Freitag, 15. März 2013

Cafe Economou

Das Cafe Economou in der Hamburger Kunsthalle

Ein griechischer Wohltäter in Hamburg


Die Hamburger Kunsthalle am Glockengiesserwall ist das bekannteste Kunstmuseum der Hansestadt und eines der bedeutendsten, grössten und seit Jahren bestbesuchten von ganz Deutschland. Seine Sammlungen sind von internationalem Rang und decken ein breites Spektrum ab, sie reichen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Schwerpunkte sind die italienische Renaissance, die französische Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts, Impressionismus und Klassische Moderne. 1997 hinzugekommen ist die grossartige Galerie der Gegenwart. In dem von Oswald Mathias Ungers konzipierten vierstöckigen Kubus werden alle wichtigen zeitgenössischen Künstler präsentiert, darunter Baselitz, Polke, Gerhard Richter, Jenny Holzer, Op- und Pop-Artisten wie Warhol, um hier nur einige wenige zu nennen.

Damit sich die Kunstliebhaber von dem überwältigenden Kunstangebot in kongenialem Rahmen erholen können, hat man zwei neue Cafe-Restaurants eingerichtet: The Cube in der Galerie der Gegenwart mit einer grossen Sonnenterrasse zur Alster und das Cafe George Economou, das erst im September 2011 eröffnet wurde, in der Rotunde. Namensgeber ist George Economou, ein milliardenschwerer griechischer Reeder, Unternehmer und Kunstsammler. Sein temperamentvoller Agent Dimitri Gravanis, den alle nur Dimitri nennen, liebt es, die Auktionssäle aufzumischen. Er ist durch sein nicht eben diskretes Auftreten in den grossen deutschen Häusern wie Villa Grisebach in Berlin, Neumeister und Ketterer in München oder Lempertz und Van Ham in Köln bestens bekannt. So liefert er sich oft heftige Bieterduelle mit Konkurrenten und sorgte schon verschiedentlich für Rekordpreise. Geld scheint keine Rolle zu spielen!

Durch die finanzielle Unterstützung eines griechischen Grosssammlers war es der Hamburger Kunsthalle nun also möglich geworden, die stylische Einrichtung des Museumscafes durch Philippe Starck zu realisieren, mit Tischen und dreibeinigen Stühlen, die der Stardesigner 2006  für das legendäre Cafe Costes im Pariser Hallenviertel entworfen hat. 250 000 Euro war Economou die Namensgebung wert. Griechenland steht vor der Pleite und ein Grieche spendiert der Hamburger Kunsthalle ein luxuriöses Cafe. Fühlt sich Museumsleiter Hubertus Gassner wohl bei diesem Gedanken? Das fragte ihn das Hamburger Abendblatt in einem Interview am 14.Dezember 2012.

"Was hat George Economou dafür getan, dass das Cafe seinen Namen tragen darf?" fragte das Abendblatt.
Die Antwort Gassners: ".... Da uns das Geld für die Neueinrichtung eines Cafes fehlte, habe ich ihn gefragt, ob er sich dafür engagieren würde. Daraufhin hat er uns 250 000 Euro zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung bleibt sein Name insgesamt sieben Jahre lang bestehen ... Dass Griechenland mal so zum Thema werden könnte, war damals gar nicht abzusehen."
Abendblatt: "Economou ist nicht nur Kunstsammler, sondern gehört auch zu jener kleinen Schicht steinreicher Griechen, die jetzt aufgrund ihres Verhaltens heftig in der Kritik stehen. Ist das für Sie ein Problem?"
Gassner: "Das kann sich zum Problem entwickeln. Aber ich konnte die ökonomische Entwicklung in Griechenland nicht voraussehen, als ich 2009 den Vertrag mit ihm schloss. Ausserdem ist George Economou ein in der Hamburger Geschäftswelt ausserordentlich gut beleumundeter Mensch. Hier hat er als Kunstsammler und als Geschäftsmann einen sehr guten Ruf."
Auf die Frage, ob es nicht merkwürdig ist, wenn sich ein griechischer Mäzen während sein eigenes Land mitten in einer Krise steckt ausgerechnet für ein deutsches Museum engagiert, antwortete Gassner: "Das ist eine moralische Frage. Natürlich kann man darüber nachdenken, warum er nicht ein Museumscafe in Athen, sondern in Hamburg finanziert. Beantworten kann ich das aber nicht."

Es klingt nicht so, als würde sich der Museumsmann über die griechische Krise den Kopf zerbrechen. Das Cafe allerdings ist wirklich rundum schön. Hier geht man auch gerne hin, ohne in einer der Ausstellungen gewesen zu sein.

