oft heftige Bieterduelle mit Konkurrenten und sorgte schon verschiedentlich für Rekordpreise. Geld scheint keine Rolle zu spielen!

Durch die finanzielle Unterstützung eines griechischen Grosssammlers war es der Hamburger Kunsthalle nun also möglich geworden, die stylische Einrichtung des Museumscafes durch Philippe Starck zu realisieren, mit Tischen und dreibeinigen Stühlen, die der Stardesigner 2006  für das legendäre Cafe Costes im Pariser Hallenviertel entworfen hat. 250 000 Euro war Economou die Namensgebung wert. Griechenland steht vor der Pleite und ein Grieche spendiert der Hamburger Kunsthalle ein luxuriöses Cafe. Fühlt sich Museumsleiter Hubertus Gassner wohl bei diesem Gedanken? Das fragte ihn das Hamburger Abendblatt in einem Interview am 14.Dezember 2012.

"Was hat George Economou dafür getan, dass das Cafe seinen Namen tragen darf?" fragte das Abendblatt.
Die Antwort Gassners: ".... Da uns das Geld für die Neueinrichtung eines Cafes fehlte, habe ich ihn gefragt, ob er sich dafür engagieren würde. Daraufhin hat er uns 250 000 Euro zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung bleibt sein Name insgesamt sieben Jahre lang bestehen ... Dass Griechenland mal so zum Thema werden könnte, war damals gar nicht abzusehen."
Abendblatt: "Economou ist nicht nur Kunstsammler, sondern gehört auch zu jener kleinen Schicht steinreicher Griechen, die jetzt aufgrund ihres Verhaltens heftig in der Kritik stehen. Ist das für Sie ein Problem?"
Gassner: "Das kann sich zum Problem entwickeln. Aber ich konnte die ökonomische Entwicklung in Griechenland nicht voraussehen, als ich 2009 den Vertrag mit ihm schloss. Ausserdem ist George Economou ein in der Hamburger Geschäftswelt ausserordentlich gut beleumundeter Mensch. Hier hat er als Kunstsammler und als Geschäftsmann einen sehr guten Ruf."
Auf die Frage, ob es nicht merkwürdig ist, wenn sich ein griechischer Mäzen während sein eigenes Land mitten in einer Krise steckt ausgerechnet für ein deutsches Museum engagiert, antwortete Gassner: "Das ist eine moralische Frage. Natürlich kann man darüber nachdenken, warum er nicht ein Museumscafe in Athen, sondern in Hamburg finanziert. Beantworten kann ich das aber nicht."

Es klingt nicht so, als würde sich der Museumsmann über die griechische Krise den Kopf zerbrechen. Das Cafe allerdings ist wirklich rundum schön. Hier geht man auch gerne hin, ohne in einer der Ausstellungen gewesen zu sein.

Donnerstag, 14. März 2013

Die Crux mit den Athener Strassennamen


Es verlangt nicht selten eine gewisse Findigkeit, in Athen von A nach B zu gelangen. Die hohe Kunst, eine Strasse oder bestimmte Adresse zu finden, ist oftmals zeitraubend und kompliziert und stuerzt nicht nur Athen-Unkundige in tiefste Verwirrung. Je nach der Regierung nämlich, die gerade an der Macht ist, werden Strassen und Plätze häufig umbenannt, speziell die repräsentativen. In letzter Zeit hat man sich damit gluecklicherweise zurueckgehalten - gegenwärtig gibt es gewichtigere Probleme - , aber die frueheren Aenderungen verursachen noch immer Schwierigkeiten und bereiten ziemliche Umstände.

