Mittwoch, 2. November 2016

Die Insel Milos - Perlitabbau, Katakomben und das World War II Bomb Shelter oder Refuge Project

Die armlose "Venus von Milo" ist weltberühmt als eines der vielbewunderten Kunstwerke des Pariser Louvre. Die Insel Milos, von der sie stammt, ist weit weniger bekannt. Die Insulaner haben den Tourismus bislang nicht so forciert wie ihre Nachbarn Paros, Naxos, Mikonos und Santorin, die frühzeitig auf den Fremdenverkehr setzten. Dabei ist Milos ein grandioses Stückchen Natur, ein kleines Paradies mit rund sechzig Stränden, Seegrotten, Lagunenlandschaften, bizarren Felsskulpturen und kristallinen Lavaformationen.

Aber Milos ist auch gesegnet mit Bodenschätzen, denen es schon in der Antike seinen Wohlstand verdankte.  Damals war es der harte Obsidian, heute sind es die "seltenen Erden" wie Bentonit, Baryt und vor allem Perlit, denn hier, auf diesem kleinen Ägäis-Eiland, liegt das größte Perlit-Vorkommen Europas; es findet vor allem in der Bauindustrie Verwendung. Abgebaut wird es von der Gesellschaft S & B (Silver & Baryte Industrial Minerals), für die jeder fünfte Milier arbeitet und recht gut verdient. Die Insel ist vergleichsweise wohlhabend. Das Einkommen der Milier liegt insgesamt über dem griechischen Durchschnitt.

S & B richtete auch das kleine Mining Museum in Adamas ein, das eine Vorstellung von den reichen Schätzen unter der Erde sowie einen Überblick über die Geologie, die lange Geschichte des Bergbaus und seine Bedeutung für die Insel gibt.  Am besten besucht man es, bevor man die Insel erkundet.

Auf Milos liegen noch weitere Schätze unter der Erde. So wurden die Gräber der frühchristlichen Katakomben bei Tripiti (die "Durchlöcherte") in die weichen Tuffsteinwände gegraben, dicht aneinander gereihte Nischen an verzweigten unterirdischen Gängen, in denen die Toten begraben wurden. Sie wurden 1840 entdeckt und 1843 von dem deutschen Archäologen Ludwig Ross erforscht.

Ein weiterer ausgedehnter Komplex von in das weiche Felsgestein gehauenen Gängen, Räumen und Treppen wurde 2014 in Adamas, gegenüber vom Fährhafen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: das World War II Bomb Shelter, auch Refuge Project genannt. Damals, im Zweiten Weltkrieg spielte das kleine Milos, auf dem Seeweg nach Kreta und Afrika  liegend, für die Deutschen eine bedeutende strategische Rolle als Basis für die Einnahme Kretas. Deutsche Truppen fielen am 9. Mai 1941 auf Milos ein und besetzten es nach heftiger Gegenwehr. In den Hochzeiten hielten sich hier mehr als 3000 Soldaten auf, die Stellungen und Bunker bauten und Funkanlagen betrieben. Sie blieben genau vier Jahre, erst am 9. Mai 1945 erfolgte die Kapitulation und der Inselkommandant, ein Major Knauer, ergab sich und seine 529 Männer dem griechischen Major Drakoulis Vassilarakis.

Die von den Deutschen ausgehobenen Stollen und Räume, die als Verpflegungs- und Munitionslager sowie als Schutzbunker für die Soldaten dienten, sind heute ein sehr besonderer Ort. Der ganze Komplex ist Kunstgalerie. Siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg finden hier Kunstausstellungen und Installationen statt, und in den Tunneln geht der Besucher auf Entdeckungsreise von einem zum nächsten Kunstwerk.

Nebenan ist eine nach Hippokrates benannte Thermalbadeanlage entstanden, die die natürlichen heißen Quellen gegen Krankheiten wie Rheuma, Arthritis und gynäkologische Beschwerden nutzt. Die 15 Meter lange Höhle wurde mit modernen Einrichtungen versehen.

Es gibt noch weitere Orte auf Milos, in denen die Deutschen Stellungen und Bunker gebaut haben, zum Beispiel an der Nordwestküste und in Plakes. Der dortige Bunker diente im Zweiten Weltkrieg als Lazarett. Seit März 2014  befindet sich hier ein interessantes kleines Museum, das anschaulich die Bedingungen auf Milos in Kriegszeiten darstellt.        

Montag, 31. Oktober 2016

Athen - eine zerbröselnde Stadt?

Die Athener Ruinen, da denkt jeder an die Antike, an Akropolis,  Agora, Zeustempel und andere antike Überreste, die alljährlich Scharen von Besuchern aus aller Welt in die griechische Hauptstadt ziehen. Bei Spaziergängen durch die Stadt stößt man jedoch auf andere Ruinen, die verstörend wirken. Es gibt wohl keine europäische Metropole, in der man mitten im Zentrum auf so viele dem Verfall preisgegebene Gebäude trifft wie in Athen, mehrere Hundert dürften es sein. Es handelt sich in erster Linie um klassizistische Wohnhäuser aus der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, die einst das Gesicht der Stadt prägten. Allein der fleißige deutsche Baumeister Ernst Ziller hat annähernd 600  Gebäude in Athen und Piräus geschaffen. In zeitgenössischen Berichten wurde das damalige Athen denn auch als wunderschöne Stadt beschrieben, Fotos und Gemälde bestätigen das. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen.

Athen war nach den fast 400 Jahren türkischer Besatzung (1456-1830) nur noch ein "Haufen schmutziger Trümmer" - so beschrieb es Graf Prokesch von Osten, der österreichische Gesandte in Athen. Es war ein größeres Dorf, dessen rund 6000 Einwohner zu Füßen der Akropolis wohnten. Dieses Dorf nun machte 1834 den Sprung zur königlichen Residenz- und Hauptstadt des modernen Griechenland, und ein beispielloser Bauboom setzte ein. Die besten deutschen Stadtplaner und Architekten des 19. Jahrhunderts - Leo von Klenze, Friedrich von Gärtner, Eduard Schaubert und sein Freund Stamatis Kleanthis (beide hatten bei Karl Friedrich Schinkel in Berlin studiert), Ernst Ziller sowie die beiden dänischen Brüder Christian und Theophil Hansen - verwandelten den "Haufen" in kurzer Zeit  in eine schmucke klassizistische Stadt. Damals wurden auch die breiten Boulevards angelegt, die das Zentrum bis heute prägen.

Größere Gebäude aus jener Zeit sind, sofern sie öffentlich genutzt werden,  in recht gutem Zustand, ausgenommen das von Lysandros Kaftanzoglou erbaute Politechnion  (neben dem Archäologischen Nationalmuseum), einstmals Eliteuniversität, heute wie so viele Athener Gebäude von Grafitti beschmiert und von Parolen der Qualität  "Fuck you" und "Bullshit" besudelt, zum großen Teil leer stehend, öde und verwahrlost. Das ist um so beschämender, als von hier aus die Unruhen ausgingen, die wesentlich zum Sturz der Militärjunta im Jahr 1974 beigetragen haben. Beschämend auch der Zustand des Denkmals, das der toten Studenten erinnert, die bei der Protestaktion ums Leben kamen - der liegende Bronzekopf : Aus den Sockelritzen sprießt das Unkraut und daneben wurden ausrangierte verrostete Geräte abgelegt, eine Müllkippe.

Einstmals gehörte das Politechnion zu den Athener Sehenswürdigkeiten wie jene gepflegten Gebäude an der Panepistimiou, der Universitätsstraße: das Bauensemble der Athener Trilogie (Akademie, Universität und Nationalbibliothek) von Christian und Theophil Hansen, dem auch Wien mehrere bedeutende Bauten verdankt, das Schliemann-Haus von Ziller, heute Numismatisches Museum, das Arsakeion, die von  Kaftanzoglou erbaute, 1836 gegründete Mädchenschule, ferner die katholische Dionisius-Kathedrale des bayerischen Hofbaumeisters Leo von Klenze und die Augenklinik daneben, ein Entwurf Theophil Hansens, deren Bauleitung Kaftanzoglou oblag. Aber selbst in dieser repräsentativen Hauptstraße, die den zentralen Sintagma- mit dem Omoniaplatz verbindet, fallen einem Ruinen ins Auge  (etwa das schöne langgestreckte Haus neben dem Rex-Kino), mehr noch in der parallel verlaufenden Hauptstraße Stadiou, an der sich zumindest das Alte Parlament, das Palaia Vouli,  in erfreulichem Zustand darbietet; es dient heute als Historisches Nationalmuseum.

