Endlich, im Jahr 2000, bekam auch Athen ein Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst (EMST), aber leider kein festes Haus. Seitdem wandert es von einem Provisorium ins nächste, zur Zeit ist es im Konservatorium in der Rigilisstrasse in Kolonaki untergebracht. Sein zukünftiges Heim, die alte Fix-Brauerei am Leoforos Syngrou, soll nach langjährigem Umbau im Sommer 2014 soweit fertiggestellt sein, dass es die alle neuen Kunstrichtungen abdeckenden Sammlungen aufnehmen kann; Schwerpunkt sind die Werke führender griechischer Künstler. In einem Land, dessen Kulturpolitik kein Geld hat und für Zeitgenösssisches schon gar nicht, sind Privatinitiativen umso wichtiger, trotz aller Konflikte und ungelösten Fragen, die daraus resultieren. Private Aktivitäten nützen Athen und machen es attraktiver. Sie haben das Kunstleben überhaupt erst in Bewegung gebracht und eine Brücke zu den internationalen Entwicklungen geschaffen.
Naturgemäss verlässt sich die griechische Metropole hauptsächlich auf ihr einzigartiges antikes Erbe - allenfalls noch auf Byzanz - , wer fährt schon eigens nach Athen, um eine Ausstellung von Martin Kippenberger oder Rosemarie Trockel zu besuchen. Aber jeder wird auf die Akropolis steigen, das grossartige neue Akropolis-und das unvergleichliche Archäologische Nationalmuseum besichtigen sowie die vielen ähnlich bedeutenden Sammlungen und antiken Stätten, die von der vergangenen Grösse zeugen, auf die der Grieche so stolz ist und aus der er noch heute sein Selbstgefühl schöpft. Die Fussgängerzonen - der "archäologische Park" - haben die Ausgrabungsstätten einander noch näher gebracht und Athens Verbindung mit seiner antiken Vergangenheit weiter gefestigt. Sie sind Teil des Alltags. Ob man nun mit der Metro mitten durch die antike Agora fährt, in den Tavernen am Römischen Marktplatz zu Abend isst oder in den Strassen unvermittelt über mehr als 2000 Jahre alte Säulen, Thermen und Häuser spaziert, die von Glasböden geschützt sind - die Antike begleitet einen auf Schritt und Tritt. Wo gibt es Vergleichbares auf der Welt?
Durch den stets präsenten Einfluss einer jahrtausendealten Kultur haben die Griechen erst spät begonnen, sich für Gegenwartskunst zu interessieren. Und da die öffentlichen Kassen leer sind - selbst die antiken Hinterlassenschaften zu finanzieren, stellt schon einen erheblichen Kraftakt für das gebeutelte Land dar -, ist Athen mehr als andere europäische Städte, auf denen keine solche Bürde lastet, auf private Stifter angewiesen. Den Anfang machte in den achtziger Jahren der in Athen lebende Industrielle Dakis Ioannou mit seiner Deste Foundation zur Förderung der griechischen Kunst und Kultur, eine Einrichtung, die aus Athen nicht mehr wegzudenken ist. Ioannou besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst weltweit, darunter die grösste Kollektion des Pop-Artisten Jeff Koons. Alle nennenswerten Stars am Kunsthimmel sind mit Spitzenwerken vertreten, um die ihn ein jedes Museum beneidet. Im Focus stehen die amerikanische und die britische Kunst der letzten drei Jahrzehnte, zum Beispiel Vanessa Beecroft, Jenny Holzer, Mike Kelley, Kara Walker, Christopher Wool, Paul McCarthy, Chris Ofili und Anish Kapoor. Unter den deutschen Künstlern findet man u.a. Martin Kippenberger, Andreas Gursky, Rosemarie Trockel. Weniger vertreten sind die Griechen, hier scheinen ihm die jungen Video-Künstler Lina Theodorou und Nikos Navridis sowie der 1964 in Athen geborene Miltos Manetas zu gefallen. Manetas ist Maler, Video- und Netzkünstler, er lebt in London.