Die Strassenschilder, die die Namen vorbildlich jeweils in griechischen und lateinischen Lettern widergeben, helfen nicht immer weiter. Manche nennen nur den gebräuchlichen alten Namen, andere den alten und den neuen und manche nur die neue Bezeichnung; man wundert sich auch gelegentlich ueber ein und dieselbe Strasse, die an ihrem Anfang den einen und an ihrem Ende einen anderen Namen trägt. Eine Strasse, die mich seit Jahren regelmässig verzweifeln laesst, ist die Odos Adrianou, die mitten durch die Altstadt Plaka zieht. An der Römischen Agora macht sie urplötzlich einen Knick, der Dexippou heisst. An dessen Ende muss man in die Areos einbiegen, bevor man sich - nach links gehend - in der Adrianou wiederfindet (sofern man nicht die schlecht einsehbare, von Touristenmassen blockierte Abzweigung verpasst hat und unversehens und einigermassen ratlos im Gedraenge des Monastiraki-Platzes umher irrt). Gluecklich also in der Adrianou angekommen, verläuft sie an der antiken Agora vorbei bis hinauf zum Theseion. Wie oft ich hier schon im Kreis gelaufen bin, kann ich an zwei Händen nicht abzählen. Warum die Strasse in ihrer Mitte plötzlich anders heisst, hat sich mir bisher noch nicht erschlossen.

Probleme bereitet auch die Piräos, eine kilometerlange Hauptverkehrsader, die vom Omoniaplatz bis nach Piräus fuehrt. Diese Strasse heisst offiziell P. Tsaldari und so steht es auch auf den Strassenschildern, doch fragt man einen Athener danach, erntet man gewöhnlich ein Schulterzucken. Er kennt sie nur unter ihrem alten Namen Piräos. Vollends tragisch kann es werden, wenn man zur Platia Eleftherias, dem Freiheitsplatz, möchte, von dem aus die Busse nach Dafni und Eleusis abfahren. Er liegt nämlich direkt an der P. Tsaldari-Strasse, die eben alle nur als Piräos-Strasse kennen, und die Platia Eleftherias kennen alle nur unter ihrem alten Namen Platia Koumoundourou - sogar der offzielle von der Griechischen Fremdenverkehrszentrale herausgegebene Stadtfuehrer "Athen" macht hier keine Ausnahme. Da kann man denn schon mal leicht ins Gruebeln oder gar ins Schwitzen geraten und den Bus zum Kloster Dafni verpassen. Jedenfalls empfiehlt es sich bei Verabredungen, einen gewissen Zeitpuffer einzuplanen, um puenktlich zu sein.

Freunde von mir sind im letzten Jahr bei sengender Hitze mehrmals rund um den Omonia-Platz gelaufen, weil sie die vom Platz abgehende Patission nicht fanden, an der das weltberuehmte Archäologische Nationalmuseum steht. Diese Strasse heisst nämlich offiziell 28. Oktovriou und so steht es auch auf dem dortigen Strassenschild. Aber jeder nennt sie nur Patission, ebenso wie jeder die El. Venizelou-Strasse, an der das Schliemann-Haus (mit einem sehr huebschen, stillen Gartencafe) steht, Panepistimiou nennt und den Platz mit dem Rathaus Platia Kotzia und nicht Platia Ethnikis Antistaseos, wie er offiziell heisst.

Die Postboten finden sich in diesem Durcheinander gut zurecht. Ich habe mir sagen lassen, dass die Briefzustellung perfekt funktioniert. Weniger gut geschult und Welten entfernt etwa von ihren Londoner Kollegen, die eine strenge Pruefung bestehen muessen, ehe sie auf ihre Kunden losgelassen werden und denen jede noch so winzige Sackgasse geläufig ist, sind die Athener Taxifahrer. Viele kommen aus Dörfern in Attika und sind den Finessen des Athener Strassensystems selber hilflos ausgeliefert. Wuerde man etwa dem Fahrer als Adresse Platia Filikis Etairias nennen, chauffierte er einen auf der Suche danach vermutlich durch halb Athen, um schliesslich entnervt aufzugeben. Dabei handelt es sich um die mitten im Zentrum gelegene, nur fuenf Gehminuten vom Parlament entfernte Platia Kolonakiou, den Kolonaki-Platz, den jeder kennt und auch so nennt. Diese Liste liesse sich fortfuehren.

