Sonntag, 22. Juni 2014

Der deutsche Philhellene Wilhelm Müller. Die Odos Myllerou in Athen

Odos Myllerou - eine Müller-Strasse in Athen? Wenigstens gibt es nur eine Odos Myllerou und das ist schon einmal von Vorteil in der Hauptstadt, wo - aus welchen Gründen auch immer - oft ein Dutzend Strassen denselben Namen tragen, von Berühmtheiten wie Sokrates, Sophokles, Aristoteles oder Perikles, was das Auffinden der Adressen oftmals zu einem Problem macht. So berühmt ist Müller nun nicht, und so ist es ein leichtes, die Myllerou zu finden; noch dazu liegt sie im zentrumsnahen Stadtviertel Metaxourgio, von dem man sagt, dass es ein "aufstrebendes" ist. Das sagt man schon lange, aber zu sehen ist nichts, was diese Hoffnung rechtfertigt, ausser, dass wenige Galerien, aber viele Künstler hierher gezogen sind, vermutlich wegen der billigen Mieten in den heruntergekommenen Häusern. Sollte es eine Gentrifizierung gegeben haben, wie immer man dazu stehen mag, so ist ihr zartes Pflänzchen von der Krise im Ansatz erstickt worden.

Die Odos Myllerou ist eine Strasse wie jede andere im Umkreis, unauffällig, etwas schäbig, ohne besondere Eigenschaften. Bemerkenswert ist jedoch die Person, deren Namen sie trägt: Wilhelm Müller, 1794 in Dessau geboren und 1827, eine Woche vor seinem 33. Geburtstag, dort gestorben, ein deutscher Dichter der Romantik, Publizist, Uebersetzer (er übersetzte Christopher Marlowes "Faustus" aus dem Englischen), Redakteur, Herausgeber (bei Brockhaus), Herzoglich-Dessauischer Bibliothekar, Hofrat.

"Griechen-Mueller", wie ihn seine Zeitgenossen schon zu Lebzeiten nannten, engagierte sich leidenschaftlich in der deutschen philhellenischen Bewegung, die damals über ganz Westeuropa schwappte. Die Griechenlandbegeisterung erfasste nahezu jeden, vor allem aber Dichter und Intellektuelle, die sich dazu berufen fühlten, die jahrhundertelang unterdrückten Hellenen in ihrem Freiheitskampf gegen die Türken zu begleiten und zu unterstützen. Die herausragendste Persoenlichkeit unter ihnen war Müller, der selbst (wie auch Winckelmann) nie in Griechenland war. Ebenso wie Goethe, kam er nur bis Italien.

Von 1821, dem Beginn der nationalen Erhebung, bis kurz vor seinem frühen Tod schrieb er mehr als fünfzig "Griechenlieder", darunter "Griechenlands Hoffnung", "Hydra", "Der kleine Hydriot" und "Byron" - ein langes Gedicht über den englischen Lyriker und Philhellenen Lord Byron, den Müller verehrte und der 1824 in Mesolongi, einem Zentrum im Widerstand gegen die Türken, am Sumpffieber starb. (Lord Byron wird in Athen nicht nur durch eine Strasse, die Odos Vironas in der Plaka, sondern durch ein ganzes Stadtviertel - Vironas - geehrt.) In seinen späteren "Griechenliedern" klingt immer auch Kritik an der repressiven Politik der europäischen Grossmächte und der Kirche an. Manche seiner politisch- und gesellschaftskritischen Gedichte und Essays fielen deshalb der Zensur anheim und wurden erst lange nach seinem Tod veroeffentlicht. Verdienste erwarb er sich auch als Uebersetzer und Herausgeber neugriechischer Volkslieder.

Dem breiten Publikum ist Müller hauptsächlich durch das Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" und durch seine von Franz Schubert vertonten Liederzyklen "Die schoene Müllerin" und "Die Winterreise" bekannt. Das aus der Winterreise berühmteste Lied ist wohl "Der Lindenbaum" (Am Brunnen vor dem Tore ...). Beide waren Zeitgenossen, sind sich aber nie persoenlich begegnet. Schubert starb 1828, ein Jahr nach Müller. Er wurde nur 31 Jahre alt.

Die Griechen haben dem grossen Hellenenfreund seinen Einsatz und seine lebenslange Solidarität nie vergessen. Für das Denkmal im Dessauer Park stifteten sie den Marmor, und noch im 20. Jahrhundert war Müller so populär, dass Abordnungen aus Athen zu seinen Geburtstagen Kränze auf sein Grab legten.

Das alles ist lange her. Die Griechenlandbegeisterung hat in den Zeiten der Schuldenkrise gegenteiligen Empfindungen Platz gemacht. Die Deutschen, seit jeher verzückt und berauscht von südlicher Landschaft, Kultur und Lebenskunst, kehren erst allmählich zaghaft nach Hellas zurück. Sie fühlen sich nicht mehr willkommen, sogar von Deutschenfeindlichkeit ist die Rede. Das ist jedoch ein voellig falscher Eindruck. Auch wenn die Griechen (zu Recht) von der deutschen Politik und ebenso gehaltlosen wie verletzenden und würdelosen Schuldzuweisungen in den Medien - als "faul, korrupt", "Betrüger", "sollen sie doch ihre Inseln oder die Akropolis verkaufen" - enttäuscht sind und sich als europäischer Sündenbock fühlen: Sie leben vom Tourismus und sind nicht so toericht, sich den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Sie unterscheiden genau zwischen Politikern und Normalbürgern. Die Deutschen werden - im Gegenteil - sehnsüchtig erwartet. Dennoch dürfte es einige Zeit dauern, bis die Wunden tatsächlich verheilt sind.

Heute bemüht sich die Internationale Wilhelm-Müller-Gesellschaft um das Werk des Autors. Das Land Sachsen-Anhalt vergibt alle zwei Jahre den Wilhelm-Müller-Preis an junge Literaten.

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