Das überaus bescheidene einstöckige Haus in der Nebenstraße Paparigopoulou war die erste Residenz Ottos I. und Amalias, bis sie sieben Jahre später in das frühklassizistische, von Friedrich von Gärtner erbaute Königliche Schloß am Sintagmaplatz einziehen konnten. Die provisorische "Residenz", heute Museum der Stadt Athen mit proper Fassade, hat für Ausländer den Nachteil, das eine unauffällige Tafel am Eingang nur in griechischen Lettern auf die einstige Bestimmung hinweist. Das hält die Besucheranzahl in überschaulichen Grenzen, das Haus ist gewöhnlich leer.

Ein Trauerspiel größten Ausmasses aber ist die seit Jahren voranschreitende Verwahrlosung der privaten Wohnhäuser und Villen. Besonders auffällig ist der Verfall in den Innenstadtquartieren Psirri, Keramikou und Metaxourgio, das - merkwürdig genug -  in manchen Medien noch immer als aufstrebendes Galerienviertel mit einem Zustrom von Künstlern aus aller Welt gepriesen wird, in dem Gentrifizierung stattfindet. Nur wo?  Zu sehen ist nichts, nicht einmal eine zarte Andeutung von Aufschwung, keine chicen Bars, Boutiquen, Galerien,  im Gegenteil. Ganze Straßen verfallen. Als Beispiel sei die Iasonos genannt, eigentlich ein idyllisches Gäßchen, baumbestanden, mit rund zwanzig Häusern auf jeder Seite. Von den meisten stehen nur noch die einstmals schönen Fassaden mit ihren schmiedeeisernen Balkonen und Gittern, kunstvoll gestalteten Haustüren und Gesims. Doch dahinter ist nichts, Unkraut wuchert aus den Fenstern. Ein Potemkinsches Dorf.  Einige wenige Häuser sind noch bewohnt, manche nur im Erdgeschoß, genutzt von Bordellen. Manche Häuser ließen sich vermutlich sanieren, andere sind so marode, daß nur noch der Abriß bleibt. Am funktionierenden Ende der Straße besteht eine Galerie, The Breeder, eine der besten Athens. Daneben ein kleines Restaurant mit Cafe, "La Grande Piatsa", besucht fast ausschließlich von den Bewohnern ringsum.

Ruinen auch in der Ermou, der Hauptgeschäftsstraße in der Plaka, viele ab dem Monastiraki-Platz. In Psirri, dem hochgelobten,doch völlig überschätzten Ausgehviertel Athens, sind wenige Straßen saniert - schön ist nur die Agii Anargiri mit ihren klassizistischen Häuserzeilen, in denen sich ein Straßencafe an das andere reiht -, andere Straßen sind heruntergekommen. Um den Omonia-Platz, den Viktoria-Platz, den Larissa-Bahnhof sieht es ähnlich aus. Diese einstigen Mittelstandsquartiere  verkommen zusehends. Die früheren Bewohner sind weggezogen, Wohnungen und Läden stehen leer. Die Viertel haben sich zur Durchgangsstation für Migranten entwickelt und verslummen.

Die Bevölkerung im Athener Zentrum hat in den letzten Jahren, besonders nach der Krise 2008, stark abgenommen. Das ist nicht nur das Problem einer alternden Population, das auch, denn die Geburtenrate ist ebenfalls gesunken, sondern in erster Linie ein finanzielles. Der Hausbau ist fast zum Erliegen gekommen, die Wohnungspreise sind beträchtlich gefallen, im Schnitt um 40 Prozent, ebenso die Mieteinkünfte bzw. lassen sich Häuser und Wohnungen gar nicht mehr vermieten. Der Hauseigentümer kann bei niedrigeren Einkommen die stetig steigenden Steuern und Nebenkosten nicht mehr aufbringen, Geld für Reparaturen, Renovierungen geschweige denn Sanierung ist nicht da. Die Banken geben kaum Kredite, Fördergelder von der Regierung gibt es nicht. Viele marode Häuser stehen zum Verkauf, aber es finden sich keine Käufer. Niemand will investieren. Die Unsicherheit ist zu groß, die Preise könnten ja noch weiter fallen. Aus diesen Gründen schlagen auch die Kinder mehr und mehr das Erbe ihrer Eltern aus, sofern es sich um Hauseigentum handelt. Eigentum ist nur noch eine Last und kein sicherer Hafen mehr wie noch vor der Krise.  Es ist eine Spirale ohne Ende. Athen wird sein Gesicht verändern. 

Selbst in den wohlhabenden Stadtteilen Palaio Psychiko, Kifissia und Kolonaki geht die Unsicherheit um. Allerdings strahlen die Villen dort weiterhin in blendendem Weiß. Keine Grafitti, kein Verfall.



     





 

Sonntag, 14. August 2016

Der Erste Athenische Friedhof - Melina Merkouri, Andreas Papandreou, Alekos Panagoulis, Bettina von Savigny-Schinas, J.F. Julius Schmidt und andere

Auf dem Ersten Athenischen Friedhof, dem Proto Nekrotafio Athinon, haben seit König Ottos Zeiten die Reichen und Prominenten ihre Ruhe gefunden, lokale Berühmtheiten ebenso wie internationale Geistesgrößen des 19. Jahrhunderts, die sich um Griechenland verdient gemacht haben. Die dicht bei dicht stehenden Grabbauten (Oikoi) - prunkvolle Mausoleen, Standbilder mit Medaillons, reliefverzierte Stelen und Sockel mit den Büsten der Verstorbenen, mächtige Sarkophage - haben das sorgfältig gepflegte Gelände zu einem Skulpturenpark werden lassen, der in Stein gemeißelt die bewegte Historie des neugriechischen Staates erzählt. Aber auch kunst- und kulturgeschichtlich ist der Friedhof von Bedeutung. Als Spiegel seiner Zeit dokumentiert er den sozialen und kulturellen Zustand der Gesellschaft, vor allem den der selbst- und nationalbewußten Athener Oberschicht.

Ein Meisterwerk der klassizistischen Bildhauerkunst begegnet dem Besucher gleich rechts am breiten Mittelweg: Es ist die "Koimomeni" (die "Schlafende"), das Grabmal der Sophia Afentakis, die im Alter von erst achtzehn Jahren an Tuberkulose starb. Geschaffen hat es Giannoulis Chalepas (1851-1938) von der Insel Tinos, der als der bedeutendste griechische Bildhauer des 19. Jahrhunderts gilt und eine Brücke in die Moderne schlug. Sein Leben ist von großer Tragik überschattet: 1877, dem Jahr, in dem er die "Schlafende" schuf, bildete er erste Symptome einer psychischen Krankheit aus, vermutlich Schizophrenie. Vierzig Jahre lang lag seine künstlerische Tätigkeit brach. Glücklicherweise war ihm in höherem Alter eine späte zweite Karriere vergönnt, Ausstellungen und Preise würdigten sein Werk noch zu Lebzeiten. (2007 fand in Athen eine Retrospektive statt.)

Die meisten Denkmäler in dieser schneeweißen Totenstadt aber folgten dem Zeitgeschmack. Sie kopieren antike Säulen, Skulpturen und Reliefs, deren Originale man im Archäologischen Nationalmuseum studieren kann. Ein beliebtes, immer wiederkehrendes Motiv in der Grabplastik ist die "trauernde Athene", ferner Sphinxe und Grabstelen, wie man sie auf dem antiken Athener Friedhof, dem Kerameikos, und im dortigen Museum sieht.