Die Uneinheitlichkeit in der Nennung der Strassennamen findet man oft auch in einschlägigen Veröffentlichungen und sogar auf Stadtplänen. Letzteres ist meist dem Platzmangel geschuldet, schliesslich muessen beide Versionen, die griechische und die lateinische, auf kleinstem Raum gedruckt werden.
Was also tun? Das Athener Zentrum ist zum Glueck ziemlich klein, so dass man fast alle Sehenswuerdigkeiten erlaufen  kann. Um ohne Umwege ans Ziel zu gelangen, ist es besser, sich an die gebräuchlichen alten Namen zu halten oder - noch klueger - beide Namen zu wissen. Ferner sollte man immer einen Stadtplan zur Hand haben, um auf die entsprechende Adresse zu tippen, wenn man gar nicht weiter weiss. Am allerkluegsten aber ist es, nicht in Hektik zu verfallen, sondern sich in eines der vielen Strassencafes zu setzen und bei einem Cappuccino oder Eiskaffee den Trubel drumherum zu geniessen, der Athen ausmacht. Sie muss man jedenfalls nicht suchen, Cafes und kleine Tavernen gibt es genug und ueberall. Hier kann man dann in aller Ruhe den Stadtplan studieren und gegebenenfalls den Kellner nach dem Standort der gesuchten Sehenswuerdigkeit fragen. Er kann in den meisten Fällen weiterhelfen und wenn ausnahmsweise nicht, wird er sich genötigt sehen, einen der Angestellten oder der griechischen Gäste zu fragen. Sein Ziel erreicht man immer, und sei es in Begleitung.

Erzbischof Damaskinos und Evangelos Evert

Zwei Gerechte unter den Völkern

Wenn man vom Sintagmaplatz in Richtung Plaka geht, passiert man einen weitläufigen Platz, an dem die Grosse Mitropolis steht, die Kirche des orthodoxen Erzbischofs von Athen. In ihr heiratet mit allem Prunk, wer in Athen Rang und Namen hat, hier werden die Minister vereidigt, und auch zu den obligaten Ostergottesdiensten sieht man hier viel Athener Prominenz.

Die Metropolitankirche war auch die Wirkungsstätte von Erzbischof Damaskinos, dem Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche während der Zeit der deutschen Besatzung. An ihn erinnert das Denkmal in der Mitte des Platzes. In den marmornen Sockel ist ein Satz graviert, der von beispielloser Kuehnheit, ja, geradezu Waghalsigkeit, kuendet: "Die griechischen Priester werden nicht erschossen, sie werden gehängt. Bitte respektieren Sie diese Tradition." Dies war die Antwort des Erzbischofs an den SS-Brigadefuehrer und Generalmajor der Polizei, Juergen Stroop, der das widerständige Verhalten des obersten Kirchenmannes mit unbaendigem Hass verfolgte und ihm drohte, ihn wegen seiner Proteste gegen die Verfolgung der griechischen Juden erschiessen zu lassen. Bevor Stroop nach Athen kam, hatte er sich in Warschau hervorgetan und den Aufstand im Ghetto grausam niedergeschlagen. Um seine "Meriten" bei der Zerstörung des Ghettos angemessen zu praesentieren, fertigte er eine Bilddokumentation an, die als sogenannter Stroop-Bericht später, nach 1945, eine entscheidende Rolle in den Nuernberger Prozessen spielte.

Über die Massnahmen der nationalsozialistischen Besetzer gibt eine "Anordnung" Stroops vom 4. Oktober 1943 Auskunft, die drei Tage später in der Athener Zeitung "Eleftheros Vima" veröffentlicht wurde. (Im Juedischen Museum in der nahen Odos Nikis hängt das deutsche Originaldokument.) Darin heisst es unter Punkt 3, dass alle Juden "in Athen und Vororten verpflichtet (sind), sich binnen fuenf Tagen bei der Juedischen Kultusgemeinde in Athen zu melden und sich dort registrieren zu lassen..." Punkt 4 drohte: "Juden, die diesen Anordnungen nicht nachkommen, werden erschossen. Nichtjuden, die Juden versteckt halten, ihnen Unterschlupf gewähren oder ihnen zur Flucht behilflich sind, werden in Arbeitslager eingewiesen, falls keine schwerere Bestrafung erfolgt." Unmissverständlich war auch Punkt 9: "Die griechischen Polizeibehörden werden angewiesen, die Durchfuehrung obiger Anordnung auf das schärfste zu kontrollieren und zuwiderhandelnde Juden oder Personen, die ihnen bei der Nichtbeachtung der Anordnung behilflich sind, sofort festzunehmen."

