Sonntag, 14. August 2016

Der Erste Athenische Friedhof - Melina Merkouri, Andreas Papandreou, Alekos Panagoulis, Bettina von Savigny-Schinas, J.F. Julius Schmidt und andere

Auf dem Ersten Athenischen Friedhof, dem Proto Nekrotafio Athinon, haben seit König Ottos Zeiten die Reichen und Prominenten ihre Ruhe gefunden, lokale Berühmtheiten ebenso wie internationale Geistesgrößen des 19. Jahrhunderts, die sich um Griechenland verdient gemacht haben. Die dicht bei dicht stehenden Grabbauten (Oikoi) - prunkvolle Mausoleen, Standbilder mit Medaillons, reliefverzierte Stelen und Sockel mit den Büsten der Verstorbenen, mächtige Sarkophage - haben das sorgfältig gepflegte Gelände zu einem Skulpturenpark werden lassen, der in Stein gemeißelt die bewegte Historie des neugriechischen Staates erzählt. Aber auch kunst- und kulturgeschichtlich ist der Friedhof von Bedeutung. Als Spiegel seiner Zeit dokumentiert er den sozialen und kulturellen Zustand der Gesellschaft, vor allem den der selbst- und nationalbewußten Athener Oberschicht.

Ein Meisterwerk der klassizistischen Bildhauerkunst begegnet dem Besucher gleich rechts am breiten Mittelweg: Es ist die "Koimomeni" (die "Schlafende"), das Grabmal der Sophia Afentakis, die im Alter von erst achtzehn Jahren an Tuberkulose starb. Geschaffen hat es Giannoulis Chalepas (1851-1938) von der Insel Tinos, der als der bedeutendste griechische Bildhauer des 19. Jahrhunderts gilt und eine Brücke in die Moderne schlug. Sein Leben ist von großer Tragik überschattet: 1877, dem Jahr, in dem er die "Schlafende" schuf, bildete er erste Symptome einer psychischen Krankheit aus, vermutlich Schizophrenie. Vierzig Jahre lang lag seine künstlerische Tätigkeit brach. Glücklicherweise war ihm in höherem Alter eine späte zweite Karriere vergönnt, Ausstellungen und Preise würdigten sein Werk noch zu Lebzeiten. (2007 fand in Athen eine Retrospektive statt.)

Die meisten Denkmäler in dieser schneeweißen Totenstadt aber folgten dem Zeitgeschmack. Sie kopieren antike Säulen, Skulpturen und Reliefs, deren Originale man im Archäologischen Nationalmuseum studieren kann. Ein beliebtes, immer wiederkehrendes Motiv in der Grabplastik ist die "trauernde Athene", ferner Sphinxe und Grabstelen, wie man sie auf dem antiken Athener Friedhof, dem Kerameikos, und im dortigen Museum sieht.

Nicht zu übersehen ist das links auf der Anhöhe oberhalb des Mittelweges thronende Grabmonument von Heinrich und Sophia Schliemann. Diesen exponierten Platz mit Blick auf die Akropolis hatte Schliemann schon zu Lebzeiten als letzte Ruhestätte gewählt. Auch den Bau des Mausoleums in Form eines dorischen Tempels hatte er lange vor seinem Tod - er starb am 26. Dezember 1890 im Alter von 68 Jahren in Neapel an einer verschleppten Ohreninfektion - bis ins Detail geplant. Architekt war sein Freund Ernst Ziller, dem für den Bau 50 000 Drachmen zur Verfügung standen, eine unerhört hohe Summe, die ihm völlig freie Hand in der Außen- und Innengestaltung ließ. Die Schliemann-Büste vor dem Tempel gab seine griechische Frau Sophia Engastromenou in Auftrag, die ihn um vierzig Jahre überlebte. Der umlaufende Fries stellt das Ehepaar in Troja dar, umgeben von türkischen Arbeitern, die die kostbaren Funde in Sicherheit bringen, von denen Schliemann glaubte, sie seien der Schatz des Priamos. Der Archäologe rezitiert aus einem Band Homers, dem Schliemannschen "Hausgott", die ihm zugewandte Sophia hört aufmerksam zu. In dem Grabmal ist auch ihre Tochter Andromachi Melas bestattet. Sohn Agamemnon ist in Paris beerdigt.

