Montag, 2. April 2018

Deutsche Philhellenen in Athen - Wer steckt hinter den Straßennamen? Wilhelm Schmidt, J. F. Julius Schmidt, Theodor von Helmreich, Wilhelm Müller, Karl Otfried Müller u.a.

Straßennamen sind das Gedächtnis einer Stadt, weil sie die Erinnerung an bestimmte Personen wachhalten. Demnach sind den Griechen vor allem ihre antiken Vorfahren lieb und teuer. In Athen tragen oft ein Dutzend Straßen oder mehr den Namen Aristoteles und Sophokles, Sokrates und Euripides oder Perikles, worin sich der Stolz auf die glanzvolle Vergangenheit und ihre Hinterlassenschaften sowie die oftmals noch immer mit allem Ernst vorgetragene  Überzeugung ausdrückt, die direkten Nachkommen der "alten Griechen"  zu sein. In diesen Olymp großer Namen aufgenommen und durch ein Straßenschild geehrt zu werden, gelang immerhin rund dreißig deutschen Wissenschaftlern, Unternehmern, Politikern und Archäologen, denen zuerkannt wird, sich um das Land verdient gemacht zu haben. Griechenland profitierte im 19. Jahrhundert in hohem Maße von der westlichen Wissenschaft, den kompetenten deutschen Gelehrten, die auf vielen Gebieten Pionierarbeit leisteten, Hellas nach außen repräsentierten und Grundlagenforschung betrieben, die noch heute gültig ist.

Allen Philhellenen wird im Zentrum Athens mit der Odos Filellinon, der "Straße der Philhellenen", gemeinsam gedacht. Sie zweigt von der Seite des Sintagmaplatzes ab, die mit der Odos Othonas den Namen des ersten Königs von Griechenland trägt, des Wittelsbachers Otto I., in dessen Gefolge die meisten Deutschen nach Hellas gekommen und geblieben sind - sofern sie den klimatischen und hygienischen Bedingungen sowie anderen Beschwernissen gewachsen waren oder Krankheiten wie das "endemische Wechselfieber"  ("endemische Malaria") überlebten.

Unter denen, die sich die Hochschätzung der Athener erwarben, waren zwei deutsche Schmidts: Friedrich Schmidt und  J. F. Julius Schmidt. Die Straße des letzteren, die enge Odos Smith, führt zum Nymphenhügel mit der Sternwarte, die der in Wien lebende Baron Sina, Auslandsgrieche, betuchter Bankier und Mäzen, 1843 der Stadt Athen stiftete. Der international bekannte Astronom Schmidt war von 1858 bis zu seinem plötzlichen Herztod 1884 Direktor des Observatoriums. Seine Beerdigung auf dem Ersten Athener Friedhof gestaltete sich unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu einer "nationalen Trauerfeier".

Ein Sträßchen hinter dem Friedhof, die Odos Vinkelman, erinnert an Johann Joachim Winckelmann, den Begründer der klassischen Archäologie als Kunstwissenschaft. Er war zwar selbst nie in Hellas, hat aber das Griechenlandbild der Deutschen maßgeblich beeinflußt, auch das der Dichter der Klassik. So sprach etwa Goethe von der "glücklichen Natur der Griechen", die "den Traum des Lebens am schönsten geträumt" haben und betrachtete sie als Idealtyp nicht nur der europäischen, sondern der gesamten Menschheit. Winckelmanns große Liebe galt den Griechen. Er schätzte die griechische Kunst höher ein als die römische, in ihrem Wesen liege "edle Einfalt und stille Größe" . 