Weder die Athener Juedische Gemeinde noch die griechischen Polizeibehörden kamen den Befehlen des SS-Fuehrers nach. Im Gegenteil, sie widersetzten sich ohne Ruecksicht auf das eigene Risiko den Forderungen der Gestapo. Kultusgemeinde, orthodoxe Kirche und Polizei arbeiteten Hand in Hand und ergriffen sofortige Massnahmen, um die Juden zu schuetzen. Erzbischof Damaskinos hatte bereits im März 1943 an die deutschen Besatzungsbehörden appelliert, die Vertreibung griechischer Staatsbuerger sofort zu beenden. Als die ersten Deportationen Mitte März in Saloniki einsetzten, verfasste er ein Memorandum, in dem er die Judenverfolgungen öffentlich verurteilte und sich nachdruecklich fuer die Juden einsetzte. 29 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hatten den Appell mitunterzeichnet, was unter den damaligen Bedingungen des Terrors viel Mut erforderte. Darunter waren die Präsidenten der Athener Akademie, der Universitäten, der Handelskammer sowie die Leiter weiterer bedeutender akademischer, wirtschaftlicher und kuenstlerischer Institutionen.

Doch alle Versuche, die Juden von Saloniki zu retten, schlugen fehl.

Angespornt durch das couragierte Engagement des Metropoliten wies der Athener Polizeipräsident Angelos Evert seine Behörde an, Juden bei Bedarf falsche Papiere auszustellen. Mehrere hundert Personen erhielten auf diese Weise neue Ausweise und Pässe und entgingen so der Deportation in die Vernichtungslager. Manche Personalurkunden fertigte Evert eigenhändig aus. Erzbischof Damaskinos gab Menschen mosaischen Glaubens eine christliche Identität. Er erteilte falsche Taufscheine und rief die Geistlichen in den Klöstern ausdruecklich dazu auf, jeden juedischen Fluechtling aufzunehmen, der um Schutz bäte. Ein breites Netz der Fluchthilfe entstand.

Das Verhalten der kirchlichen, politischen und intellektuellen Eliten schuf die Voraussetzung dafuer, dass sich auch die Bevölkerung von den Drohungen der deutschen Besetzer nicht einschuechtern liess. Viele Juden kamen bei ihren christlichen Landleuten, bei Freunden und Nachbarn, unter; andere gingen mit den Partisanen in die Berge wie der Oberrabbiner Elias Barzelai, der die Athener juedische Gemeinde während der Nazizeit und danach - er hatte ueberlebt - betreute. Im Gegensatz zu seinem Kollegen in Saloniki, Oberrabbiner Zwi Koretz, hatte er die Zusammenarbeit mit den Deutschen auf ein Minimum beschränkt. So kam er der Aufforderung, ihnen die Einwohnerlisten der Athener Juden auszuhändigen, nicht nach, sondern zerstörte die bestehenden Karteien, damit sie den Besatzern nicht in die Hände fielen. Schätzungen zufolge hielten sich damals etwa 8000 bis 10 000 Juden in Athen auf, grossteils Fluechtlinge aus Saloniki. Die meisten entgingen so der drohenden Deportation in die Vernichtungslager. Von den 800 Menschen hingegen, die im April 1944 nach Auschwitz transportiert wurden, ueberlebten nur wenige. 

Erzbischof Damaskinos (1891-1949) und Angelos Evert (1894-1970) - uebrigens der Sohn eines bayerischen Offiziers der Königlichen Gendarmerie Ottos I. -  wurden 1969 vom Staat Israel als "Gerechte unter den Völkern" geehrt, das ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden zu vergeben hat. Sie wurde bisher insgesamt 313 Griechen verliehen.