Die Deste-Stiftung gründete Ioannou schon 1983, mit seiner Sammlertätigkeit begann der er erst einige Jahre später (sein erster Kauf war übrigens ein Koons). Seit 2006 hat sie ihren Sitz in dem Athener Industrieviertel Nea Ionia. Dort liess er eine stillgelegte Strumpffabrik zu einem grosszügigen modernen Ausstellungsgelände umbauen, mit ungewöhnlich angeordneten Räumen über mehrere Etagen, die seine Werke aus allen Sparten der Kunst optimal zur Geltung bringen. Die Ausstellungen hier stellen jedes Mal einen Höhepunkt im Athener Kulturleben dar.
2009 liess Ioannou mit der Deste-Dependance auf der Insel Hydra einen weiteren Glanzpunkt folgen. Eingeweiht wurde sie mit "Blood of Two", einer Performance und Ausstellung von Elizabeth Peyton und Matthew Barney. Zur Eröffnungsparty reiste der internationale Kunst-Jetset an, die grosse Kunstfamilie, die Ioannou um sich geschart hat: Künstler, Kuratoren, Museumsdirektoren, Händler und Sammler - nur allzu bereit, dem Ruf Ioannous zu folgen und das sommerliche Spektakel zu geniessen. Man kennt sich, man trifft sich, man feiert sich. (Die Ausstellungen dauern jeweils von Juni bis Ende September.)
Seine beiden Deste-Häuser und die 2009 eingegangene Kooperation mit dem Kykladenmuseum Athen scheinen Ioannou noch nicht zu genügen. Der unermüdliche "King of Art", wie er auch genannt wird - der Milliardär ist Treuhänder der Guggenheim Foundation, des New Museum of Contemporary Art in New York und des Museum of Contemporary Art Los Angeles - will noch mehr Schwung in Athens Kunstszene bringen. So realisiert die Deste-Stiftung seit 2014 Projekte zusammen mit dem Benaki-Museum, auch um dem selbstgesetzten Anspruch näher zu kommen, eine breite Öffentlichkeit für die neuesten Entwicklungen in der Kunst zu interessieren. Die erste Schau, mit Werken des Georgiers Andro Wekua, findet im Februar und März 2014 statt, eine Gruppenausstellung ist für den Sommer geplant.
Nach dem Vorbild des Turner-Preises richtete Ioannou 1999 den mit 10 000 Euro dotierten Deste-Preis ein, der alle zwei Jahre einen griechischen Künstler auszeichnet. Die Werke der für den Preis - von einer jeweils international hochkarätig besetzten Jury - Nominierten, die "Shortlist", werden über einen Zeitraum von fünf Monaten jeweils im Kykladenmuseum ausgestellt. Ziel ist es, die junge aufstrebende Generation zu fördern und bekannt zu machen, ihr eine Plattform zu schaffen, und gleichzeitig die Athener an die Zeitgenossen heranzuführen. Beides scheint zu gelingen. Die Deste-Preis-Teilnehmer haben Erfolg. So gestaltete beispielsweise Stefanos Tsivopoulos den griechischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2013 und erhielt dafür viel Lob. Deanna Maganias schuf das Athener Holocaust-Denkmal, das ebenfalls viel Anerkennung findet. Und auch bei den Athenern, die sich mit der Moderne so schwer tun, stösst die "Deste Prize Exhibition" mehr und mehr auf Interesse.
