Alle zwei Jahre wieder sorgt die Biennale von Venedig, die älteste der Welt, für Diskussionen. Vom 1. Juni bis zum 24. November präsentieren sich in den herrlichen Giardini und den riesigen Hallen des Arsenale, des einstigen Werftgeländes, 88 Länder. 50 weitere Ausstellungen bilden das Nebenprogramm und sind über die ganze Stadt verteilt. Selbst der Vatikan ist dabei - zum ersten Mal. Manche Kunstwerke sieht man schon von weitem wie die gewaltige Skulptur "Alison Lapper Pregnant" von Marc Quinn, die den Platz vor der Kirche San Giorgio Maggiore am Ufer des Canal Grande beherrscht. Andere findet man in Kirchen (zum Beispiel von dem chinesischen Super-Star und Dissidenten Ai WeiWei die Szenen seiner Haft in sechs Containern in der Sant' Antonin), in Palästen am Canal Grande (Taiwan) oder versteckt in unscheinbaren alten Häuschen an den Nebenarmen des Canal.
Verantwortet wird die Gesamtschau von dem erst 40 Jahre alten Massimiliano Gioni, Ausstellungsleiter am New Museum in New York und künstlerischer Direktor der Mailänder Nicola-Trussardi-Foundation. Er wählte auch das Motto für die Hauptausstellung "Il Palazzo Enciclopedico" (Der enzyklopädische Palast), das als lockerer Leitfaden gelten soll. Dahinter steht die Idee, das gesammelte Weltwissen vorzustellen und in eine Ordnung zu bringen, nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Forschung und Wissenschaft, Natur und Politik, was natürlich nicht wirklich gelingen kann. Aber es ist ein mutiger, interessanter Ansatz.
Der deutsche Pavillon ist international ausgefallen. Es stellen Künstler aus vier Nationen aus: Ai WeiWei, der eine meterhohe Skulptur aus 886 alten chinesischen Holzhockern geknüpft hat, der französische Filmregisseur Romuald Karmakar, der südafrikanische Fotograf Santu Mofokens und die indische Fotografin Dayanita Singh. Damit soll Deutschland "als aktiver Teil eines komplexen weltweiten Netzwerkes repräsentiert werden", wie die Kuratorin des deutschen Pavillons, Susanne Gaensheimer, Direktorin am mmk in Frankfurt, ihre Künstlerauswahl begründet. Auf mich wirkt die Auswahl der Künstler willkürlich. Was sie miteinander verbindet, erschliesst sich mir nicht. Und immer wieder Ai WeiWei! Es muss einem inzwischen fast so vorkommen, als sei er der einzige Vertreter chinesischer Gegenwartskunst. Dabei mangelt es in diesem Riesenreich, das in den letzten Jahren einen Kunstboom erlebte, gewiss nicht an jungen vielversprechenden und spannenden Talenten. Insgesamt ist der Auftritt nicht wirklich gelungen. Auch den französischen Pavillon - die Deutschen und die Franzosen haben übrigens ihre Pavillons getauscht - hat kein französischer Künstler gestaltet, sondern der in Albanien geborene und in Frankreich lebende Anri Sala. Seine Installation "Ravel Ravel Unravel" gilt als ungewöhnlich gelungen und wird allgemein gerühmt.
Viel Aufmerksamkeit erregt auch der griechische Pavillon, den der 1973 in Prag geborene und in Amsterdam und Athen lebende Videokünstler Stefanos Tsivopoulos kreiert hat. Als einer der wenigen - neben dem russischen und dem katalonischen - beleuchtet er die gegenwärtige Krise des Kapitals und die aktuelle soziopolitische Situation in Griechenland. In der dreiteiligen Videoinstallation mit einer Textmontage ("History Zero") zeigt er auf eine sehr berührende, fesselnde Weise, wie die Realität der Armen und Migranten in Athen aussieht. Der Film führt uns drei komplett verschiedene Individuen vor: einen jungen afrikanischen Immigranten, der in den Strassen und in verlassenen Industriearealen von Athen nach verwertbarem Altmetall sucht, einen nach Inspiration suchenden Künstler und eine demente alte Dame und Kunstsammlerin, die aus 500-Euro-Scheinen Blumenblüten faltet und zu Sträussen bindet. Nachdem sie die Blumen glaubt, welken zu sehen, wirft sie sie in den Müllcontainer vor dem Haus, wo der junge Schwarze sie auf der Suche nach Brauchbarem findet und überglücklich mit dem wertvollen Strauss von dannen eilt. Damit ist Tsivopoulos ein herausragendes Werk gelungen, ein Porträt bitterster Not und zugleich verschwenderischen Reichtums. Die begleitende Textdokumentation in der Rotunde, die 32 Themen behandelt, ist als umlaufendes Panorama gestaltet. Sie fragt nach dem Wert des Geldes und erforscht, welche Rolle das Geld in menschlichen Beziehungen und Gesellschaften spielt. Sie stellt alternative Währungen und Wirtschaftsmodelle vor, zum Beispiel den Tauschhandel, dem heute nicht wenige Menschen in Griechenland der Not gehorchend nachgehen.
Kuratiert hat die Ausstellung Syrago Tsiara, Direktorin des Center of Contemporary Art in Saloniki. Gegenüber ArtInfo UK äusserte sie: "History Zero bezieht sich zuerst auf die vielschichtige Krise in Griechenland, die natürlich ein Symptom der globalen politischen Krise ist. Doch die Arbeit wendet den Diskurs über die Krise zu einer höheren philosophischen und politischen Beschäftigung, die über die Notwendigkeit des Hier und Heute hinausgeht."
Der griechische Pavillon mit seiner charakteristischen neo-byzantinischen Fassade stammt aus dem Jahr 1934.
Die 55. Biennale für zeitgenössische Kunst endet am 24. November 2013. Sie ist täglich, ausser Montag, von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Ein Zwei-Tage-Pass kostet 30 Euro.
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