Dienstag, 5. Februar 2013



Die Juden von Sakinthos

Im Hauptort der Insel, in Sakinthos-Stadt, wurden in der Tertseti-Strasse, am Platz der ehemaligen Synagoge, zwei Stelen aufgestellt, die zwei aussergewoehnliche Menschen ehren. Die eine gedenkt des orthodoxen Erzbischofs Chrysostomos, die andere des Buergermeisters Loukas Karrer.

Wie ganz Suedgriechenland und einige Inseln lag Sakinthos bis zur Kapitulation Italiens im September 1943 in der italienisch besetzten Zone, danach fiel es ebenso wie das uebrige Gebiet an die deutschen Besatzer. Da die Italiener dem Rassegedanken der Nazis keine sonderliche Sympathie entgegenbrachten und sich weigerten, in ihrer Zone antijuedische Massnahmen durchzufuehren, konnten sich die Juden vor Verfolgung relativ sicher fuehlen. Erst als die Deutschen dort die Herrschaft uebernahmen, setzten die Festnahmen und Deportationen in die Vernichtungslager ein.

Dieses Los war auch den Juden von Sakinthos zugedacht, ihre 2000 Schicksalsgenossen der Nachbarinsel Korfu waren bereits am 20. Juni nach Auschwitz transportiert worden. Schon kurz nach seiner Ankunft  bestellte der Kommandant der deutschen Militaerverwaltung Buergermeister Karrer zu sich und forderte ihn auf, eine Liste aller auf  Sakinthos lebenden Juden zu erstellen. Was das bedeutete, war offensichtlich. Karrer besprach sich mit dem Metropoliten, Chrysostomos, der einst in Deutschland studiert hatte und gut Deutsch sprach. Die beiden stellten eine Liste zusammen und ueberreichten sie dem deutschen Kommandeur in einem verschlossenen Umschlag. Dieser fand darin ein Blatt Papier, auf dem lediglich zwei Namen standen: Metropolit von Sakinthos, Chrysostomos; Loukas Karrer, Buergermeister.

Zuvor hatten die beiden noch veranlasst, dass alle juedischen Bewohner sicheren Unterschlupf bei ihren christlichen Landsleuten in den Bergdoerfern fanden. Da sie gut in die Inselgemeinschaft integriert waren, bereitete das keine Schwierigkeiten.

Alle 275 Juden der Insel haben ueberlebt. Damit ist die juedische Gemeinde von Sakinthos die einzige in ganz Griechenland, die keines ihrer Mitglieder verlor. Loukas Karrer (1909-1985) und Erzbischof Chrysostomos (1890-1958) geschah ebenfalls nichts. Den Kommandeur hat moeglicherweise ihr couragiertes Vorgehen beschaemt und er traute sich nicht, zwei Menschen in Gewahrsam zu nehmen, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um das anderer zu retten. Karrer und Chrysostomos  wurden 1978 in Yad Vashem als "Gerechte unter den Voelkern" geehrt.

Die Synagoge ist uebrigens nicht von den Deutschen zerstoert worden, sondern fiel dem schweren Erdbeben im Jahr 1953 zum Opfer.

Donnerstag, 10. Januar 2013



Holocaustdenkmaeler in Athen und Saloniki

Am 13. Mai 2010 war es endlich soweit. Nach jahrelangen Benuehungen und Verhandlungen der juedischen Gemeinde mit den Behoerden wurde nun auch in Athen ein Denkmal fuer die griechischen Opfer des Holocaust eingeweiht. Es befindet sich im Stadtviertel Psirri, an der Kreuzung Melidoni/Ermou, in einer kleinen Gruenanlage direkt oberhalb des antiken Friedhofs Kerameikos.

