"Wer keine Quittung bekommen hat, muss auch nicht bezahlen". Solche Aufkleber - auf Griechisch und Englisch - sieht man neuerdings in Läden, Hotels und gastronomischen Betrieben. Diese im Dezember 2012 von der Regierung beschlossene und am 12. Januar 2013 in Kraft getretene Verordnung fordert eine Selbstverständlichkeit ein, nämlich dem Kunden unaufgefordert eine Rechnung auszustellen.
Allerdings scheint die Verordnung noch nicht überall angekommen zu sein. Die Steuermoral in Hellas, dem von der Schuldenkrise am schwersten betroffenen Land, ist weiterhin lax und zwar auf breiter Basis. Auf meiner sechswoechigen Reise im Herbst 2013 nach Athen, Kreta und auf mehrere Inseln habe ich jedenfalls häufig erst auf Nachfrage einen Beleg bekommen. Speziell in den kleineren Orten auf Kreta scheinen die Tavernenbesitzer von der neuen Verordnung nichts zu wissen oder sie schlichtweg zu ignorieren. So gab sich in dem Anfang Oktober wegen eines Festivals noch sehr gut besuchten Badeort Matala der Kellner hoechst erstaunt, als wir nach einem opulenten Abendessen zu viert sein handgeschriebenes Zettelchen nicht akzeptieren wollten, sondern eine Rechnung verlangten. Mehrfaches Mahnen half nicht, wir bekamen erneut einen Zettel und dann noch einen, statt der vorherigen Hieroglyphen diesmal in Schoenschrift. Die Hartnäckigkeit des Kellners, sich in Nichtverstehen zu üben, stachelte unsere Hartnäckigkeit an und wir verlangten nach der Chefin, die zwar anfangs ebenfalls nicht verstehen wollte, dann aber doch - nach kurzem Disput - die Rechnung brachte. Auch an den anderen vollbesetzten Tischen wurden nur handgeschriebene Zettelchen verteilt, was die Gäste leider nicht monierten. Wir hatten uns als einzige unbeliebt gemacht. Einen ordnungsgemässen Beleg auszustellen, schien uns hier eine nur selten geübte Praxis zu sein.
Aehnliches, wenn auch nicht so extrem, erlebten wir auf einigen Kykladeninseln. Die Gastronomie ist noch immer die Sparte, der es leicht gemacht wird, Steuern zu hinterziehen. Ich hatte nicht den Eindruck, als würde sich jemand wegen moeglicher Kontrollen und Strafen Sorgen machen. Das muss auch niemand, weil dem Finanzministerium die Mittel fehlen, mehr Steuerfahnder einzustellen und die Kontrollen bereits um 22 Uhr enden.
Auf mangelndes Bewusstsein lässt auch die Klage einer - deutschen - Galeristin schliessen, die wortreich ihren rückläufigen Gewinn beklagte. "Die Griechen fallen als Käufer fast ganz aus. Sie haben kein Geld mehr für Kunst. Und die Touristen zahlen alle mit Kreditkarte", das heisst, es fliesst kein Bargeld mehr in die Kasse, das sich an der Steuer vorbeischleusen liesse. Kalliopi, die freundliche und hilfsbereite Vermieterin meines Studios auf Santorin, erregte sich über die in grossem Rahmen praktizierte Steuerhinterziehung und das Versagen des Staates. "Die Infrastruktur ist schlecht. Die Schulen sind so miserabel, dass unsere Kinder teuren Privatunterricht brauchen, um die Prüfungen zu bestehen. Die Gesundheitsversorgung wird immer schlechter und teurer, und die Reichen kommen wieder einmal ungeschoren davon." Damit hat sie recht, und ich stimmte ihr vorbehaltlos zu, war aber gleichzeitig etwas verwundert darüber, dass sie nicht auf die Idee kam, mir eine Rechnung über meinen achttägigen Aufenthalt auszustellen. Nikos auf Naxos begründete sein Verhalten an der Steuer vorbei mit entwaffnender Offenheit damit, er habe für seine drei (!) Pensionen noch Kredite abzuzahlen. "Alle kleinen Hotelbesitzer machen das so. Das sind meine Konkurrenten. Wem wuerde es nuetzen, wenn wir unsere Hotels verloeren und die Angestellten den Job?" Und: "Warum soll ich ehrlich sein, wenn es die Reichen nicht sind." Das hoert man oft.
Gute Erfahrungen machten wir auf Hydra und Poros, den Inseln nahe bei Athen, und auch in Athen selbst. Die Besitzerin des kleinen Traditionshotels "Sophia" bestand darauf, uns die Rechnung auszustellen, obwohl wir darauf verzichten wollten, weil wir fast unser Schiff nach Poros versäumt hätten. Sie telefonierte mit dem Schnellboot, um unser etwas verspätetes Erscheinen anzukündigen. In unserem Hotel "Manessi" auf Poros hing die Plakette neben der Kasse. Die Eigentümerin sagte uns, dass die Betriebe, die schon immer steuerehrlich waren, auch jetzt kein Problem mit der Plakette hätten. In Athen wurde uns lediglich in einem Restaurant unterhalb der Akropolis die Rechnung vorenthalten: "Die Kasse ist leider gerade kaputt", eine häufig gebrauchte Ausrede.
Steuerhinterziehung ist noch immer eines der gravierendsten Probleme Griechenlands. Dem Staat entgehen auf diese Weise Milliardenbeträge, wenigstens zehn Milliarden Euro sollen es jedes Jahr sein, schätzen die Finanzbehoerden. "Damit betrügen sie den Staat dreifach" sagte das Finanzministerium der Nachrichtenagentur dpa. "Erstens verheimlichen sie den Umsatz. Dann kassieren sie die Mehrwertsteuer. Drittens führen sie diese nicht an das Finanzamt ab, sondern stecken sie in die eigene Tasche." Das Inkrafttreten neuer Vorschriften wird 2014 erwartet, nachdem ein Rückgang insbesondere bei der Mehrwertsteuer festzustellen war.
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