Ein weiterer weltweit bedeutender Privatsammler und Förderer zeitgenössischer Kunst ist Dimitris Daskalopoulos, ein in Athen ansässiger milliardenschwerer Unternehmer (ihm gehört die Investment-Gesellschaft DAMMA Holdings SA), Präsident des Hellenischen Unternehmerverbandes, Guggenheim-Treuhänder und Aufsichtsrat der Tate London. Daskalopoulos begann vor rund 25 Jahren Kunst zu sammeln. Seine Vorliebe gilt der Skulptur und grossen raumgreifenden Installationen sowie Film und Video; sie nehmen einen besonderen Stellenwert in seiner Kollektion ein. Er besitzt wichtige Arbeiten u.a. von Louise Bourgeois, Robert Gober, Damien Hirst, Paul McCarthy, Matthew Barney, Marina Abramowitsch, Kiki Smith, Martin Kippenberger. Dass er grossteils dieselben Künstler wie Ioannou sammelt, kann nicht wirklich überraschen. Beide greifen nach der angesagten Elite, und die ist klein. Daskalopoulos verleiht - ebenso wie Ioannou - seit Jahren Werke aus seiner Kollektion an Museen in Europa und den USA, stellt aber auch an verschiedenen Standorten in Athen aus. Derzeit ist er auf der Suche nach einem permanenten Heim für seine Sammlung.
Im Sommer 2013 gründete er in Athen die Neon Foundation, eine Organisation "ohne Mauern". Ähnlich wie Deste peilt sie eine grössere örtliche Reichweite an. Sie will dazu beitragen, die Erziehung in den Künsten in Griechenland zu fördern und das Kunstverständnis zu erweitern, ferner ebenfalls für eine weite Verbreitung in der Bevölkerung, vor allem der jüngeren Generation, zu sorgen und sie mit neuen Strömungen bekannt zu machen. Daskalopoulos will das allmählich zwar wachsende, aber immer noch vergleichsweise geringe öffentliche Bewusstsein für die Gegenwartskunst wecken. Sie soll nicht länger nur einer Elite zugänglich sein. Neon arbeitet sehr aktiv mit kulturellen Organisationen zusammen und unterstützt private wie öffentliche Einrichtungen. So realisierte die Stiftung im Sommer 2013 die "Heart of Darkness"-Exposition in der Piräos 260 und im Herbst 2013 eine grosse Ausstellung zum 60. Geburtstag von Martin Kippenberger im Athener Kykladenmuseum. Es war die erste Einzelschau Kippenbergers in einem griechischen Museum überhaupt. Sie war so erfolgreich, dass sie verlängert werden musste. Ein anderes grosses Projekt und besonderes Anliegen ist ihm die "Kunst im öffentlichen Raum". So organisierte er 2014 eine Ausstellung von Bronzefiguren von Juan Munoz im Garten der Gennadios-Bibliothek. Seine Idee, den Athener Nationalgarten als Ausstellungsgelände für Skulpturen zeitgenössischer Künstler zu nutzen, wird von der Athener Verwaltung bislang blockiert.
50 000 Euro spendierte Daskalopoulos 2013 dem darbenden Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst, damit es auf der Londoner Frieze Graphiken erwerben konnte, um einige seiner Sammlungen zu ergänzen. Diese bescheidene Summe lässt Rückschlüsse auf das karge Budget des Museums für Ankäufe zu. Ausserdem unterstuetzt er das notleidende Museum durch einen Fonds. Für sein Engagement wurde ihm 2014 der Leo Award verliehen, ein nach dem berühmten New Yorker Kunsthändler Leo Castelli benannter Kunstpreis, der alljährlich vom Independant Curators International für besondere Verdienste in der Gegenwartskunst vergeben wird.
Ein weiterer Grossammler ist George Economou. Er gab sein Debüt 2012 in der Kommunalen Galerie Athen in dem aufstrebenden Galerienviertel Metaxourgio. Die Ausstellung sorgte für Besucherrekorde. Ein ständiges Zuhause für seine Werke ist geplant. Entwürfe für einen Museumsbau liegen vor, sind aber derzeit zurückgestellt.