Nicht zu übersehen ist das links auf der Anhöhe oberhalb des Mittelweges thronende Grabmonument von Heinrich und Sophia Schliemann. Diesen exponierten Platz mit Blick auf die Akropolis hatte Schliemann schon zu Lebzeiten als letzte Ruhestätte gewählt. Auch den Bau des Mausoleums in Form eines dorischen Tempels hatte er lange vor seinem Tod - er starb am 26. Dezember 1890 im Alter von 68 Jahren in Neapel an einer verschleppten Ohreninfektion - bis ins Detail geplant. Architekt war sein Freund Ernst Ziller, dem für den Bau 50 000 Drachmen zur Verfügung standen, eine unerhört hohe Summe, die ihm völlig freie Hand in der Außen- und Innengestaltung ließ. Die Schliemann-Büste vor dem Tempel gab seine griechische Frau Sophia Engastromenou in Auftrag, die ihn um vierzig Jahre überlebte. Der umlaufende Fries stellt das Ehepaar in Troja dar, umgeben von türkischen Arbeitern, die die kostbaren Funde in Sicherheit bringen, von denen Schliemann glaubte, sie seien der Schatz des Priamos. Der Archäologe rezitiert aus einem Band Homers, dem Schliemannschen "Hausgott", die ihm zugewandte Sophia hört aufmerksam zu. In dem Grabmal ist auch ihre Tochter Andromachi Melas bestattet. Sohn Agamemnon ist in Paris beerdigt.

Einige Reihen hinter dem Schliemann-Mausoleum liegt das Grabmal eines deutschen Philhellenen, des Barons Eduard von Reineck. Aus der Inschrift geht hervor, daß er 1796 in Eisenach geboren wurde, 1822 nach Griechenland kam und als Adjutant von Alexandros Mavrokordatos, mehrmaliger Ministerpräsident nach dem Unabhängkeitskrieg und nach der Thronbesteigung Ottos I. 1833 Finanzminister, den Freiheitskrieg mitmachte. Von Reineck, der mit der Schwester Mavrokordatos', Efrosini, verheiratet war, starb 1858 als königlich-griechischer General in Athen. Anfang der 1820er Jahre war ganz Europa von schwärmerischer Begeisterung für die griechische Freiheitsbewegung erfüllt. Junge Menschen, die antiken Ideale im Kopf, zogen wie von Reineck nach Hellas, um die Griechen in ihrem Kampf gegen die vierhundertjährige türkische Besatzung zu unterstützen. Viele deutsche, österreichische, englische und amerikanische Philhellenen fanden fern der Heimat im protestantischen Teil des Friedhofs ein letztes Zuhause. So mancher wollte in griechischer Erde begraben sein, im Schatten von Pinien und Orangenbäumchen. Viel Interessantes geht aus den Inschriften hervor. Nur wenige Daten auf dem Grabstein, etwa woher sie gekommen und wie alt sie geworden sind, erzählen bereits einen Teil ihres persönlichen Schicksals und wie es mit der Geschichte Athens oder Griechenlands verknüpft ist.

Unterhalb der Anhöhe fallen zwei Grabdenkmäler auf: das Monument eines der berühmtesten griechischen Freiheitskämpfer, Theodor Kolokotronis (1770-1843), des "Helden von Morea", und die prunkvolle ewige Heimstatt von Georgios Averoff. Dieser großzügige Wohltäter Athens finanzierte seinerzeit nicht nur den Wiederaufbau des antiken Stadions, dessen Reste 1870 Ernst Ziller freigelegt hatte und in dem 1896 die ersten nachantiken Olympischen Spiele stattfanden, sondern schenkte dem Staat auch sein erstes Kriegsschiff.

Dort, direkt am Hauptweg, liegt die Grabstätte der Schauspielerin und Kulturministerin Melina Merkouri (1925-1994), die die Griechen nur "Melina" nannten, und nur wenige Schritte weiter, neben dem Mausoleum von Emmanuel Benaki, dem Stifter des Athener Benaki-Museums, die des wortgewaltigen, charismatischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou (1919-1996), der für das Volk "Andreas" war. Keinem anderen Politiker ist diese Ehre jemals zuteil geworden. Noch immer legen seine Anhänger Rosen oder kleine Töpfchen mit Basilikum auf die schlichte Grabplatte.

Rosen oder Nelken liegen stets auch auf dem Grab des Dichters, Widerstandskämpfers und Parlamentsabgeordneten Alekos Panagoulis, über das ein ausladender Mimosenstrauch seine Zweige breitet. Panagoulis kam am 1. Mai 1976 im Alter von 36 Jahren bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ums Leben. Nach dem mißglückten Attentat auf den Obristenchef Georgios Papadopoulos am 13. August 1968 wurde er zum Tode verurteilt. Nach fünf Jahren Haft unter unvorstellbar grausamen Bedingungen in verschiedenen Gefängnissen mußte ihn die Junta aufgrund massiver internationaler Interventionen 1973 freilassen. Die Folter, der er jahrelang ausgesetzt war, die aber seinen Willen nicht brechen konnte, und die Beisetzung dieses besessenen Kämpfers für Freiheit und Demokratie, dem mehrere hunderttausend Menschen das letzte Geleit gaben, beschreibt seine Lebensgefährtin, die italienische Journalistin und Schriftstellerin Oriana Fallaci, in ihrem dokumentarischen Roman "Ein Mann" (Un uomo), der weltweit ein Bestseller wurde. Alekos Panagoulis ist bis heute unvergessen. 1997 ehrte ihn der griechische Staat mit einer Briefmarke, 2002 wurde eine Metro-Haltestelle nahe dem Platz, an dem er starb, nach ihm benannt (Agios Dimitrios/Alekos Panagoulis), mehrere Strassen tragen seinen Namen, und 2012 wurde an der Panepistimiou-Straße eine Statue von ihm aufgestellt. Mikis Theodorakis hat einige seiner Gedichte vertont. Oriana Fallaci starb 2006 in Florenz, sie ist auf dem dortigen Cimitero Evangelico degli Allori begraben. Auf einem Stein neben ihrem Grabdenkmal erinnert sie an ihn, der mit ihr in Florenz lebte: "In Memoria di Alekos Panagulis. Posi con Amore. Oriana."

Etwas weiter den Hauptweg entlang gehend, trifft man auf die schlichte Grabstelle mit dem Medaillon von Sir Richard Church (1784-1873), Generalissimus der griechischen Truppen im Befreiungskrieg, der als "Stratikos Georgios" allseits verehrt in Athen starb. Schräg dahinter liegt das Grab von Adamantios Korais (1748-1833), einem der geistigen Wortführer im Kampf der Griechen um ihre Unabhängigkeit.

Im schon erwähnten protestantischen Teil des Friedhofs fand ein anderer bedeutender Archäologe, Adolf Furtwängler (1853-19o7), seine letzte Heimstatt. Sein Grab ist relativ bescheiden, gekrönt nur von einer bronzenen Sphinx, einer Kopie vom Aphaiatempel auf der Insel Ägina, den Furtwängler zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgrub. Hier findet man auch die Grabstele des Epigraphikers Hans von Prott (1869-1903) aus Hannover, der sich bereits während seiner Studienzeit intensiv mit griechischen Inschriften beschäftigte. Seit 1889 arbeitete er im Deutschen Archäologischen Institut in Athen. Er nahm aktiv an den Grabungen Wilhelm Dörpfelds am Nordhang der Akropolis teil. Prott beging im Alter von nur 34 Jahren Selbstmord. Die Stele ist in der Art antiker attischer Grabstelen gestaltet, mit Palmettenbekrönung und dem ergreifenden Flachrelief eines sitzenden, in sich versunkenen Jünglings mit aufgestütztem Kopf, "ein ergreifendes Bild der Trauer" (Bruno Schröder, 1904). Es ist die Kopie eines klassischen Reliefs aus Geraki in Lakonien (heute im Museum von Sparta), das Hans von Prott selbst während einer Lakonien-Reise im Jahr seines Todes entdeckt hat.