Das schlichte Denkmal aus weissem Marmor ist in der Form eines zerbrochenen Davidsterns gestaltet, dessen sechs dreieckige Teile wie ein Kompass in alle Himmmelsrichtungen weisen, dahin, wo die griechischen Staedte und Inseln liegen, deren juedische Bevoelkerung im Zweiten Weltkrieg ermordet wurde. In jeden Stein sind die Namen der Orte graviert, deren juedische Einwohner von Maerz 1943 bis August 1944 in die deutschen Konzentrationslager, die meisten nach Auschwitz, deportiert und vernichtet wurden; fast 59 000 griechische Juden - Maenner, Frauen und Kinder - wurden damals in den sicheren Tod geschickt. Der sechseckige zentrale Block steht fuer Erneuerung und Ueberleben. Die Skulptur schuf die amerikanisch-griechische Installationskuenstlerin und Bildhauerin DeAnna Maganias (geb. 1967), die in Athen und New York lebt und arbeitet.

Der Standort des Denkmals koennte in seiner Symbolkraft nicht besser gewaehlt sein: Zum einen mit Blick auf die antike Begraebnisstaette Kerameikos, zum anderen zur nur wenige Schritte entfernten Beth-Shalom-Synagoge in der Melidonistrasse. Da die Verhaftungen der Athener Juden weit hinter den Erwartungen der deutschen Besatzungsbehoerden zurueckblieben, griffen sie zu einem Trick: Am 24. Maerz 1944 kuendigten sie an, in der Synagoge werde Mehl fuer das nahende Pessachfest verteilt. Viele Gemeindemitglieder liefen in die Falle. Sie wurden festgenommen und anschliessend im Durchgangslager Chaidari unter menschenunwuerdigen Bedingungen kaserniert.

In Saloniki erinnert seit 1997, als es Kulturhauptstadt Europas wurde, ein zentrales Mahnmal an die Opfer des Holocaust. Die Bronzeplastik steht an der Platia Eleftherias, dem Freiheitsplatz, wo am 9. Juli 1942 9000 Juden zusammengetrieben und zur Zwangsarbeit im Strassenbau verpflichtet wurden - der erste Vorbote dessen, was folgen sollte. Geschaffen hat das Denkmal der juedische Bildhauer Nandor Glid (1924-1997), der den Holocaust ueberlebte. Es hat die Gestalt eines siebenarmigen Leuchters, einer Menora, deren brennende Arme in Form von Menschen in lodernde Flammen uebergehen. Nandor Glid entwarf 1968 auch das beruehmte "Internationale Mahnmal" fuer die Gedenkstaette Dachau, dessen ineinanderverschlungene Koerper von weitem wie ein monumentaler Stacheldrahtzaun aussehen.

Die Platia Eleftherias ist heute Parkplatz. Das Mahnmal steht an nicht sehr prominenter Stelle an der Seite zur Uferpromenade.

In Saloniki, dem "griechischen Jerusalem", stellten die Juden fuenf Jahrhunderte lang die Mehrheit der Bevoelkerung. Die meisten waren Sepharden, Nachfahren der Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien und Portugal vor der Inquisition geflohenen Juden. Sie sprachen einen altspanischen Dialekt, das sogenannte Ladino oder Spaniolisch. Noch um 1900 war Saloniki eine total juedisch gepraegte Stadt mit einer bluehenden, hochentwickelten Kultur. Erst 1922/23, nach der Ansiedlung Zehntausender griechischer Fluechtlinge aus Kleinasien, wurden sie zur Minderheit. 1941 zaehlte die juedische Gemeinde noch rund 50 000 Personen (ca. 25 Prozent der Einwohner), fast alle (96 Prozent) wurden in die Todeslager verschleppt.