Insgesamt umfasst die Sammlung des Reeders, der erst vor etwa zehn Jahren zur Kunst fand, beeindruckende 2000 Werke vor allem gegenständlicher Malerei. Economou verfolgt einen sehr breiten Ansatz, der von prächtigen Altmeistergemälden bis zu den Zeitgenossen reicht. Besonders die deutsche und österreichische Kunst des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es ihm angetan. Darunter sind viele spannende und reizvolle Werke, z.B. die lebensgrossen "Mondfrauen" aus dem Jahr 1930 von Otto Rudolf Schatz und das Porträt des Picasso-Händlers Daniel-Henry Kahnweiler aus dem Jahr 1925 von Ludwig Bock. Zunehmend findet sich auch Zeitgenössisches in seiner Kollektion, darunter einiges von Kippenberger, Daniel Spoerri und Bridget Riley sowie eine ansehnliche Auswahl an Jannis-Kounellis-Aquarellen.
Economou zeigt sich deutschen Museen gegenüber sehr spendabel. So überliess er kürzlich der Staatlichen Graphischen Sammlung in München als Leihgabe für zunächst zehn Jahre 500 Dix-Grafiken, die er von dem Berliner Händler Florian Karsch erworben hat. 2011 richtete er der Hamburger Kunsthalle das nach ihm benannte Cafe ein. Da Economou weniger bekannte Künstler favorisiert und in Marktnischen investiert, halten sich die Kosten in Grenzen. Verglichen mit Ioannou, Daskalopoulos und dem in der Öffentlichkeit weniger in Erscheinung tretenden Schiffsmagnaten Dinos Martinos, die nur die zeitgenössischen Stars nachfragen, spielt er in der zweiten Liga.
So wichtig die privaten Stiftungen für Athen auch sind, so sind ihre Aktivitäten doch nicht ganz unproblematisch und werfen einige Fragen auf. Nicht nur in Griechenland haben die öffentlichen Museen kaum noch die Mittel, um auf dem internationalen Kunstmarkt zu agieren. Die Kulturbudgets schrumpfen, die Preise für Kunst erreichen groteske Höhen. Das Wachstum wird von den neuen Superreichen, die reicher sind als je zuvor, noch angeheizt. Sie kaufen Werke der international gefragtesten Zeitgenossen zu jedem Preis, eine Grenze nach oben scheint es nicht zu geben. Das Geld hat den Kunstmarkt von Grund auf verändert. Kunst ist zum Statussymbol und gewinnversprechenden Investment geworden. Da Museen und Galerien immer weniger in der Lage sind, grössere Objekte zu erwerben oder auch nur attraktive Ausstellungen auf die Beine zu stellen, sind sie auf die Unterstützung der "Mäzene" angewiesen und damit auf deren Entgegenkommen als Leihgeber und Finanzier. Ob, wann und welche Werke gezeigt werden, kann von einer einzelnen Privatperson abhängen. Sie bestimmt und kontrolliert, was die Öffentlichkeit zu sehen bekommt und nimmt damit Einfluss auf den Kunstbetrieb. Gleichzeitig erhöht sie den Wert der eigenen Sammlung, besonders dann, wenn sie in renommierten Museen ausgestellt wird wie 2010 die von Dakis Ioannou im New Museum of Contemporary Art in New York, an dem er Treuhänder ist und Jeff Koons hier als Kurator sein Debut für seinen Freund Dakis gab. Ähnliches trifft für die Ausstellung "Der leuchtende Intervall" zu, die erste grosse Präsentation von Werken aus der Dimitris-Daskalopoulos-Collection, die 2011 im Guggenheim Bilbao zu sehen war, an dem Daskalopoulos Treuhänder ist. Alle diese Vorgehensweisen sorgen dafür, dass der Kunstmarkt stetig wächst und immer globaler wird, was auch heisst, dass die Preise weiterhin steigen dürften. Die Athener Kulturlandschaft, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt, ist jedenfalls für kunstinteressierte Touristen noch interessanter geworden. Es lohnt sich, den Ausstellungskalender zu studieren.
Schöne Einführung in die Athener Mäzenatenszene. Und was hat sich seit Februar 2014 getan? Wie beeinflusst die Documenta 2017 die Kunstszene?
AntwortenLöschenHeiner Legewie