Spaziert man ein wenig umher, entdeckt man noch weitere Gräber von Deutschen, die in Athen geblieben sind. Künstlerisch interessant ist das streng klassizistische Monument für die aus Berlin stammende Bettina von Savigny-Schinas (1805-1835), die vermutlich an Typhus starb. Der Entwurf stammt von dem griechischen Architekten Stamatis Kleanthis, der bei Karl Friedrich Schinkel in Berlin studiert hatte. Zusammen mit seinem Freund Eduard Schaubert, ebenfalls Schinkel-Schüler, arbeitete er den Stadtplan des modernen Athen aus. Bettinas Vater war der bedeutende Rechtsprofessor Carl von Savigny, ihr späterer Ehemann Konstantinos Schinas, der 1833 griechischer Justizminister wurde, war sein Schüler. (Bettinas Briefe aus Griechenland an ihre Eltern, in denen sie von ihrem Alltag und ihren Begegnungen mit interessanten Menschen berichtet, erschienen 2002 im Verlag Cay Lienau, Münster, hrsg. von Ruth Steffen: "Leben in Griechenland 1834-35".) Gleich hinter der Stele Bettina Schinas' steht das Grabmal der Julie von Nordenpflycht, ein Werk des dänischen Architekten Christian Hansen. Julie von Nordenpflycht war eine der Hofdamen von Königin Amalia. Neben Bettina Schinas fand J.F. Julius Schmidt (1825-84) seine letzte Ruhe, ein in Eutin geborener, damals international berühmter Astronom, der von 1858 bis zu seinem unerwarteten Tod Direktor der Athener Sternwarte war. Seine Beerdigung fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt, sie gestaltete sich zu einer "nationalen Trauerfeier", wie einem Zeitungsbericht zu entnehmen war. Ferner wurde mitgeteilt, daß er an einem plötzlichen Herzschlag gestorben sei. Den Abend zuvor hatte er "noch ganz wohl bei dem deutschen Gesandten zugebracht".

Auch der in Radebeul geborene Architekt Ernst Ziller (1837-1923), der das Stadtbild Athens Ende des 19. Jahrhunderts mit über fünfhundert Bauten maßgeblich geprägt hat, ist hier beerdigt. Er starb am 25. November 1923 verarmt in Athen.



Samstag, 30. Juli 2016

Der Marmorbildhauer Giannoulis Chalepas aus Tinos - das tragische Leben eines großen Künstlers

Wenn man in Reiseführern die meist kurzen Artikel über den Ersten Athenischen Friedhof liest, findet man dort regelmäßig einen Hinweis auf das Grabdenkmal der Koimomeni, der "Schlafenden", das ein Bildhauer aus Tinos, Giannoulis Chalepas, schuf. (Auch ich erweise diesem großartigen Monument jedesmal, wenn ich den Friedhof besuche, meine Reverenz). Näheres über Chalepas jedoch erfährt der Leser gewöhnlich nicht. Wer aber war der Künstler, der dieses Meisterwerk des Klassizismus schuf? Welche Bedeutung hat er für die griechische Kunstgeschichte?

Bis zur Gründung des neugriechischen Staates waren die griechische Kunst und Architektur byzantinisch und neobyzantinisch mit dem Schwerpunkt Ikonenmalerei, die Skulptur kopierte oder imitierte die Antike. Das änderte sich erst ab 1833, mit der Inthronisierung des Wittelsbachers Otto I., unter dessen Herrschaft sich Griechenland Westeuropa und besonders Bayern öffnete. Mit Beginn der bayerischen Ära erfuhren junge Griechen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllten, in München ihre Schulausbildung, erhielten junge Künstler die Gelegenheit, an der dortigen Akademie der Bildenden Künste, einem Zentrum des Klassizismus in Europa, zu studieren und aus ihrer Isolation zu treten. Finanziert wurden die Aufenthalte durch Spenden und Stipendien.

Einer der Stipendiaten war der Marmorbildhauer Giannoulis Chalepas (1851-1938), der aus einer Steinmetzfamilie aus Pirgos, Hochburg der Marmorbildhauerei, stammte. Sein Vater Ioannis war ein bekannter Steinmetz, der seine Arbeiten, vor allem Grabdenkmäler, nach Athen und sogar Smyrna verkaufte. Seine Kunden waren die kleine Schicht wohlhabender Familien, die vor allem Kopien antiker Stelen und Monumente aus verschiedenen Epochen nachfragten oder die Umsetzung antiker Motive und Themen verlangten. Giannoulis, der älteste der fünf Chalepas-Söhne, entschied sich schon in jungen Jahren für die Bildhauerei und ging 1869 nach Athen, wo er bis 1872 an der dortigen Kunsthochschule studierte. Sein Lehrer war Leonidas Drosis (1834-82), einer der bekanntesten Plastiker des späten 19. Jahrhunderts, der für die Athener Akademie des Theophil Hansen ("Trilogie" an der Panepistimiou-Straße) die Statuen "Athene" und "Apollo", beide auf hohen ionischen Säulen stehend, und die Sitzbilder "Plato" und "Sokrates", alle vor der Akademie, schuf. Von ihm stammt auch die Büste des Simon Sina in der Halle,ein in Wien lebender griechischer Bankier, mit dessen finanzieller Unterstützung Drosis in München studiert hatte und der auch den Bau der Trilogie unterstützte.

Die Athener Kunsthochschule war aus der Abteilung "Schule der Schönen Künste" des 1836 als "Technische Schule" gegründeten Polytechnikums hervorgegangen. Ihr erster Direktor war der bayrische Architekt Friedrich von Zentner, sein Nachfolger der griechische, in Rom und Paris ausgebildete Architekt Lysandros Kaftanzoglou (1811-85), der das Polytechnikum von 1844 bis 1862 leitete. (Er baute übrigens die Arsakeion-Mädchenschule, stellte - nach Leo von Klenzes Plänen - die katholische Agios-Dionisios-Kathedrale und nach dem Entwurf Theophil Hansens die Augenklinik daneben fertig, alle drei an der Panepistimiou. Das ebendortige pompöse Wohnhaus Heinrich Schliemanns, im Neorenaissancestil von seinem Erzrivalen Ernst Ziller erbaut, bezeichnete der leidenschaftliche Verfechter des schlichten Athener Klassizismus als rundum geschmacklos, als "unerträglichen Aussatz".) Selbst als freischaffender Künstler arbeitend, veranstaltete Kaftanzoglou alljährlich Ausstellungen, die den Kunststudenten die Möglichkeit boten, ihre Werke der Öffentlichkeit vorzustellen sowie - andererseits - interessierte Athener mit den neuen Strömungen in der bildenden Kunst bekannt zu machen und die wenigen Vermögenden zum Kauf zu animieren.

1873 ging Chalepas an die Münchener Akademie und setzte seine Studien bei dem damals namhaften Plastiker Max von Widnmann, einem Freund des berühmten dänischen Bildhauers Bertil Thorwaldsen, fort. Schon dort wurden seine Arbeiten mit Preisen ausgezeichnet. 1876 kehrte er nach Athen zurück, wo er sich ein Atelier einrichtete und 1877 mit der Arbeit an der "Schlafenden" begann. Georgios Ikonomou Afentakis hatte ihn beauftragt, ein Grabmal für seine im Alter von achtzehn Jahren verstorbene Nichte Sophia Afentaki, Tochter seines Bruders Konstantinos, zu schaffen. An dem fertigen Bildnis deutet nichts auf die Endgültigkeit des Todes hin, das junge Mädchen scheint zu schlafen. Es war Chalepas' letztes Werk - und sein bekanntestes -, bevor seine psychische Krankheit, vermutlich Schizophrenie, diagnostiziert wurde. Da die Psychiatrische Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte, versuchte man mit untauglichen Mitteln ihn zu heilen. Doch keine Therapie half, sein Zustand verschlechterte sich sogar. 1888 schickte ihn seine Familie in eine psychiatrische Anstalt nach Korfu, wo er zwölf Jahre verbrachte. Dort wurden seine künstlerischen Arbeiten, an denen er sich versuchte, zerstört. Zuvor, zu Beginn der Krankheit, hatte er seine Arbeiten noch selbst vernichtet, weil sie ihm nicht perfekt genug erschienen.