Einige Reihen hinter dem Schliemann-Mausoleum liegt das Grabmal eines deutschen Philhellenen, des Barons Eduard von Reineck. Aus der Inschrift geht hervor, daß er 1796 in Eisenach geboren wurde, 1822 nach Griechenland kam und als Adjutant von Alexandros Mavrokordatos, mehrmaliger Ministerpräsident nach dem Unabhängkeitskrieg und nach der Thronbesteigung Ottos I. 1833 Finanzminister, den Freiheitskrieg mitmachte. Von Reineck, der mit der Schwester Mavrokordatos', Efrosini, verheiratet war, starb 1858 als königlich-griechischer General in Athen. Anfang der 1820er Jahre war ganz Europa von schwärmerischer Begeisterung für die griechische Freiheitsbewegung erfüllt. Junge Menschen, die antiken Ideale im Kopf, zogen wie von Reineck nach Hellas, um die Griechen in ihrem Kampf gegen die vierhundertjährige türkische Besatzung zu unterstützen. Viele deutsche, österreichische, englische und amerikanische Philhellenen fanden fern der Heimat im protestantischen Teil des Friedhofs ein letztes Zuhause. So mancher wollte in griechischer Erde begraben sein, im Schatten von Pinien und Orangenbäumchen. Viel Interessantes geht aus den Inschriften hervor. Nur wenige Daten auf dem Grabstein, etwa woher sie gekommen und wie alt sie geworden sind, erzählen bereits einen Teil ihres persönlichen Schicksals und wie es mit der Geschichte Athens oder Griechenlands verknüpft ist.

Unterhalb der Anhöhe fallen zwei Grabdenkmäler auf: das Monument eines der berühmtesten griechischen Freiheitskämpfer, Theodor Kolokotronis (1770-1843), des "Helden von Morea", und die prunkvolle ewige Heimstatt von Georgios Averoff. Dieser großzügige Wohltäter Athens finanzierte seinerzeit nicht nur den Wiederaufbau des antiken Stadions, dessen Reste 1870 Ernst Ziller freigelegt hatte und in dem 1896 die ersten nachantiken Olympischen Spiele stattfanden, sondern schenkte dem Staat auch sein erstes Kriegsschiff.

Dort, direkt am Hauptweg, liegt die Grabstätte der Schauspielerin und Kulturministerin Melina Merkouri (1925-1994), die die Griechen nur "Melina" nannten, und nur wenige Schritte weiter, neben dem Mausoleum von Emmanuel Benaki, dem Stifter des Athener Benaki-Museums, die des wortgewaltigen, charismatischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou (1919-1996), der für das Volk "Andreas" war. Keinem anderen Politiker ist diese Ehre jemals zuteil geworden. Noch immer legen seine Anhänger Rosen oder kleine Töpfchen mit Basilikum auf die schlichte Grabplatte.

Rosen oder Nelken liegen stets auch auf dem Grab des Dichters, Widerstandskämpfers und Parlamentsabgeordneten Alekos Panagoulis, über das ein ausladender Mimosenstrauch seine Zweige breitet. Panagoulis kam am 1. Mai 1976 im Alter von 36 Jahren bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ums Leben. Nach dem mißglückten Attentat auf den Obristenchef Georgios Papadopoulos am 13. August 1968 wurde er zum Tode verurteilt. Nach fünf Jahren Haft unter unvorstellbar grausamen Bedingungen in verschiedenen Gefängnissen mußte ihn die Junta aufgrund massiver internationaler Interventionen 1973 freilassen. Die Folter, der er jahrelang ausgesetzt war, die aber seinen Willen nicht brechen konnte, und die Beisetzung dieses besessenen Kämpfers für Freiheit und Demokratie, dem mehrere hunderttausend Menschen das letzte Geleit gaben, beschreibt seine Lebensgefährtin, die italienische Journalistin und Schriftstellerin Oriana Fallaci, in ihrem dokumentarischen Roman "Ein Mann" (Un uomo), der weltweit ein Bestseller wurde. Alekos Panagoulis ist bis heute unvergessen. 1997 ehrte ihn der griechische Staat mit einer Briefmarke, 2002 wurde eine Metro-Haltestelle nahe dem Platz, an dem er starb, nach ihm benannt (Agios Dimitrios/Alekos Panagoulis), mehrere Strassen tragen seinen Namen, und 2012 wurde an der Panepistimiou-Straße eine Statue von ihm aufgestellt. Mikis Theodorakis hat einige seiner Gedichte vertont. Oriana Fallaci starb 2006 in Florenz, sie ist auf dem dortigen Cimitero Evangelico degli Allori begraben. Auf einem Stein neben ihrem Grabdenkmal erinnert sie an ihn, der mit ihr in Florenz lebte: "In Memoria di Alekos Panagulis. Posi con Amore. Oriana."