Im April 1941 marschierten deutsche Truppen von Jugoslawien und Bulgarien aus (Balkanfeldzug) in Griechenland ein. Das Land wurde in drei Besatzungszonen aufgeteilt: in die deutsche (Nordgriechenland mit Saloniki), die italienische (Athen und Suedgriechenland sowie der Dodekanes) und die bulgarische (Thrakien). Als erste wurden Anfang Maerz 1943 4100 Juden aus Thrakien von den Nazi-Schergen nach Treblinka geschafft und sofort liquidiert. Am 20. Maerz 1943 setzten in der makedonischen Hauptstadt die Massendeportationen ein, organisiert von den beiden beruechtigten SS-Hauptsturmfuehrern Alois Brunner und Dieter Wisliceny. Binnen nur weniger Monate, bis Mitte August, deportierten sie 48 674 Juden aus Saloniki in 19 Eisenbahntransporten nach Bergen-Belsen (ein Zug, am 2. August) und Auschwitz-Birkenau. Die meisten Menschen wurden sogleich nach ihrer Ankunft vergast; nur 1950 Angehoerige der groessten juedischen Gemeinde Griechenlands ueberlebten und kehrten zurueck. Am alten Bahnhof Salonikis, von dem aus die Zuege in die Todeslager abfuhren, gedenkt eine Tafel der Opfer (auf Griechisch und Englisch).

Nach dem Sturz Mussolinis und der Kapitulation Italiens im Herbst 1943 rueckten die Deutschen in das italienische Besatzungsgebiet vor und begannen mit der Deportation der dortigen Juden, die sich bis dahin unter den Italienern relativ sicher gefuehlt hatten. Die suedgriechischen Juden konnten gluecklicherweise nicht mehr vollstaendig "registriert" werden - die Voraussetzung fuer den Abtransport. Viele von ihnen ueberlebten. Die 1673 Mitglieder zaehlende juedische Gemeinde von Kos und Rhodos dagegen wurde fast vollstaendig "erfasst" und noch Ende Juli 1944 trotz schon grosser Transportschwierigkeiten nach Auschwitz verschleppt. Es war der letzte Transport aus Griechenland. Er traf am 16. August 1944 in Auschwitz ein. Nur 200 Rhodier ueberlebten das Vernichtungslager.

87 Prozent der juedischen Bevoelkerung wurden in den deutschen Konzentrationslagern ermordet, das ist, gemessen an der Gesamtbevoelkerung, eine der hoechsten Raten in Europa. Von den etwa 71 000 Juden, die 1940 in Griechenland lebten, haben knapp 12 000 ueberlebt. Viele von ihnen wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg aus, die meisten nach Israel und in die USA. Heute leben nur noch rund 6000 Juden in Griechenland, davon annaehernd 3000 in Athen und 1300 in Saloniki.

Mittwoch, 2. Januar 2013

Der Steuerfahnder

Der Steuerfahnder

Die Goldstrasse im Hauptort Firá auf Santorin ist einer der groessten Goldmaerkte des Landes. Unzaehlige Laeden saeumen die Straße, die eigentlich Ypapantis heisst, und auch in den Nebengassen haben sich vor allem Juweliere niedergelassen. Es gibt wohl kein Gaesschen hier ohne Schmuckladen. Grosse Namen sind darunter, wie die Athener Nobeljuweliere Nick the Greek und Ilias Lalaounis, "der" Schmuckdesigner schlechthin, der sich in Athen sogar ein eigenes Museum leistet, in dem er seine Preziosen ausstellt.

Das Angebot ist vornehmlich auf die Touristen der Kreuzfahrtschiffe zugeschnitten, die im Hochsommer taeglich eines nach dem anderen in der Caldera anlegen, und auch noch in der Nachsaison ist die spektakulaere Insel Hoehepunkt einer jeden Kreuzfahrt in der Ost-Aegaeis. Dann erstuermen Horden kaufwilliger Touristinnen die Laeden und schwelgen im Luxus pfundschwerer Colliers, Perlenketten, Ringen mit riesigen bunten Steinen, breiten Armreifen, kurz, in allem, was die verfuehrerischen Auslagen hergeben. Das Angebot ist unermaesslich und die Verkaeufer duerften, das sieht man an ihren Mienen, mit der Tageskasse mehr als zufrieden sein.