Nach dem Tode seines Vaters 1901 holte ihn seine Mutter nach Tinos zurück, verbot ihm aber, sich künstlerisch zu betätigen, weil sie, wie zuvor die Ärzte, darin die Ursache seiner Krankheit sah. Selbst seine Skizzen und Zeichnungen nahm sie ihm weg und zerriss sie. Er lebte fortan als Schafhirte im Dorf und galt als wahnsinnig. Nachdem 1916 auch seine Mutter gestorben war, war für ihn nach vierzig verlorenen Jahren der Zeitpunkt gekommen, sich freier und intuitiver denn je seiner Kunst zu widmen. Er hatte alle Begrenzungen über Bord geworfen, ließ nichts zu, was ihn einengte. 1923 stellte ein Athener Professor Gipsabdrücke seiner Arbeiten in der Athener Akademie aus. Es wurde ein großer Erfolg. 1930 kehrte er nach Athen zurück und machte bis zu seinem Tod am 15. September 1938 eine zweite - späte - Karriere. Ihm wurden mehrere Ausstellungen gewidmet, er gewann Preise und errang die verdiente Anerkennung noch zu Lebzeiten.

Giannoulis Chalepas, dem manche Kunsthistoriker den Rang eines Rodin zuerkennen, gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer der Neuzeit Griechenlands. Er gehört zu denen, mit dem die neugriechische Kunst ihren Anfang nimmt und eine Brücke vom 19. in das 20. Jahrhundert schlägt. Von seinen Werken haben sich rund 150 erhalten, ferner mehrere hundert Skizzen.

Dienstag, 26. Juli 2016

Das Makronissos-Museum in Athen

Athen hat viele kleine Privatmuseen. Eines davon ist das Makronissos-Museum in der Agion-Asomaton-Straße 31, gegenüber dem Benaki-Museum für Islamische Kunst, dessen exquisite Ausstellung zu den führenden Sammlungen islamischer Kunst weltweit gehört. Entsprechend häufig wird es besucht, wohingegen das kleine Makronissos Exil-Museum eher ein Schattendasein führt. Wer sich indes ein Bild von der neueren Geschichte Griechenlands machen möchte, sollte sich ein wenig Zeit für einen Besuch nehmen.

Vor knapp hundert Jahren begannen die jeweiligen griechischen Diktatoren damit, Regimegegner, Oppositionelle und sonstige mißliebigen Zeitgenossen auf unbewohnte oder abgelegene Inseln zu verbannen. Die bekanntesten und gleichsam der Inbegriff für Deportation und Folter sind Leros, das Felseneiland Jaros nahe Siros, Ai Strati (Agios Efstratios) und später Makronissos. Der Lyriker Jannis Ritsos, der auf Limnos, Ai Strati und Makronissos inhaftiert war und 20 Jahre später von der Militärjunta auf Leros und Samos erneut festgesetzt wurde, fand für die Situation der Gefangenen die bekannte Gedichtzeile, die alles sagt: "Unsere einzigen Urkunden: drei Worte: Makronissos, Jaros und Leros. Und wenn euch unsere Verse eines Tages ungeschickt erscheinen, denkt nur daran, daß sie geschrieben wurden unter den Augen der Wächter und mit der Lanze immer in unserer Seite" (in dem Band "Unter den Augen der Wächter", 1989).

Von Leros - Gefängnis-, Verbannungs- und noch Anfang der neunziger Jahre berüchtigte Psychiatrieinsel - sagte der englische Schriftsteller Lawrence Durrell, der 1945-47 als britischer Presseattache auf Rhodos lebte: "Leros ist eine elende Insel ohne jeden Charakter. Gott helfe denen, die dort geboren sind, und denen, die dort leben." Die relativ kleine Dodekanes-Insel mit ein wenig Tourismus heute und einem schlechten Ruf seit jeher, war unter der Obristenherrschaft eines der Konzentrationslager für Regimegegner. Prominenteste Gefangene waren Jannis Ritsos und der KP-Vorsitzende Charilaos Florakis. Ein anderes Internierungslager war Jaros, das unbewohnte, nur 17 qkm große Felseneiland. Verbannungsort schon unter den römischen Kaisern und in byzantinischer Zeit, war es noch unter der Militärjunta (1967-74) Häftlingsinsel. Die Obristen schafften Tausende politische Gefangene hierher (auch Ritsos, der KP-Mitglied war, war vor seiner Deportation nach Leros auf Jaros) und auf die anderen KZ-Inseln, Mitglieder der Zentrums-Union, der Lambrakis-Jugend u.a., gewöhnlich ohne Gerichtsverfahren und -urteil. 1974, nach dem Ende der Militärherrschaft, wurde Jaros geschlossen.

Nach dem abgelegenen Ai Strati, südlich von Limnos in der nördlichen Ägäis gelegen, mit gerade einmal zweihundert Einwohnern, wurden zwischen 1928 und 1963 geschätzte Hunderttausend politische Gefangene verbracht, neben Ritsos auch Mikis Theodorakis, der Schauspieler Manos Katrakis, der Journalist und Schriftsteller Kostas Varnalis sowie der Schriftsteller Nikos Karouzos.

Für sie alle waren die griechischen Inseln die Hölle.

Auf Makronissos, das wie ein Riegel östlich vom Hafenort Lavrion und vom Kap Sounion liegt, wurden nach dem Ende des Bürgerkriegs (1946-49), ein unrühmliches Kapitel in der griechischen Geschichte, das rund 600 000 Tote forderte, vor allem Linke und Kommunisten interniert, die dort in jahrelanger Haft Folterungen, Erniedrigungen, Zwangsarbeit und Hunger ausgesetzt waren. Tausende fanden den Tod. Auch Ritsos, Katrakis, Theodorakis,der Lyriker Tassos Livaditis und der Jurist und Widerstandskämpfer Apostolos Sandas waren auf Makronissos inhaftiert. Sandas hatte am 30. Mai 1941 zusammen mit Manolis Glezos die Hakenkreuzfahne von der Akropolis gerissen. Daran erinnert auf der Akropolis seit 1982 eine Bronzetafel. Theodorakis zog sich auf Makronissos sein Lungenleiden zu, das "Makronissos-Fieber", an dem viele Deportierte litten.

Die beiden Museumsräume sind angefüllt mit Schriftdokumenten und Fotografien. Zettel, handschriftliche Briefe und Postkarten an Freunde und Verwandte sind Zeugnisse aus einer Zeit, die noch sehr präsent ist. Die gesamte Korrespondenz ist auf Griechisch geschrieben. Man kann aber eine Broschüre erwerben, die - illustriert mit Plänen und Fotos - auf Englisch über die Geschichte von Makronissos informiert.

Donnerstag, 3. März 2016

Der griechische Pianist und Menschenfreund Panos Karan. Can Music change the World?

Ein rastlos Reisender ist Panos Karan. Mehr als hundert Länder hat der Kosmopolit, der heute in London lebt, schon besucht, in einigen - Barcelona, Buenos Aires, Tokio und natürlich in Athen, wo er seine erste Ausbildung erhielt - war er längere Zeit zu Hause. Er bereist die Welt aber nicht nur als der großartige Konzertpianist, der er ist, sondern um benachteiligten Kindern auf der ganzen Welt die westliche klassische Musik und die Freude am Musizieren nahezubringen. Und weil ihm das eine Herzensangelegenheit ist, hat er im September 2010 die Stiftung Keys of Change unter dem Motto "Can music change the world? We believe it can" ins Leben gerufen. Die Non-profit Organisation finanziert sich durch Spenden und Konzerteinnahmen.