Donnerstag, 14. März 2013

Die Crux mit den Athener Strassennamen


Es verlangt nicht selten eine gewisse Findigkeit, in Athen von A nach B zu gelangen. Die hohe Kunst, eine Strasse oder bestimmte Adresse zu finden, ist oftmals zeitraubend und kompliziert und stuerzt nicht nur Athen-Unkundige in tiefste Verwirrung. Je nach der Regierung nämlich, die gerade an der Macht ist, werden Strassen und Plätze häufig umbenannt, speziell die repräsentativen. In letzter Zeit hat man sich damit gluecklicherweise zurueckgehalten - gegenwärtig gibt es gewichtigere Probleme - , aber die frueheren Aenderungen verursachen noch immer Schwierigkeiten und bereiten ziemliche Umstände.

Die Strassenschilder, die die Namen vorbildlich jeweils in griechischen und lateinischen Lettern widergeben, helfen nicht immer weiter. Manche nennen nur den gebräuchlichen alten Namen, andere den alten und den neuen und manche nur die neue Bezeichnung; man wundert sich auch gelegentlich ueber ein und dieselbe Strasse, die an ihrem Anfang den einen und an ihrem Ende einen anderen Namen trägt. Eine Strasse, die mich seit Jahren regelmässig verzweifeln laesst, ist die Odos Adrianou, die mitten durch die Altstadt Plaka zieht. An der Römischen Agora macht sie urplötzlich einen Knick, der Dexippou heisst. An dessen Ende muss man in die Areos einbiegen, bevor man sich - nach links gehend - in der Adrianou wiederfindet (sofern man nicht die schlecht einsehbare, von Touristenmassen blockierte Abzweigung verpasst hat und unversehens und einigermassen ratlos im Gedraenge des Monastiraki-Platzes umher irrt). Gluecklich also in der Adrianou angekommen, verläuft sie an der antiken Agora vorbei bis hinauf zum Theseion. Wie oft ich hier schon im Kreis gelaufen bin, kann ich an zwei Händen nicht abzählen. Warum die Strasse in ihrer Mitte plötzlich anders heisst, hat sich mir bisher noch nicht erschlossen.

Probleme bereitet auch die Piräos, eine kilometerlange Hauptverkehrsader, die vom Omoniaplatz bis nach Piräus fuehrt. Diese Strasse heisst offiziell P. Tsaldari und so steht es auch auf den Strassenschildern, doch fragt man einen Athener danach, erntet man gewöhnlich ein Schulterzucken. Er kennt sie nur unter ihrem alten Namen Piräos. Vollends tragisch kann es werden, wenn man zur Platia Eleftherias, dem Freiheitsplatz, möchte, von dem aus die Busse nach Dafni und Eleusis abfahren. Er liegt nämlich direkt an der P. Tsaldari-Strasse, die eben alle nur als Piräos-Strasse kennen, und die Platia Eleftherias kennen alle nur unter ihrem alten Namen Platia Koumoundourou - sogar der offzielle von der Griechischen Fremdenverkehrszentrale herausgegebene Stadtfuehrer "Athen" macht hier keine Ausnahme. Da kann man denn schon mal leicht ins Gruebeln oder gar ins Schwitzen geraten und den Bus zum Kloster Dafni verpassen. Jedenfalls empfiehlt es sich bei Verabredungen, einen gewissen Zeitpuffer einzuplanen, um puenktlich zu sein.

Freunde von mir sind im letzten Jahr bei sengender Hitze mehrmals rund um den Omonia-Platz gelaufen, weil sie die vom Platz abgehende Patission nicht fanden, an der das weltberuehmte Archäologische Nationalmuseum steht. Diese Strasse heisst nämlich offiziell 28. Oktovriou und so steht es auch auf dem dortigen Strassenschild. Aber jeder nennt sie nur Patission, ebenso wie jeder die El. Venizelou-Strasse, an der das Schliemann-Haus (mit einem sehr huebschen, stillen Gartencafe) steht, Panepistimiou nennt und den Platz mit dem Rathaus Platia Kotzia und nicht Platia Ethnikis Antistaseos, wie er offiziell heisst.

