Donnerstag, 14. März 2013

Erzbischof Damaskinos und Evangelos Evert

Zwei Gerechte unter den Völkern

Wenn man vom Sintagmaplatz in Richtung Plaka geht, passiert man einen weitläufigen Platz, an dem die Grosse Mitropolis steht, die Kirche des orthodoxen Erzbischofs von Athen. In ihr heiratet mit allem Prunk, wer in Athen Rang und Namen hat, hier werden die Minister vereidigt, und auch zu den obligaten Ostergottesdiensten sieht man hier viel Athener Prominenz.

Die Metropolitankirche war auch die Wirkungsstätte von Erzbischof Damaskinos, dem Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche während der Zeit der deutschen Besatzung. An ihn erinnert das Denkmal in der Mitte des Platzes. In den marmornen Sockel ist ein Satz graviert, der von beispielloser Kuehnheit, ja, geradezu Waghalsigkeit, kuendet: "Die griechischen Priester werden nicht erschossen, sie werden gehängt. Bitte respektieren Sie diese Tradition." Dies war die Antwort des Erzbischofs an den SS-Brigadefuehrer und Generalmajor der Polizei, Juergen Stroop, der das widerständige Verhalten des obersten Kirchenmannes mit unbaendigem Hass verfolgte und ihm drohte, ihn wegen seiner Proteste gegen die Verfolgung der griechischen Juden erschiessen zu lassen. Bevor Stroop nach Athen kam, hatte er sich in Warschau hervorgetan und den Aufstand im Ghetto grausam niedergeschlagen. Um seine "Meriten" bei der Zerstörung des Ghettos angemessen zu praesentieren, fertigte er eine Bilddokumentation an, die als sogenannter Stroop-Bericht später, nach 1945, eine entscheidende Rolle in den Nuernberger Prozessen spielte.

Über die Massnahmen der nationalsozialistischen Besetzer gibt eine "Anordnung" Stroops vom 4. Oktober 1943 Auskunft, die drei Tage später in der Athener Zeitung "Eleftheros Vima" veröffentlicht wurde. (Im Juedischen Museum in der nahen Odos Nikis hängt das deutsche Originaldokument.) Darin heisst es unter Punkt 3, dass alle Juden "in Athen und Vororten verpflichtet (sind), sich binnen fuenf Tagen bei der Juedischen Kultusgemeinde in Athen zu melden und sich dort registrieren zu lassen..." Punkt 4 drohte: "Juden, die diesen Anordnungen nicht nachkommen, werden erschossen. Nichtjuden, die Juden versteckt halten, ihnen Unterschlupf gewähren oder ihnen zur Flucht behilflich sind, werden in Arbeitslager eingewiesen, falls keine schwerere Bestrafung erfolgt." Unmissverständlich war auch Punkt 9: "Die griechischen Polizeibehörden werden angewiesen, die Durchfuehrung obiger Anordnung auf das schärfste zu kontrollieren und zuwiderhandelnde Juden oder Personen, die ihnen bei der Nichtbeachtung der Anordnung behilflich sind, sofort festzunehmen."

Weder die Athener Juedische Gemeinde noch die griechischen Polizeibehörden kamen den Befehlen des SS-Fuehrers nach. Im Gegenteil, sie widersetzten sich ohne Ruecksicht auf das eigene Risiko den Forderungen der Gestapo. Kultusgemeinde, orthodoxe Kirche und Polizei arbeiteten Hand in Hand und ergriffen sofortige Massnahmen, um die Juden zu schuetzen. Erzbischof Damaskinos hatte bereits im März 1943 an die deutschen Besatzungsbehörden appelliert, die Vertreibung griechischer Staatsbuerger sofort zu beenden. Als die ersten Deportationen Mitte März in Saloniki einsetzten, verfasste er ein Memorandum, in dem er die Judenverfolgungen öffentlich verurteilte und sich nachdruecklich fuer die Juden einsetzte. 29 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hatten den Appell mitunterzeichnet, was unter den damaligen Bedingungen des Terrors viel Mut erforderte. Darunter waren die Präsidenten der Athener Akademie, der Universitäten, der Handelskammer sowie die Leiter weiterer bedeutender akademischer, wirtschaftlicher und kuenstlerischer Institutionen.

Doch alle Versuche, die Juden von Saloniki zu retten, schlugen fehl.

Angespornt durch das couragierte Engagement des Metropoliten wies der Athener Polizeipräsident Angelos Evert seine Behörde an, Juden bei Bedarf falsche Papiere auszustellen. Mehrere hundert Personen erhielten auf diese Weise neue Ausweise und Pässe und entgingen so der Deportation in die Vernichtungslager. Manche Personalurkunden fertigte Evert eigenhändig aus. Erzbischof Damaskinos gab Menschen mosaischen Glaubens eine christliche Identität. Er erteilte falsche Taufscheine und rief die Geistlichen in den Klöstern ausdruecklich dazu auf, jeden juedischen Fluechtling aufzunehmen, der um Schutz bäte. Ein breites Netz der Fluchthilfe entstand.

Das Verhalten der kirchlichen, politischen und intellektuellen Eliten schuf die Voraussetzung dafuer, dass sich auch die Bevölkerung von den Drohungen der deutschen Besetzer nicht einschuechtern liess. Viele Juden kamen bei ihren christlichen Landleuten, bei Freunden und Nachbarn, unter; andere gingen mit den Partisanen in die Berge wie der Oberrabbiner Elias Barzelai, der die Athener juedische Gemeinde während der Nazizeit und danach - er hatte ueberlebt - betreute. Im Gegensatz zu seinem Kollegen in Saloniki, Oberrabbiner Zwi Koretz, hatte er die Zusammenarbeit mit den Deutschen auf ein Minimum beschränkt. So kam er der Aufforderung, ihnen die Einwohnerlisten der Athener Juden auszuhändigen, nicht nach, sondern zerstörte die bestehenden Karteien, damit sie den Besatzern nicht in die Hände fielen. Schätzungen zufolge hielten sich damals etwa 8000 bis 10 000 Juden in Athen auf, grossteils Fluechtlinge aus Saloniki. Die meisten entgingen so der drohenden Deportation in die Vernichtungslager. Von den 800 Menschen hingegen, die im April 1944 nach Auschwitz transportiert wurden, ueberlebten nur wenige. 

Erzbischof Damaskinos (1891-1949) und Angelos Evert (1894-1970) - uebrigens der Sohn eines bayerischen Offiziers der Königlichen Gendarmerie Ottos I. -  wurden 1969 vom Staat Israel als "Gerechte unter den Völkern" geehrt, das ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden zu vergeben hat. Sie wurde bisher insgesamt 313 Griechen verliehen.

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