Freitag, 19. Juli 2013

Das Vamos-Programm: Im Hotel Likithos auf der Chalkidike

Anfang Mai fuhren wir für eine Woche auf die Chalkidike in das Hotel Likithos nahe Neos Marmaras. Wir, das sind eine Drei-Generationen-Familie: Grosseltern, Eltern und die beiden Kinder, Paulina, knapp vier Jahre und Poppy, acht Monate alt. Wir wollten weg aus dem kalten Berlin, irgendwohin, wo die Sonne scheint und der Himmel blau ist, kurzum, wir suchten Sonne, Strand und Meer. Und Wärme. Ausserdem musste es ein Ort sein, an dem sich die Kinder nicht langweilen und die Erwachsenen Spass, Entspannung und endlich etwas Ruhe finden würden. Und natürlich sollte dieser Sehnsuchtsplatz nicht zu weit weg sein, länger als rund zwei Stunden wollten wir mit den Kindern nicht im Flugzeug sitzen.

Bei unserem Studium der Möglichkeiten stiessen wir auf ein verheissungsvolles Angebot, dass uns all dies zu versprechen schien. Wir entdeckten die Vamos-Eltern-Kind-Reisen, einen deutschen Spezialisten für Familienreisen. Vamos hat meist kleinere, von den Besitzern persönlich geführte Hotels mit Charakter in schönen naturnahen Regionen im Programm, davon sechs solcher Anlagen in Griechenland. Wir entschieden uns für das Hotel Likithos auf der Sithonia, dem mittleren, dicht bewaldeten und leicht bergigen Finger der Halbinsel Chalkidike. Um es vorweg zu sagen: Die Woche war perfekt.

Wir kamen nach Einbruch der Dunkelheit an, willkommen geheissen von Grigorios Theocharis, dem Eigentümer der Anlage, den alle nur Grigorios nennen und der ein akzentfreies Deutsch spricht. Er hat einige Jahre in Deutschland verbracht, wo er auch seine Frau Marina kennenlernte, die in Sarti auf der anderen Küstenseite die Villa Kalypso leitet, ebenfalls ein Vamos-Familienhotel. Grigorios ist die Seele des Ganzen, er ist immer präsent, gibt  Ratschläge und Empfehlungen oder diskutiert mit Eltern (und Grosseltern) kenntnisreich und mit vielem Insiderwissen die gegenwärtige, weiterhin miserable Situation in Hellas.

Am nächsten Morgen sehen wir, was wir in der Dämmerung nur ahnten: das Blau und Weiss Griechenlands, den Himmel und unter uns das im Sonnenlicht glitzernde Meer, dazu ein Grün in sämtlichen Schattierungen, das satte Dunkel der Zypressen und Eukalyptusbäume, das hellere der dichten Pinienwälder und Zitronenplantagen und das silbrige Grün der Olivenhaine. Um 10 Uhr, nach dem reichlichen Buffetfrühstück, eilen die Kinder in den Kinderclub, in dem sie malen, basteln und Lieder einstudieren, auf kleine Wanderungen an den Strand oder auf Schatzsuche gehen, kurz, alles das tun, was Kinder glücklich macht. Jetzt haben die Eltern ein paar Stunden Zeit für sich, um in Ruhe ein Buch ein Buch zu lesen, hinunter in die beidseitig von Felsen eingerahmte Privatbucht zu steigen oder die Gegend zu erkunden.

Nachmittags, nach dem Mittagessen im Pool-Restaurant, wo wir täglich herrlich gegrillten Fisch und Salat essen, ist Hochbetrieb im Kinderbereich des riesigen Swimmingpools, dem Herzstück des Hotels; jetzt sind die Eltern wieder gefragt. Oder zumindest ein Elternteil, denn die Väter spielen nachmittags gewöhnlich Volleyball. Nebenan ist ein Spielplatz, auf dem die Mütter mit den kleineren Kindern schaukeln oder Ballspielen und Erfahrungen mit den anderen Müttern austauschen. Wir, die Grosseltern, gehen meist hinunter zum Strand, den wir fast immer ganz für uns alleine haben. Nach dem abendlichen Buffet, das sehr abwechselungsreich ist (trotzdem hält sich Paulina wie die meisten anderen Kinder an Pommes und Spaghetti), gibt es die Blaue Stunde, in der die beiden jungen Betreuerinnen, die die Zuneigung der Kinder schnell gewonnen haben, den Kleinen vorlesen. Es gab wohl kein Kind, dass die Blaue Stunde versäumte. Und um uns herum geniessen heitere Eltern bei einem Glas Naoussa-Wein und herrlichem Sonnenuntergang die freie Stunde.