Die zweite Schmidt-Straße liegt südlich vom Zentrum und zweigt von der Pirras-Straße ab. Ihr Namengeber  Friedrich Schmidt war preußischer Agronom und Hofgärtner, in dessen Händen, unterstützt von dem renommierten bayrischen Botaniker Carl Nikolaus Fraas (der aus gesundheitlichen 1841 nach München zurückkehren mußte), die praktische Umsetzung des Entwurfs von  Francois-Louis Barrauld für einen Hofgarten lag. Auf Veranlassung Königin Amalias ließ Schmidt seltene Bäume und Pflanzen aus dem gesamten Mittelmeergebiet heranschaffen, die den Park zu einem Botanischen Garten machten. Unter den über 500 Arten wurden 102 einheimische gezählt. Über die Entstehung der Anlage veröffentlichte Schmidt den Beitrag "Der königliche Hofgarten in Athen". Die am Haupteingangstor des "Ethnikos Kipos", des heutigen Nationalgartens, entlangführende Straße trägt den Namen der Königin: Leoforos Amalias.

Nahe der Odos Smit trifft man auf die Odos Chelntraich, die ein Tourist wohl nicht auf Anhieb als Helmreich-Straße entziffert. Theodor von Helmreich, ebenfalls Botaniker, weltbekannt und auf vielen internationalen Kongressen zu Hause, war von 1851 bis zu seinem Tode 1902 Direktor des Königlichen Botanischen Garten Athens sowie von 1858 bis 1883 Kurator des Naturhistorischen Museums der Universität Athen. Auf zahlreichen ausgedehnten Exkursionen erforschte er die Flora Griechenlands und entdeckte 700 neue Arten, von denen siebzig seinen Namen tragen. Von seinen vielen Veröffentlichungen wurden einige im 20. /21. Jahrhundert nachgedruckt, so erst 2016 bei Hansebooks das 1877erstmals erschienene Werk "Die Nutzpflanzen Griechenlands". Heldreich führte eine rege Korrespondenz mit seinen europäischen Kollegen, darunter mit Charles Darwin, die 1993 veröffentlicht wurde.

Auch der deutsche Namen Müller ist in Athen präsent. Die Odos Myllerou im Stadtteil Metaxourgiou erinnert an den deutschen Dichter und leidenschaftlichen Philhellenen Wilhelm Müller, schon zu seinen Lebzeiten als "Griechen-Müller" verehrt, der über fünfzig "Griechenlieder" schrieb, darunter das populäre "Der kleine Hydriot". Den Deutschen besser bekannt sein dürfte er durch das Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" oder die von Schubert vertonte "Winterreise".  Die Odos Myller im Stadtteil Kolonos würdigt Karl Otfried Müller, einen der bedeutendsten und produktivsten Altertumswissenschaftler seiner Zeit. An ihn, der 1840 nach seiner Delphi-Reise in Athen an Fieber starb, erinnert auch eine Grabstele auf dem Kolonoshügel.

Natürlich ist auch dem großen Archäologen Heinrich Schliemann eine Straße gewidmet, die Odos Errikos Sliman, im Süden des nach Lord Byron benannten Stadtteils Vyronas, ebenso dem Architekten Ernst Ziller, der Schliemanns Wohnhaus, heute Münzenmuseum, und das Schliemann-Mausoleum auf dem Ersten Athener Friedhof schuf. Mit über fünfhundert Bauten prägte Ziller das klassizistische Stadtbilds Athen, von denen so manche glücklicherweise überlebt haben. Er starb verarmt in Athen und ist ebenfalls auf dem Ersten Athener Friedhof begraben. Einige weitere Deutsche fanden dort ihre letzte Ruhestätte wie der philhellenische Baron Eduard von Reineck, der Epigraphiker Hans von Prott, Bettina von Savigny-Schinas und der Archäologe Adolf Furtwängler.

Zu den Personen hinter der Odos Streit und der Odos Esslin siehe meine Beiträge unter April 2018 und Oktober 2017, ausführlicher zu Wilhelm Müller und Karl Otfried Müller meine Beiträge vom Juni 2014 und Juli 2017.
Zur Familie Fuchs, den bayrischen Gründern der Bierbrauerei Fix, nach denen eine Straße im Süden Athens - Odos Fix - sowie die Metrohaltestelle Singrou-Fix benannt ist, siehe meinen Beitrag "Fix-Bier. Die erste Brauerei Griechenlands" von Februar 2014.