Die Postboten finden sich in diesem Durcheinander gut zurecht. Ich habe mir sagen lassen, dass die Briefzustellung perfekt funktioniert. Weniger gut geschult und Welten entfernt etwa von ihren Londoner Kollegen, die eine strenge Pruefung bestehen muessen, ehe sie auf ihre Kunden losgelassen werden und denen jede noch so winzige Sackgasse geläufig ist, sind die Athener Taxifahrer. Viele kommen aus Dörfern in Attika und sind den Finessen des Athener Strassensystems selber hilflos ausgeliefert. Wuerde man etwa dem Fahrer als Adresse Platia Filikis Etairias nennen, chauffierte er einen auf der Suche danach vermutlich durch halb Athen, um schliesslich entnervt aufzugeben. Dabei handelt es sich um die mitten im Zentrum gelegene, nur fuenf Gehminuten vom Parlament entfernte Platia Kolonakiou, den Kolonaki-Platz, den jeder kennt und auch so nennt. Diese Liste liesse sich fortfuehren.

Die Uneinheitlichkeit in der Nennung der Strassennamen findet man oft auch in einschlägigen Veröffentlichungen und sogar auf Stadtplänen. Letzteres ist meist dem Platzmangel geschuldet, schliesslich muessen beide Versionen, die griechische und die lateinische, auf kleinstem Raum gedruckt werden.
Was also tun? Das Athener Zentrum ist zum Glueck ziemlich klein, so dass man fast alle Sehenswuerdigkeiten erlaufen  kann. Um ohne Umwege ans Ziel zu gelangen, ist es besser, sich an die gebräuchlichen alten Namen zu halten oder - noch klueger - beide Namen zu wissen. Ferner sollte man immer einen Stadtplan zur Hand haben, um auf die entsprechende Adresse zu tippen, wenn man gar nicht weiter weiss. Am allerkluegsten aber ist es, nicht in Hektik zu verfallen, sondern sich in eines der vielen Strassencafes zu setzen und bei einem Cappuccino oder Eiskaffee den Trubel drumherum zu geniessen, der Athen ausmacht. Sie muss man jedenfalls nicht suchen, Cafes und kleine Tavernen gibt es genug und ueberall. Hier kann man dann in aller Ruhe den Stadtplan studieren und gegebenenfalls den Kellner nach dem Standort der gesuchten Sehenswuerdigkeit fragen. Er kann in den meisten Fällen weiterhelfen und wenn ausnahmsweise nicht, wird er sich genötigt sehen, einen der Angestellten oder der griechischen Gäste zu fragen. Sein Ziel erreicht man immer, und sei es in Begleitung.

Erzbischof Damaskinos und Evangelos Evert

Zwei Gerechte unter den Völkern

Wenn man vom Sintagmaplatz in Richtung Plaka geht, passiert man einen weitläufigen Platz, an dem die Grosse Mitropolis steht, die Kirche des orthodoxen Erzbischofs von Athen. In ihr heiratet mit allem Prunk, wer in Athen Rang und Namen hat, hier werden die Minister vereidigt, und auch zu den obligaten Ostergottesdiensten sieht man hier viel Athener Prominenz.

Die Metropolitankirche war auch die Wirkungsstätte von Erzbischof Damaskinos, dem Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche während der Zeit der deutschen Besatzung. An ihn erinnert das Denkmal in der Mitte des Platzes. In den marmornen Sockel ist ein Satz graviert, der von beispielloser Kuehnheit, ja, geradezu Waghalsigkeit, kuendet: "Die griechischen Priester werden nicht erschossen, sie werden gehängt. Bitte respektieren Sie diese Tradition." Dies war die Antwort des Erzbischofs an den SS-Brigadefuehrer und Generalmajor der Polizei, Juergen Stroop, der das widerständige Verhalten des obersten Kirchenmannes mit unbaendigem Hass verfolgte und ihm drohte, ihn wegen seiner Proteste gegen die Verfolgung der griechischen Juden erschiessen zu lassen. Bevor Stroop nach Athen kam, hatte er sich in Warschau hervorgetan und den Aufstand im Ghetto grausam niedergeschlagen. Um seine "Meriten" bei der Zerstörung des Ghettos angemessen zu praesentieren, fertigte er eine Bilddokumentation an, die als sogenannter Stroop-Bericht später, nach 1945, eine entscheidende Rolle in den Nuernberger Prozessen spielte.