Seine langfristig angelegten, ambitionierten Projekte hat er in Brasilien, Japan, Sibirien, Bosnien, Uganda, Indien und Sierra Leone durchgeführt, in leidgeprüften Ländern also, die Bürgerkriege, HIV-Epidemien oder andere Konflikte und Tragödien aushalten mußten und in denen die meisten Kinder in unglaublicher Armut leben und um jedes bißchen Bildung, Anerkennung und Gesundheit kämpfen müssen. Sein erstes Ziel war im März 2011 Brasilien. In einer spektakulären Aktion fuhr er gemeinsam mit vier Helfern und einem tragbaren e-Piano den Amazonas hinunter und begeisterte die Bewohner der abgelegenen Orte am Fluß mit klassischer Musik. Der abenteuerlichen ersten Reise folgten zwei weitere.

In Japan, das am 11. März 2011 von einem gewaltigen Erdbeben mit dadurch ausgelöstem Tsunami heimgesucht wurde, der die bekannte Reaktorkatastrophe verursachte, deren Schreckensbilder um die ganze Welt gingen, gründete Panos mit Hilfe von Keys of Change das Jugendorchester Fukushima Youth Sinfonietta, mit dem er intensiv zusammenarbeitet und das er schnell zu einem der besten Jugendorchester Japans formte. Zehnmal war er bereits in Japan, auch in der verwüsteten Küstenregion, die noch immer geisterhaft öde anmutet. 2014 holte er das Fukushima-Ensemble nach London und trat mit ihm in der Queen Elizabeth Hall auf und im August 2015 in Anwesenheit von Kaiserin Michiko in der Tokyo Opera City. Die zweitausend Zuhörer dankten mit minutenlangen Standing Ovations. Erst kürzlich, am 20. Februar 2016, spielte Panos zum Gedenken an den fünften Jahrestag des "Großen Erdbebens" ein Klaviersolo in der Japanischen Botschaft in Athen. "Klassische Musik kann am Amazonas und in den Slums von Sierra Leone genauso erfreuen wie in der Carnegie Hall oder im Southbank Centre. Das ist einer der einfachsten und stärksten Wege für Menschen auf der ganzen Welt, um Brücken zum Frieden zu bauen und einen positiven sozialen Wandel einzuleiten" - meint Panos. Es ist sein Credo.

Auch in seiner griechischen Heimat organisierte Panos ein Keys of Change-Projekt. Im Januar 2014 reiste er in das nordgriechische Xanthi, einst Mittelpunkt einer florierenden Tabakindustrie, heute ein eher vergessener, orientalisch wirkender Ort nahe der Grenzen zu Bulgarien und zur Türkei. Zusammen mit dem Flötisten Zacharias Tarpagos, mit dem er häufig gemeinsam auftritt, gab er in vier Schulen ein Konzert. Eingeladen hatte ihn die griechische NGO "Mission Anthropos", eine nicht-staatliche, vor allem in der Medizin aktive Organisation, die in diesem rückständigen Landesteil, in dem eine große türkische und eine kleinere Roma-Minderheit lebt, kostenlose Impfungen durchführte. Die meisten Schüler hier sind türkischsprechende Roma, die großteils in schwierigen familiären, von Armut, Unwissen und Gewalt geprägten Verhältnissen leben. Im März 2015 kamen Panos und Zach erneut nach Xanthi, um die ein Jahr zuvor begonnene Arbeit fortzusetzen. Beide studierten mit den engagierten und inspirierten Schülern Lieder und kleine Musikstücke ein, die sie dann öffentlich vortrugen. Ziel ist die Verständigung unterprivilegierter Minderheiten über Musik: "Die Sprache der Musik verstehen alle." In der Musik finden sie zusammen und lernen, daß man durch Teamwork, Verantwortungsbewußtsein und gegenseitigen Respekt Vieles erreichen kann, dass es möglich ist, miteinander zu arbeiten und Erfolg und Freude zu haben. Freude, die sie in ihrem Alltag sonst nicht erfahren. Keys of Change will die Arbeit mit den Schülern in Xanthi weiterführen.

Panos Karan wurde 1982 auf Kreta geboren und wuchs in Athen auf, wo er im Alter von sieben Jahren ersten Klavierunterricht bekam. Seine weitere musikalische Ausbildung erhielt er am Athener Konservatorium und - mit einem Stipendium der Onassis-Stiftung - an der Royal Academy of Music in London, die der Hochbegabte mit Auszeichnung bestand. Sein Debut hatte er mit 19 Jahren im Londoner South Bank Centre. Es folgten weitere Auftritte, nationale und internationale Preise. Panos tritt überall in Europa und außerhalb Europas auf, in London, Wien, St. Petersburg, dem Athener Megaron Mousikis sowie dem in Saloniki, der Tokyo Opera City. Drei Solo-Konzerte hatte er in der New Yorker Carnegie Hall (Weill Recital Hall). Die Einnahmen seines Konzertes im November 2014 in Berlin kamen einem Projekt mit vierzig sehr jungen Musikern in Kalkutta zugute, das er ebenfalls mit "Keys of Change" unterstützt.

Die nächsten großen Auftritte hat Panos am 26. März 2016 mit dem Fukushima Youth Sinfonietta in der Fukushima Concert Hall und am 3. April in der Boston Symphony Hall.



Samstag, 20. Februar 2016

Alexis Akrithakis und Fofi's Estiatorion in Berlin

Jedes Mal,wenn ich ins "Cassambalis" essen gehe, fühle ich mich an Fofi's Estiatorion erinnert. Fofi war wohl die bekannteste Griechin in Berlin, ihr Restaurant eine Berliner Institution, genauer: eine Westberliner Institution, denn in jenen Jahren war die Stadt noch geteilt.

Fofi und ihr Ehemann Alexis Akrithakis kamen 1969 nach Berlin, Alexis als Stipendiat des Künstlerprogramms des DAAD (von dem auch 1973 bzw. 1977 Vlassis Caniaris und Jannis Psychopedis eingeladen wurden). Das Klima in Berlin war damals vor dem Hintergrund der politischen Situation in Hellas sehr Griechenfreundlich, speziell in den siebziger Jahren, und die vor der Athener Militärdiktatur aus ihrer Heimat geflohenen Intellektuellen, Studenten und Künstler wurden überaus herzlich aufgenommen. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gingen viele zunächst in die Gastronomie und kellnerten oder eröffneten Restaurants, die meisten mitten im Zentrum West-Berlins und das war Charlottenburg.

Auch Fofi arbeitete anfangs in mehreren Tavernen, darunter in dem berühmten "Exil" in Kreuzberg und ab 1972 in dem Szene-Lokal "AxBax" (eigentlich "AchWach", aber für die Berliner war das griechische ch ein x und das vita ein B) der beiden Österreicher Oswald Wiener und Michel Würthle ("Paris Bar"), bis sie 1976 - zusammen mit Costas Cassambalis - ihr eigenes Restaurant eröffnete. Sie gab ihm den schlichten Namen "Estiatorion", das griechische Wort für Restaurant. Aber niemand nannte es so. Man sagte "Ich geh ins Fofi's", wenn man sich im "Estiatorion" in der Fasanenstraße traf. Vom ersten Tag an ein Erfolg, versammelte sich hier regelmäßig die Künstler-, Literaten- und Intellektuellenszene Berlins; jeder kannte jeden. Heiner Müller, Thomas Brasch, Luc Bondy, Peter Stein und seine Schaubühnen-Stars, Markus Lüpertz, der Komponist Wolfgang Rihm, der Prominentenmaler Reinhold Timm, der um die Ecke, in der Meinekestraße, wohnte und mindestens ein Porträt von Fofi anfertigte, und Jannis Psychopedis waren Stammgäste, Jannis Kounellis schaute vorbei, wenn er in Berlin war und da das Estiatorion weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war, fanden auch viele internationale Prominente den Weg zu Fofi, etwa Robert Rauschenberg, Takis, Ed Kienholz oder Robert de Niro.