Die Geschichte hinter den Namen - die Odos Streit in Athen

Mit dem Wittelsbacher Otto, der 1832 zum König von Griechenland gekrönt wurde, und auch später, nach seiner Abdankung 1862, kamen deutsche Beamte und Soldaten, Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten  und Handwerker nach Griechenland, die sich dort niederließen und deren Nachkommen großteils noch heute in Hellas leben. Um ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern, publizierte Adolph von Schaden bereits 1833 in München den Ratgeber und Reiseführer "Der Bayer in Griechenland. Ein Handbuch für alle, welche nach Hellas zu ziehen gedenken, oder dasselbe in jeder Beziehung näher kennen zu lernen wünschen."  Der Band gibt einen Einblick in den damaligen Rumpfstaat, die kulturellen und historischen Mißverständnisse, das verklärte - irreale - Griechenbild. Denn die Wirklichkeit sah ganz anders aus.

Unter den deutschen Emigranten - viele kamen aus Bayern wie Johann Karl Fuchs, der 1864 die Bierbrauerei Fix gründete, königlicher Hoflieferant und über hundert Jahre lang beherrschende Großbrauerei in Griechenland war, oder der Weinhändler Gustav Clauss, der 1859 auf dem Peloponnes das berühmte Weingut Achaia Clauss gründete - war auch der philhellenisch geprägte Johannes Alexander Freiherr von Streit, wie die meisten Auswanderer ein Repräsentant des gehobenen Großbürgertums bzw. des Adels. Streit, 1812 auf dem Rittergut Medewitzsch 25 Kilometer südlich von Leipzig geboren, stammte aus sächsischem und mütterlicherseits dem fränkischen Adelsgeschlecht von Wurmb. Er gehörte dem Offizierscorps Ottos I. an und ließ sich nach dem Abschied vom Militärdienst in Patras nieder. Die Nachkommen des deutschen Freiherrn sollten sich in dem aufzubauenden Land einige Verdienste erwerben.

Sein 1835 in Patras geborener Sohn Stefanos Streit heiratete 1865 Viktoria Londou, die Tochter des Bürgermeisters Andreas Londos.Nachdem seinem Studium der Rechte in Leipzig und Athen machte erfolgreich Karriere als Jurist, Bankier, Hochschullehrer und Politiker. So war er von 1896 bis 1911 Präsident der Griechischen Nationalbank und in der Regierung von Alexandros Zaimis Finanzminister.

Georgios Streit, 1868 ebenfalls in Patras geboren, trat in die Fußstapfen seines Vaters Stefanos und studierte Jura, in Leipzig, Berlin und Athen. 1898 wurde er Professor für Internationales Recht in Athen, Berater des Außenministeriums sowie 1910 griechischer Botschafter in Wien. Anfang 1914, am Vorabend des Ersten Weltkriegs (manche Quellen nennen Dezember 1913), wurde er für acht Monate Außenminister. Weil er die Neutralität Griechenlands wahren wollte, stellte er sich gegen einen Kriegseintritt an der Seite Englands, konnte ihn aber nur hinauszögern. Als Grund für sein Widerstreben vermutete man wegen seiner Herkunft eine pro-deutsche Neigung, auch wenn er seine Haltung später damit erklärte, daß Griechenland für einen Kriegseintritt in keiner Weise vorbereitet war.

1929 wurde Streit Mitglied des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, 1931 Präsident der Akademie von Athen.

In Athen wurde die Familie Streit durch einen Straßennamen geehrt: die am Kotziaplatz abzweigende Odos Streit, ein kurzes, aus zwei, drei Häuserblocks bestehendes Sträßlein.

Nachkommen der von Streits leben noch heute in Griechenland, darunter sein Urenkel Pavlos Geroulanos, der in der Regierung von Georgios Papandreou Minister für Kultur und Tourismus war.