Natuerlich kann auch ich dem Gold nicht widerstehen. Juwelierlaeden ziehen mich magisch an und selbstverstaendlich verbringe ich auf Santorin immer sehr viel Zeit damit, teuerste Kreationen zu probieren und schliesslich nicht ganz so Hochpreisiges,d.h. in meinem Fall eher Preiswertes, zu erstehen. Man kennt mich und meine Finanzen hier schon. Dieses Jahr im Oktober kaufte ich bei Zoe einen Ring, Silber mit Gold, den ich auf 280 Euro herunterhandelte, und bei Lalaounis, der anscheinend eine preiswerte Nebenlinie aufgelegt hat - vielleicht fuer die gewoehnlichen Touristen, die mit Faehre oder Charterflugzeug kommen oder ueberhaupt als Reaktion auf die Wirtschaftskrise -ein Armband aus Bergkristall mit echtem Goldverschluss fuer 250 Euro. Handeln kann man bei Lalaounis nicht, aber der Preis war fair. In beiden Geschaeften bekam ich eine Rechnung mit genauer Beschreibung des gekauften Stuecks: Goldgehalt und -gewicht, Silbergewicht sowie Name und Qualitaet der Steine. Alles sehr korrekt.

Um so mehr erstaunte mich die Bemerkung der Verkaeuferin, ich solle nicht erschrecken, wenn mich eventuell draussen, auf der Strasse, ein Mann anspraeche und mich auffordere, ihm die Rechnung meines Einkaufs vorzuzeigen. Das sei ein von der Regierung eingesetzter Finanzfahnder, der kontrolliere, ob die Kunden auch eine ordnungsgemaesse Quittung bekaemen. Ich solle das bitte keinesfalls persoenlich nehmen.

Ich glaubte, mich verhoert zu haben. Geschaefte, die hochwertige Waren verkaufen, die zu einem Teil mehrere tausend Euro kosten, wird doch kein Kunde ohne Rechnung und ohne Expertise verlassen. Es ist idiotisch, absurd und eine Verschwendung von Ressourcen, Kontrolleure vor alteingesessene, serioese Juwelierlaeden zu stellen. Das ist wieder einmal ein Beispiel dafuer, wie falsch die ergriffenen Massnahmen eingesetzt werden. Statt dort zu pruefen, wo mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jeder Kaeufer eine Rechnung bekommt, sollten sich die (ohnehin viel zu wenigen) Fahnder auf jene Berufsgruppen konzentrieren, wo sie auch fündig werden. Das sind in Tourismusgebieten Hoteliers, Restaurant- und Barbetreiber, ferner freie Berufe wie Rechtsanwaelte und Aerzte, die tatsaechlich die Moeglichkeit haben, "ueber den Tresen" bar auf die Hand zu kassieren. Und die diese Moeglichkeit auch weidlich nutzen, wie ich auf meiner fuenfwoechigen Reise von Mitte September bis Ende Oktober selbst erfahren habe. Und ich bin kein Einzelfall. Gleiches hoerte ich von anderen Reisenden. Wenn man bedenkt, daß die Schwarzarbeit im vierten Quartal 2012 drastisch gestiegen ist - gut ein Drittel der Beschäftigten arbeitet inzwischen am Fiskus vorbei - duerften besonders Gastronomie und Tourismus lohnende Ziele sein. 

So, wie die Fahndung nach Steuersuendern jetzt betrieben wird, naemlich am falschen Objekt, duerfte sie jedenfalls erfolglos bleiben. Der Gedanke liegt nahe, daß Griechenland zwar das Steueraufkommen erhöhen will - die hinterzogenen Steuern werden pro Jahr auf die unglaubliche Summe von rund 40 Milliarden Euro geschätzt - ohne aber die alltägliche Steuerhinterziehung tatsächlich anzupacken und entschlossen zu bekämpfen. Das sollte man aber von den griechischen Stuerbehörden wohl erwarten dürfen. Würde nur die Hälfte der Steuern bezahlt, gäbe es kein Haushaltsdefizit.

Da ich unbehelligt von Kontrolle blieb - weit und breit war kein Fahnder zu sehen - ging ich hinüber ins "Enigma" direkt am Kraterrand und genoß bei einem Glas sehr kühlen Kallisti-Weins den Ein-Millionen-Dollar-Blick auf die Caldera.