Zwanzig Jahre lang lief das Geschäft glänzend, bis Fofi ihre Räume 1996 an Cartier verkaufte und ein neues Restaurant in Berlin-Mitte, dem ehemaligen Ostteil der Stadt, eröffnete. Ihre Stammgäste aus dem "alten Westen" waren älter geworden und scheuten den weiten Weg, in der neuen fremden Umgebung mußte sie sich erst einen Namen machen, und schließlich hatte sich nach dem Mauerfall die Situation insgesamt verändert. Und dann gab es ja das "Cassambalis". 1997 gab sie auf und kehrte zurück in ihre Heimatstadt Athen.

Alexis Akrithakis hatte Berlin bereits 1984, nach fünfzehn Jahren Aufenthalt, verlassen; hier verbrachte er einige seiner produktivsten Jahre. Anfang der neunziger Jahre ging es mit seiner Gesundheit rapide bergab und nach wiederholten Krisen und Krankenhausaufenthalten starb er am 19. September 1994 im Alter von 55 Jahren in Athen. Akrithakis gilt als einer der bedeutendsten griechischen Künstler des 20. Jahrhunderts, er war von entscheidender Bedeutung für die zeitgenössische Kunst. (Beispielsweise weisen manche Bilder von Keith Haring Ähnlichkeiten mit Akrithakis auf, etwa mit dem "Spielmann" von 1969.) Seine Malereien sind poetische und detailreiche Bilder in leuchtenden Farben, voller Codes und Symbole in allen möglichen Formen und Variationen wie Vögel, kleine Flugzeuge und Fahrräder, Blumen, Herzen, Pfeile, die in verschiedene Richtungen zeigen, und immer wieder Koffer, vielleicht ein Wunschbild für Erinnerungen oder für ein in die Welt hinausgehen. Schöner als der Galerist Folker Skulima kann man seinen Mikrokosmos nicht in Worte fassen: "Der besessene Maler-Dichter entwickelte seine Bildsprache wie ein nur ihm gehörendes Alphabet: Verwurzelung und Universales in einer seltsam eindringlichen Mischung. Was er auf seinen Griechenlandreisen am Straßenrand aufsammelte oder an den Stränden fand, das waren 'arme' Materialien: angeschwemmte Hölzer, Plankenteile von Schiffswracks. Er schuf daraus wunderbar leuchtende Reliefs. Ein mediterraner Liebender hat das Weggeworfene, Angeschwemmte verzaubert. In diesen Reliefs brachte Akrithakis Mythos und Materie ins Gleichgewicht."

2003 widmete die Berliner Neue Nationalgalerie Akrithakis eine Ausstellung, die Folker Skulima kuratierte: "Alexis Akrithakis ist auf dem Weg zum Klassiker zu werden - er hätte es sich nicht träumen lassen". Da hat er wohl Recht. Schade, daß er das nicht mehr erlebt hat. Viele Ausstellungen folgten, u.a. 2008 und 2010 bei Kalfayan in Athen, 2011 bei Faggionato Fine Art in London, und 2013 "Fofi's Berlin - Fofi Akrithaki's Berlin: 1969-1997", Makedonian Museum of Contemporary Art (Museum Alex Mylona). Hier war auch Alexis Akrithakis berühmte Installation "Bar" zu sehen, als ein Platz, an dem Menschen sich treffen, die zuerst - 1981 - die Athener Galerie Bernier zeigte und 2010 die Galerie Kalfayan.

Noch bis zum 29. Februar 2016 ist die Ausstellung "Flying over the Abyss" im Contemporary Art Center of Saloniki und bis zum 5. März 2016 "Propositions. For a History of the Artistic Avantgarde" im State Museum of Contemporary Art, ebenfalls in Saloniki, zu sehen.

Montag, 1. Februar 2016

Küsten in Hellas. Demokratische Strände und Privatisierung

Mit seinen über dreitausend Inseln und Inselchen hat Griechenland eine Küstenlinie von knapp 14 000 Kilometer Länge, wovon rund 2500 Kilometer touristisch genutzt werden. Neben der Antike ist die Küste die wichtigste Ressource, das größte Pfund, mit dem der griechische Tourismus, der einzige Wirtschaftszweig mit Wachstumspotential, wuchern kann.

Alle Strände in Hellas sind öffentlich, das heißt, es gibt keine Privatstrände. Auch diejenigen der Hotels müssen für jedermann zugänglich sein. Selbst wenn die Hotels gerne mit "Privatstrand" werben, trifft das formal nicht zu. Es mag bedeuten, daß man möglicherweise einen Umweg gehen muß, um ihn zu erreichen, aber niemand darf den Zutritt verwehren. Der Zugang zu einem Strand bzw. die Anwesenheit dort ist immer frei, das heißt, kein Strand ist kostenpflichtig. Eine Kurtaxe, wie sie in Deutschland an Nord- und Ostsee üblich ist, ist in Griechenland unbekannt.

Der freie Zugang zum Meer ist ein in der Verfassung verankertes Grundrecht, Strände sind ausnahmslos öffentliches Eigentum. So gehört auch den Besitzern von Wassergrundstücken der vor ihren Anwesen liegende Strand nicht. Sie müssen sich wenn auch zähneknirschend damit abfinden, ihn mit fremden Menschen zu teilen. Mir erzählte kürzlich ein griechischer Freund, als er nahe Porto Cheli nach dem Schwimmen an Land gegangen sei, habe ein betreßter Wachmann ihn zwar höflich, aber unmißverständlich aufgefordert, den Strand zu verlassen, wohl der Angestellte irgendeines Monarchen oder Ex-Monarchen, der dort residiert. Ebenso höflich sei er der Weisung nicht nachgekommen, sondern habe Artikel 24 der Verfassung zitiert, auf den der Schutz des Meeres und der Küsten gründet ("der Schutz der natürlichen Umwelt ist Pflicht des Staates und ein Recht für jeden"). Daraufhin habe sich der Sicherheitsmann wortlos zurückgezogen.

Ganz privat sind auch Privatinseln in Griechenland nicht. Ihre Eigner sind von dem Gesetz nicht ausgenommen, mögen sie Niarchos heißen oder Emir von Katar. Letzterer hat sich im Jahr 2013 eine kleine Inselgruppe im Ionischen Meer, die Echinades bei Ithaka, zugelegt, zu einem Schnäppchenpreis, wie es heißt. Die Buchten dieser Kleininseln sind beliebte Ankerplätze bei Seglern. Die Besitzer können niemandem verbieten, an "ihrem" Strand an Land zu gehen - aber nicht weiter.

Doch mit diesem Privileg für alle könnte es bald vorbei sein. Dieses Recht wollte der griechische Finanzminister der Vor-Tsipras-Regierung 2014 aushebeln und ein Gesetz verabschieden, das es privaten Investoren ohne Einschränkungen ermöglicht, Küstengrundstücke zu erwerben und zu bebauen. Es soll bereits Pläne von Großinvestoren für gigantische Hotelkomplexe direkt an Stränden gegeben haben und noch geben, ebenso für den Bau von Golfplätzen - die Griechenland zweifellos dringend braucht, denn seit Jahrzehnten ist zu den bestehenden lediglich fünf Golfplätzen in ganz Hellas, die noch dazu in die Jahre gekommen sind, nur ein einziger auf dem Peloponnes hinzugekommen; aber sie müssen ja nicht unbedingt direkt am Strand liegen.