Connie, die energische Leiterin des Vamos-Programms, sorgt dafür, dass auch den Erwachsenen einiges geboten wird. Sie organisiert Fahrten in die nahen Dörfer oder zusammen mit dem sportlichen Michi mehrstündige Bergbesteigungen. Auch wenn  die Berge nicht hoch sind - wer je in Griechenland gewandert ist, weiss, wie beschwerlich das Laufen wegen oft fehlender Wege durch Disteln und Gestrüpp sein kann. Paulinas gut trainierter Opa, der jedes Jahr eine Woche in die Alpen geht, kommt jedenfalls nach fünf Stunden Wanderung zwar glücklich, aber doch recht erschöpft von der strapaziösen Tour zurück. Zweimal fahren wir alle in das wenig pittoreske, erst 1923 von Flüchtlingen aus Kleinasien gegründete Neos Marmaras, das aber einige hübsche Cafes und eine Handvoll guter Fischtavernen aufweist. Im Mytikas direkt am Strand lassen wir uns frische Meerbrassen und Barbounia schmecken, fahren mit der Fähre hinüber in die riesige Luxusanlage Porto Karras, die augenscheinlich ihre besten Tage hinter sich hat, und kaufen einige Flaschen Olivenöl für zu Hause. Schliesslich ist das griechische Olivenöl das beste der Welt.

Die sieben Tage sind schnell vorbei. Paulina schmerzt der Abschied von der besten Freundin Lara ein wenig, aber vielleicht sehen wir uns ja alle im nächsten Jahr wieder im Likithos-Hotel (oder in der Villa Kalypso in Sarti). Einige Familien sind schon zum zweitenmal hier. Wir haben hier jedenfalls einen unvergesslichen Familienurlaub verbracht.



Sonntag, 14. Juli 2013

Deutsche Künstler in Athener Galerien - Kippenberger und Middendorf bei Eleni Koroneou



Eine der prägendsten und einflussreichsten Figuren der Athener Kunstwelt ist Eleni Koroneou. 1988 gründete sie ihre Galerie und präsentierte von Anfang an international bekannte Künstler, darunter auch die beiden Deutschen Helmut Middendorf und Martin Kippenberger. Zu einer Zeit, als Sammlungen und Ausstellungen von Zeitgenossen in Athen noch eine Seltenheit waren, sah Koroneou es als ihre Aufgabe an, die Griechen mit der westeuropäischen Kunst bekannt zu machen und auch griechischen Künstlern der jüngeren Generation eine Plattform zu bieten. Middendorf stellte erstmals 1989 bei Koroneou aus. Er lebt und arbeitet den grössten Teil des Jahres in Athen, verbringt aber noch immer regelmässig mehrere Monate in Berlin, wo er in den siebziger und achtziger Jahren zu den "Jungen Wilden" gehörte. Doch diese Periode der "heftigen Malerei", der grellen, explodierenden Farbwut, hat er längst hinter sich gelassen und zu zurückhaltender Farbigkeit und Konzeption gefunden. Kippenberger folgte bei Koroneou 1994 mit "MoMAS" und 1996, ein Jahr vor seinem frühen Tod, mit "Made in Syros". Zur Zeit - Sommer 2013 - sind beide Künstler bei Koroneou Teil der Gruppenausstellung "6 Artists".

Middendorf und Kippenberger waren auch 2011 in der Ausstellung "The Last Grand Tour" im Kykladenmuseum zu sehen, die Griechenland als Ort der Inspiration für Künstler des 20. Jahrhunderts zum Thema hatte. Der Titel der Ausstellung spielt auf die Tradition der Bildungsreisen früherer Jahrhunderte an, als es für die Söhne des Adels und nach der Aufklärung auch für die Söhne der reichen westeuropäischen Familien Pflichtprogramm war, nach Italien und Griechenland zu reisen, um die antiken Stätten, Kirchen, Klöster und sonstigen Kulturschätze zu besuchen. Die jahrtausendealte Kultur, Geschichte und Mythen Griechenlands üben bis in die Gegenwart eine Anziehungskraft auf Künstler aus, so auch auf die in der Ausstellung vertretenen Maler Brice Marden, der seit 1971 seine Sommer oftmals auf Hydra verbringt, auf Linda Berglis, Manfred Pernice oder Jürgen Teller. Kippenberger war mit Gemälden, Zeichnungen und Modellen vertreten, die einen Eindruck von seinen Projekten auf Syros geben, dem MetroNet und dem MoMAS.

Kippenberger verbrachte seit Anfang der neunziger Jahre jeweils mehrere Monate im Jahr auf Syros, wo er bei seinen Freunden Catherine und Michel Würthle, dem Besitzer der berühmten Berliner "Paris Bar", wohnte. Auf dieser entlegenen Kykladeninsel, weit weg vom etablierten Kunst- und Kulturbetrieb, kam ihm die Idee zu zwei seiner ausgefallensten und grössten künstlerischen Unternehmungen: dem globalen, von Syros ausgehenden MetroNet  und dem Museum of Modern Art Syros, dem MoMAS. 1993 war ihm auf einer Anhöhe über dem Hafen eine Neubauruine aufgefallen, die einmal ein Schlachthof werden sollte. In dem nackten Betonskelett sah er eine "moderne Akropolis", das Ideal eines Tempels moderner Kunst, und so erklärte er "die Säulenhalle" kurzerhand zum Museum of Modern Art Syros und sich selbst zu dessen Direktor. Alljährlich lud er einige Gleichgesinnte auf die Insel ein, Künstlerfreunde aus seinem Umfeld, um hier Projekte zu realisieren und sie der Öffentlichkeit vorzustellen, die indes - soweit bekannt ist - nicht sehr interessiert war. Die Vernissagen waren nur spärlich besucht. Aber das war ihm zu der Zeit wohl ziemlich egal. "Es kann auch sein, dass ich ein Mitteilungsbedürfnis habe für nur eine Person oder zwei Personen, wo ich voll drin aufgehe" zitiert Susanne Kippenberger ihren Bruder in ihrer sehr lesenswerten Biographie (Kippenberger. Der Künstler und seine Familien, Berlin 2013). "Mit Kunstmarkt hatte das nichts mehr zu tun. ...Das MoMAS war seine Antwort auf den globalisierten Kunstbetrieb."