Über die Massnahmen der nationalsozialistischen Besetzer gibt eine "Anordnung" Stroops vom 4. Oktober 1943 Auskunft, die drei Tage später in der Athener Zeitung "Eleftheros Vima" veröffentlicht wurde. (Im Juedischen Museum in der nahen Odos Nikis hängt das deutsche Originaldokument.) Darin heisst es unter Punkt 3, dass alle Juden "in Athen und Vororten verpflichtet (sind), sich binnen fuenf Tagen bei der Juedischen Kultusgemeinde in Athen zu melden und sich dort registrieren zu lassen..." Punkt 4 drohte: "Juden, die diesen Anordnungen nicht nachkommen, werden erschossen. Nichtjuden, die Juden versteckt halten, ihnen Unterschlupf gewähren oder ihnen zur Flucht behilflich sind, werden in Arbeitslager eingewiesen, falls keine schwerere Bestrafung erfolgt." Unmissverständlich war auch Punkt 9: "Die griechischen Polizeibehörden werden angewiesen, die Durchfuehrung obiger Anordnung auf das schärfste zu kontrollieren und zuwiderhandelnde Juden oder Personen, die ihnen bei der Nichtbeachtung der Anordnung behilflich sind, sofort festzunehmen."

Weder die Athener Juedische Gemeinde noch die griechischen Polizeibehörden kamen den Befehlen des SS-Fuehrers nach. Im Gegenteil, sie widersetzten sich ohne Ruecksicht auf das eigene Risiko den Forderungen der Gestapo. Kultusgemeinde, orthodoxe Kirche und Polizei arbeiteten Hand in Hand und ergriffen sofortige Massnahmen, um die Juden zu schuetzen. Erzbischof Damaskinos hatte bereits im März 1943 an die deutschen Besatzungsbehörden appelliert, die Vertreibung griechischer Staatsbuerger sofort zu beenden. Als die ersten Deportationen Mitte März in Saloniki einsetzten, verfasste er ein Memorandum, in dem er die Judenverfolgungen öffentlich verurteilte und sich nachdruecklich fuer die Juden einsetzte. 29 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hatten den Appell mitunterzeichnet, was unter den damaligen Bedingungen des Terrors viel Mut erforderte. Darunter waren die Präsidenten der Athener Akademie, der Universitäten, der Handelskammer sowie die Leiter weiterer bedeutender akademischer, wirtschaftlicher und kuenstlerischer Institutionen.

Doch alle Versuche, die Juden von Saloniki zu retten, schlugen fehl.

Angespornt durch das couragierte Engagement des Metropoliten wies der Athener Polizeipräsident Angelos Evert seine Behörde an, Juden bei Bedarf falsche Papiere auszustellen. Mehrere hundert Personen erhielten auf diese Weise neue Ausweise und Pässe und entgingen so der Deportation in die Vernichtungslager. Manche Personalurkunden fertigte Evert eigenhändig aus. Erzbischof Damaskinos gab Menschen mosaischen Glaubens eine christliche Identität. Er erteilte falsche Taufscheine und rief die Geistlichen in den Klöstern ausdruecklich dazu auf, jeden juedischen Fluechtling aufzunehmen, der um Schutz bäte. Ein breites Netz der Fluchthilfe entstand.

Das Verhalten der kirchlichen, politischen und intellektuellen Eliten schuf die Voraussetzung dafuer, dass sich auch die Bevölkerung von den Drohungen der deutschen Besetzer nicht einschuechtern liess. Viele Juden kamen bei ihren christlichen Landleuten, bei Freunden und Nachbarn, unter; andere gingen mit den Partisanen in die Berge wie der Oberrabbiner Elias Barzelai, der die Athener juedische Gemeinde während der Nazizeit und danach - er hatte ueberlebt - betreute. Im Gegensatz zu seinem Kollegen in Saloniki, Oberrabbiner Zwi Koretz, hatte er die Zusammenarbeit mit den Deutschen auf ein Minimum beschränkt. So kam er der Aufforderung, ihnen die Einwohnerlisten der Athener Juden auszuhändigen, nicht nach, sondern zerstörte die bestehenden Karteien, damit sie den Besatzern nicht in die Hände fielen. Schätzungen zufolge hielten sich damals etwa 8000 bis 10 000 Juden in Athen auf, grossteils Fluechtlinge aus Saloniki. Die meisten entgingen so der drohenden Deportation in die Vernichtungslager. Von den 800 Menschen hingegen, die im April 1944 nach Auschwitz transportiert wurden, ueberlebten nur wenige. 

Erzbischof Damaskinos (1891-1949) und Angelos Evert (1894-1970) - uebrigens der Sohn eines bayerischen Offiziers der Königlichen Gendarmerie Ottos I. -  wurden 1969 vom Staat Israel als "Gerechte unter den Völkern" geehrt, das ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden zu vergeben hat. Sie wurde bisher insgesamt 313 Griechen verliehen.