Das Gesetz zur Privatisierung der Küste ist inzwischen vom Tisch, weil sich ein breiter Widerstand gegen das Vorhaben formiert hatte, u.a. von Umweltorganisationen. Sie fürchten spanische Verhältnisse, die Verschandelung und Betonierung der Küsten. Aber ob sich die Großinvestoren so leicht abschrecken lassen? Ob es nicht Sondergenehmigungen gibt, jetzt, wo das Land privatisieren muß? Schließlich ist die wirtschaftliche und soziale Not noch lange nicht ausgestanden, das Land ist in der Krise (und wird es vermutlich noch lange sein). Dies soll nun nicht heißen, daß eine Privatisierung generell zu unterbinden ist, etwa bei Projekten, die der Staat nicht mehr stemmen kann und die sich in einem Stadium des Niedergangs befinden wie etwa der Yachthafen Vouliagmeni mit dem "Astir Palace" oder die Golfplätze von Glifada und Rhodos. Golfspieler fahren nicht nach Griechenland, sondern nach Portugal. Allein darin, diese zahlungskräftige Klientel über die Jahrzehnte vernachlässigt zu haben, offenbart sich ein großes Versäumnis und komplettes Versagen des Tourismusministeriums. Private (Groß-)Investoren sind also gefragt und notwendig, um wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen; das wird immer gern übersehen, wenn in Hellas gegen jegliche Privatisierung protestiert wird, diese Einstellung ist fatal, und hat in manchen Fällen - auch bei Vouligmeni - dazu geführt, daß durch die jahrelangen Verzögerungen der Marktwert der Objekte tatsächlich sogar sinkt, weil sie immer mehr verlottern. Aber es muß in jedem Einzelfall (und zwar schnell und ohne abschreckende bürokratische Hürden) entschieden werden, ob das Projekt sinnvoll ist. Der Schutz der Landschaft und das, was dieses Land auszeichnet und so besonders macht, muß erhalten bleiben.

Donnerstag, 28. Januar 2016

Die Griechische Botschaft im Berliner Tiergarten - Erröffnung am St. Nimmerleinstag?

Die Griechische Botschaft ist 1999 von Bonn nach Berlin gezogen. Bis zur Fertigstellung des neuen und der Restaurierung des alten Botschaftsgebäudes im Tiergarten residiert sie in der Jägerstraße am Gendarmenmarkt in einem Haus mit Geschichte: Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts unterhielt Rahel Varnhagen hier ihren berühmten Literarischen Salon, in dem die gehobene Gesellschaft - Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker und Aristokraten - verkehrte. Unter ihren Gästen waren die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt, Jean Paul, Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel, Prinz Louis Ferdinand sowie in ihrem "zweiten" Salon Heinrich Heine und Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Letzterer machte sich nicht nur durch seine Landschaftsgärten nach englischem Vorbild einen Namen, er war auch ein grosser Reisender, dessen lebendige Land- und Leute-Beschreibungen die damalige Leserschar begeisterten. So schildert er in "Südöstlicher Bildersaal" höchst anschaulich und sehr persönlich seine Abenteuer und Eindrücke auf den beschwerlichen Reisen durch Griechenland, die Nöte und Unbilden, die er erdulden mußte wie Überfälle durch vagabundierende Banden und Wegelagerer, ganz abgesehen vom alltäglichen Schmutz und Ungeziefer. Über den Peloponnes gelangte er nach Athen, wo er mit dem jungen Wittelsbacher König Otto I. (Othon) und seinen Vater, den Bayernkönig Ludwig I., einen der engagiertesten Philhellenen seiner Zeit, ferner den Regenten des noch minderjährigen Otto und anderen Spitzen der Gesellschaft zusammentraf, die fast alle aus Deutschland und Österreich stammten. Man kann sich kein besseres Bild vom Leben im ottonischen Athen und seiner Oberschicht machen, abgerundet durch eine Prise diskreten Klatsch und Tratsch, als durch dieses Buch. Selbst heute noch sind die Bände (1969 wurden "Griechische Leiden", I, und "Griechische Leiden", II,- wie passend auch für die heutige griechische Situation! - neu aufgelegt) äusserst vergnüglich zu lesen.

Griechischer Botschafter zur Zeit der Pücklerschen Reisen war Alexandros Mavrokordatos, der in Berlin, Hauptstadt des Königreichs Preußen, und zeitgleich in München, im damaligen Königreich Bayern, akkreditiert war. Mavrokordatos war der erste griechische Ministerpräsident nach der Unabhängigkeit des Landes und hatte in dieser Funktion 1822 in Epidauros die erste griechische - liberale - Verfassung verabschiedet. Später, nach seiner Diplomatentätigkeit in London und seiner Geburtsstadt Konstantinopel, amtierte er noch weitere drei Male als Ministerpräsident.

1871, nach der Gründung des Deutschen Reiches, wurde Grigorios Ypsilantis erster Botschafter Griechenlands in Berlin, der schon zuvor, zur Zeit des Norddeutschen Bundes, in Berlin und gleichzeitig in Wien akkreditiert war. Alexandros und Dimitrios Ypsilantis (nach ihm ist die Stadt Ypsilanti im amerikanischen Bundesstaat Michigan benannt), die Onkel von Grigorios, waren griechische Freiheitskämpfer der ersten Stunde, Alexandros als Kopf der Philiki Etairia (Freundschaftsbund), einer 1814 in Odessa gegründeten Geheimorganisation, deren Ziel es war, Griechenland zu einem eigenen Nationalstaat, einer Republik, zu machen (was allerdings erst gut hundert Jahre später, 1924, gelang).

Der erste ausschließlich in Berlin amtierende Botschafter war Alexandros Rizos Rangavis, Professor der Archäologie in Athen, einflußreicher Schriftsteller, griechischer Außenminister (1856-59), danach Botschafter in Washington, Konstantinopel, Paris und schließlich Berlin. Rangavis, der an der Militärakademie in München studiert hatte, war auch ein bedeutender Übersetzer, der Werke von Goethe und Schiller, Dante und Shakespeare ins Griechische übertrug. Alle drei Botschafter stammten aus phanariotischen Familien, einer feudalen Elite, alle waren umfassend gebildete Persönlichkeiten, die sich auf vielen Gebieten bewiesen hatten. Ihren bemerkenswerten, fesselnden Lebensläufen nachzugehen, wäre eine spannende Aufgabe, doch dafür ist hier nicht der Ort.

Das Gebäude der Griechischen Botschaft befindet sich im sogenannten Botschaftsviertel zwischen Hiroshima- und Hildebrandstraße in unmittelbarer Nähe der türkischen und der italienischen Vertretung. Mehr als dreißig Botschaften haben hier ihren Sitz. Ursprünglich - 1912 - als klassizistische Stadtvilla für den Industriellen Sigmund Bergmann erbaut, erwarb sie 1920 der griechische Staat, um sie als Botschaft zu nutzen, bis nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Griechenland die diplomatischen Beziehungen abgebrochen wurden. Das Nachbargrundstück war eine Schenkung zweier Tabakfabrikanten an den griechischen Staat. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel das Gebäude, Obdachlose nisteten sich ein und ein Dachstuhlbrand 1988 machte es endgültig zur Ruine, lange Zeit ein trauriger Anblick in einem Viertel, wo Jahr um Jahr neue Botschaften entstanden oder alte restauriert wurden wie die benachbarte italienische und die schmucke estnische direkt neben dem griechischen Torso. Zeitweilig war aus Kostengründen daran gedacht, das historische Gebäude abzureißen. Schließlich entschied man sich dann doch, es originalgetreu zu restaurieren und daneben einen Neubau zu errichten.

Der Neubau und die Villa sind seit zwei Jahren fertig, die Gerüste verschwunden. Aber von einem Umzug aus der Jägerstraße und den sechs anderen über Berlin verstreuten Standorten der Botschaft ist nicht die Rede. Die Baukosten sollen rund 15 Millionen Euro betragen haben, die Mieten für alle Botschaftsbüros sich auf 60 000 Euro pro Monat belaufen. Diese Kosten sollten durch den Umzug eingespart werden, aber geschehen ist bislang nichts. In der Botschaft herrscht Schweigen. Auf zwei Anfragen (November 2015 und Januar 2016) teilte man mir mit, man wisse nichts Genaues, ein Eröffnungstermin stehe noch nicht fest, auch seien die Innenarbeiten noch nicht abgeschlossen. Gerüchte sagen, weil längst fällige Rechnungen nicht bezahlt sind, herrsche schon seit zwei Jahren ein totaler Baustopp. Da wird man sich wohl auf weitere Verzögerungen einstellen müssen. Hoffentlich keine unendliche Geschichte.