So ganz hielt er die stillen Tage auf Syros aber denn doch nicht aus. Ab und zu zog es ihn nach Athen, wo er auf Vernissagen des bedeutenden Sammlers Dakis Ioannou für Aufsehen sorgte, seine Galeristin traf und den ihm seit seinen Berliner Tagen bekannten Helmut Middendorf, mit dem er nächtelang durch die Bars zog. Von drei Tagen mit Kippenberger musste Middendorf sich eine Woche lang erholen, aber, wie Susanne Kippenberger ihn in ihrer Biographie zitiert, "ich habe nie jemanden getroffen, mit dem ich soviel Spass hatte. Es gab keinen zweiten. Im Kunstbetrieb sowieso nicht." Und in Athen "brauchte er nicht diesen Selbstdarstellungsblödsinn. In Berlin und Köln war es so, als ob sie ihn mit einem Schalter angestellt hätten. Dann musste er den Martin machen."

Kippenberger eröffnete das MoMAS 1993 mit einer Einzelausstellung von Hubert Kiecol, der überwiegend als Bildhauer arbeitet. Es folgten 1994 Christopher Wool und Ulrich Strothjohann, 1995 Stephen Prina, Cosima von Bonin und Christopher Williams und 1996 Johannes Wohnseifer, Michel Majerus und Heimo Zobernig.

Die auf dem Hügel thronende "Säulenhalle" wurde schliesslich fertig gebaut. Sie wurde aber weder Museum und auch kein Schlachthaus, sondern Kläranlage.

Im September 1993 eröffnete Kippenberger auf Syros - einige Kilometer im Inland auf unwirtlichem Gelände  - auch seinen U-Bahn-Eingang, die erste Station eines fiktiven weltweiten Metrosystems, das alle regionalen Trennungen überwinden sollte. Der U-Bahn-Eingang ohne U-Bahnanschluss bestand aus einem schon vorhandenen Gitter als Geländer, einem Tor und einer kurzen Treppe aus Beton, die nirgendwohin führte. Das MetroNet verbindet Syros mit dem anderen Ende der Welt, dem ebenfalls ländlichen  Dawson City in Kanada, einer ehemaligen Goldgräberstadt. Diese zweite Station richtete Kippenberger 1995 ein. Andere sollten folgen, z.B. in New York, Los Angeles, Tokio, Wien, Paris und Münster. Aber dazu kam es dann nicht mehr. Kurz vor seinem Tod stellte er noch einen mobilen U-Bahn-Eingang fertig, einen mobilen Lüftungsschacht und einen Schacht, aus dem das Geräusch hindurch fahrender Züge zu hören ist. Metronetz und MoMAS gehören zum Werkkomplex seiner von ihm so genannten "unsinnigen Bauvorhaben".

Zu Lebzeiten stark umstritten und eine Zeitlang nicht richtig ernst genommen, bildet Kippenbergers Werk heute einen festen Bestandteil in allen wichtigen Sammlungen der Welt. 2006 stellte ihn die Londoner Tate Modern aus, 2009 das Museum of Modern Art in New York, 2013 der Hamburger Bahnhof in Berlin. Einige seiner Ausstellungsplakate wurden von Mega-Stars wie Jeff Koons und Mike Kelley oder Rosemarie Trockel und Christopher Wools gestaltet.

Kippenberger beherrschte alle Kunstgattungen, ob Malerei, Zeichnung, Fotografie oder Plakate und Installationen. Da er stets sehr schnell auf Zeitströmungen reagierte, dachten viele, seine Kunst ginge über den Tag nicht hinaus. Das war eine Fehleinschätzung. Seine Werke erzielen längst Rekordpreise. Bekam er zu Lebzeiten höchstens 10 000 Dollar für eine Arbeit, werden seine Bilder heute zu Höchstpreisen gehandelt. In Auktionen wurde für ein Gemälde 2005 bei Philips de Pury eine Million Dollar bezahlt, für eine Skulptur 2011 bei Christie's London schon etwas über zwei Millionen und für ein Selbstporträt 2012, ebenfalls bei Christie's London, stattliche 5,1 Millionen Dollar.

Die Galerie von Eleni Koroneou befindet sich in einem neoklassizistischen Gebäude unterhalb der Akropolis im Viertel Thission, Dimofontos 30 Ecke Thorikion 7.