Etwas weiter den Hauptweg entlang gehend, trifft man auf die schlichte Grabstelle mit dem Medaillon von Sir Richard Church (1784-1873), Generalissimus der griechischen Truppen im Befreiungskrieg, der als "Stratikos Georgios" allseits verehrt in Athen starb. Schräg dahinter liegt das Grab von Adamantios Korais (1748-1833), einem der geistigen Wortführer im Kampf der Griechen um ihre Unabhängigkeit.

Im schon erwähnten protestantischen Teil des Friedhofs fand ein anderer bedeutender Archäologe, Adolf Furtwängler (1853-19o7), seine letzte Heimstatt. Sein Grab ist relativ bescheiden, gekrönt nur von einer bronzenen Sphinx, einer Kopie vom Aphaiatempel auf der Insel Ägina, den Furtwängler zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgrub. Hier findet man auch die Grabstele des Epigraphikers Hans von Prott (1869-1903) aus Hannover, der sich bereits während seiner Studienzeit intensiv mit griechischen Inschriften beschäftigte. Seit 1889 arbeitete er im Deutschen Archäologischen Institut in Athen. Er nahm aktiv an den Grabungen Wilhelm Dörpfelds am Nordhang der Akropolis teil. Prott beging im Alter von nur 34 Jahren Selbstmord. Die Stele ist in der Art antiker attischer Grabstelen gestaltet, mit Palmettenbekrönung und dem ergreifenden Flachrelief eines sitzenden, in sich versunkenen Jünglings mit aufgestütztem Kopf, "ein ergreifendes Bild der Trauer" (Bruno Schröder, 1904). Es ist die Kopie eines klassischen Reliefs aus Geraki in Lakonien (heute im Museum von Sparta), das Hans von Prott selbst während einer Lakonien-Reise im Jahr seines Todes entdeckt hat.

Spaziert man ein wenig umher, entdeckt man noch weitere Gräber von Deutschen, die in Athen geblieben sind. Künstlerisch interessant ist das streng klassizistische Monument für die aus Berlin stammende Bettina von Savigny-Schinas (1805-1835), die vermutlich an Typhus starb. Der Entwurf stammt von dem griechischen Architekten Stamatis Kleanthis, der bei Karl Friedrich Schinkel in Berlin studiert hatte. Zusammen mit seinem Freund Eduard Schaubert, ebenfalls Schinkel-Schüler, arbeitete er den Stadtplan des modernen Athen aus. Bettinas Vater war der bedeutende Rechtsprofessor Carl von Savigny, ihr späterer Ehemann Konstantinos Schinas, der 1833 griechischer Justizminister wurde, war sein Schüler. (Bettinas Briefe aus Griechenland an ihre Eltern, in denen sie von ihrem Alltag und ihren Begegnungen mit interessanten Menschen berichtet, erschienen 2002 im Verlag Cay Lienau, Münster, hrsg. von Ruth Steffen: "Leben in Griechenland 1834-35".) Gleich hinter der Stele Bettina Schinas' steht das Grabmal der Julie von Nordenpflycht, ein Werk des dänischen Architekten Christian Hansen. Julie von Nordenpflycht war eine der Hofdamen von Königin Amalia. Neben Bettina Schinas fand J.F. Julius Schmidt (1825-84) seine letzte Ruhe, ein in Eutin geborener, damals international berühmter Astronom, der von 1858 bis zu seinem unerwarteten Tod Direktor der Athener Sternwarte war. Seine Beerdigung fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt, sie gestaltete sich zu einer "nationalen Trauerfeier", wie einem Zeitungsbericht zu entnehmen war. Ferner wurde mitgeteilt, daß er an einem plötzlichen Herzschlag gestorben sei. Den Abend zuvor hatte er "noch ganz wohl bei dem deutschen Gesandten zugebracht".

Auch der in Radebeul geborene Architekt Ernst Ziller (1837-1923), der das Stadtbild Athens Ende des 19. Jahrhunderts mit über fünfhundert Bauten maßgeblich geprägt hat, ist hier beerdigt. Er starb am 25. November 1923 verarmt in Athen.



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