Die Dependence der Deste-Foundation
Gebirgig-schroff, karg und unfruchtbar ragt Hydra aus dem Saronischen Golf. Zentrum der Insel ist ihr einziger Ort, das gleichnamige Hydra, dessen kubisch verschachtelte Häuser sich wie ein riesiges Amphitheater zwischen den steilen Felswänden über der Hafeneinfahrt bergaufwärts ziehen. Im Sommer herrscht hier hektische Betriebsamkeit. Dann ist das quadratische Hafenbecken chronisch überfüllt. Dicht an dicht ankern Luxusjachten, gelegentlich auch die von Dakis Ioannou, zu erkennen an ihren Aussenwänden, die sein Freund Jeffs Koons gestaltet hat. Fischerboote fahren ein und aus sowie die wendigen Wassertaxis, die den Besucher zu den entlegenen Stränden oder Restaurants an der unbewohnten Südküste bringen und oftmals für einen Verkehrsstau sorgen. Da haben es die Kapitäne der aus Piräus kommenden Fähren und Katamarane schwer, heikle Anlegemanöver sind an der Tagesordnung, besonders dann, wenn auch noch Kreuzfahrtschiffe die Einfahrt blockieren.
Im Ort selbst ist das Hauptverkehrs- und Transportmittel der Esel, der einen schon unten am Hafen erwartet. Alles wird auf den Rücken der Lasttiere geladen, gleich, ob Zementsack oder Millionen-Kunstwerk der Deste-Stiftung, denn Hydra ist - ausgenommen das Müllabfuhr- und Feuerwehrauto - komplett autofrei. Sogar Motorroller und Fahräder sind verboten.
Die meisten Gebäude im Ort stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das strenge Grau ihrer Natursteinfassaden lässt nichts von der prachtvollen Innenausstattung ahnen, für die einst Künstler aus ganz Europa herangezogen wurden. Hier lebten die sagenhaft reichen Reeder und Kapitäne, die sich im griechischen Freiheitskampf höchsten Ruhm erwarben, der sie zwar wirtschaftlich ruinierte, aber in der griechischen Bevölkerung bis heute unvergessen ist: Sie übernahmen die gesamten Kosten des Seekriegs gegen die Türken und rüsteten ihre Schoner zu Kriegsschiffen um. Unter den Admirälen taten sich die Brüder Tombasis, Tsamados, Voulgaris, Kountouriotis und der Oberkommandierende Andreas Miaoulis besonders hervor. Ihre Nachfahren spielten später in der Politik Griechenlands eine grosse Rolle.
Die lokale Bautradition wird durch strenge Auflagen geschützt. Das Stadtbild von Hydra ist so einheitlich geblieben, wie es war; der Ort trotzt erfolgreich allen Globalisierungstendenzen. Dies ist das Verdienst der Denkmalschützer, die mit Argusaugen über jede architektonische Veränderung wachen. Das Erbe muss erhalten werden. Stein und Holz sind weiterhin die wichtigsten Baumaterialien. Es werden keine Plastikrolläden und -fenster, Türen aus Metall, Neonreklamen und Satellitenschüsseln oder Asphalt genehmigt, Strassen und Wege werden gepflastert.
Die Antike ist an der Seefahrerinsel spurlos vorübergegangen, Tempel, Säulen, Mosaiken gibt es auf Hydra nicht.
Anfang der sechziger Jahre entdeckten Künstler, Schriftsteller und Musiker das zeitlos schöne Eiland. Reiche Athener zogen nach und kauften sich grössere Anwesen. Hydra hat die höchsten Grundstückspreise Griechenlands, dabei gibt es nicht einmal Häuser mit Strandzugang. Der Sänger Leonard Cohen lebte hier mehrere Jahre und schrieb seine weltberühmten Lieder "Suzanne", "Bird on a Wire" und nach seiner Trennung von Marianne, der Frau des norwegischen Schriftstellers Axel Jensen, "So long Marianne", das ebenfalls ein Welthit wurde. Henry Miller und Lawrence Durrell kamen, der in Rom lebende Arte-Povera-Künstler Jannis Kounellis hat hier ein Ferienhaus, Brice Marden kommt regelmässig im Sommer, und der Fotograf Jürgen Teller verbringt hier samt Familie oft die Ferien. Jeff Koons machte während seiner Flitterwochen mit Cicciolina auf Hydra Station.
Auch die junge Künstlergeneration fühlt sich von Hydra angezogen. Der Maler Carsten Fock zieht sich hier häufig zum Arbeiten zurück und stellt seine Werke aus, ebenso Marilyn Minter, Andres Serrano, Josh Smith und viele andere. 2009 eröffnete der Grossammler Dakis Ioannou in dem ehemaligen Schlachthaus auf den Klippen über dem Meer eine Dependance seiner Athener Deste Foundation, das Deste Foundation Project Space. Seitdem trifft sich nun auch die internationale Kunstwelt regelmässig auf Hydra, Sammler, Künstler und Kuratoren. Jeden Sommer, von Anfang Juni bis Ende September, finden Ausstellungen weltbekannter Künstler statt. Ausserhalb der Ausstellungen wird alljährlich ein Künstler beauftragt, ein Projekt zu präsentieren, das auf die Insel selbst Bezug nimmt. 2013 wurde der in New York lebende Schweizer Urs Fischer ausersehen, das Programm zu gestalten. Fischer, 1973 geboren, stellte schon bei Gagosian, im Palazzo Grassi und auf der Biennale Vernedig 2011 aus. Für seine hintergründig-humorvollen Skulpturen werden Millionenbeträge in Auktionen geboten. Eingeweiht wurde der neue Kunstplatz 2009 mit "Blood of Two", einer spektakulären Performance und Ausstellung von Elizabeth Peyton und Matthew Barney.
In der Galerie Hydra Workshop am Hafen zeigt die Reedergattin Pauline Karpidas, gebürtige Britin, in den Sommermonaten zeitgenössische Kunst von musealem Rang aus ihrer Privatsammlung. In den labyrinthartigen Gassen werben kleinere Galerien mit einem Top-Angebot um die Aufmerksamkeit des Publikums. In dem ehemaligen Herrenhaus der Familie Tombasi hat die Athener Kunstakademie eine Dependance eingerichtet. Und in einem Haus hinter dem Hafen wurde für junge, noch unbekannte Künstler ein Arbeits- und Ausstellungsraum geschaffen, das Hydra School Project. Von der gegenwärtigen Krise ist auf Hydra nichts zu spüren, es sei denn, das Fährpersonal streikt wieder einmal. Auch Massentourismus findet nicht statt, weil es nur kleinere Hotels und keine grossen Ferienanlagen gibt.
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