Freitag, 20. Juni 2014

Die Pistazieninsel im Saronischen Golf: Aegina

Aegina ist die interessanteste Saronische Insel. Sie bietet nicht nur Sandstrand, Sonne, Meer, das haben alle Inseln, das erwartet man. Es ist die besondere Kombination aus Landschaft, Kultur und Historie, die ihren Reiz ausmacht. Jeder Schritt ist begleitet von Tradition und Geschichte, diesem ganz speziellen Griechenlandgefühl der Ehrfurcht und Ergriffenheit. Viele Künstler fühlten sich hier heimisch, vor allem Bildhauer, wie Christos Kapralos, Karina Raeck und Gerhard Marcks, neben Barlach der bedeutendste deutsche Bildhauer des 20. Jahrhunderts, der hier (in Kypseli) ein Ferienhaus besass. Marcks war zutiefst beeindruckt von der Vollkommenheit des Aphaiatempels. Einer seiner Bronzefiguren (seit 1968 in den Wallanlagen in Bremen) gab er den Namen "Liegende Aegina".

Im Gegensatz zu den drei anderen Inseln - Poros, Hydra und Spetsä - besitzt sie bedeutende antike und byzantinische Stätten, und als einzige spielte sie im Altertum eine glorreiche Rolle, als sie ein wichtiger Handelsplatz mit einer grossen Seeflotte war. In ihrer Blütezeit, im 7. Jahrhundert v. Chr., prägte sie als erste griechische Stadt Münzen, "Schildkroeten" genannt, die aufgrund weitreichender Handelsbeziehungen über den ganzen Mittelmeerraum bis hinüber zum Schwarzen Meer verbreitet waren. Mit dem Erstarken Athens nahm Aeginas wirtschaftlicher Einfluss ab, und obwohl es in der Schlacht von Salamis 480 v. Chr. an der Seite Athens gegen die Perser kämpfte, erzwang Athen Aeginas Beitritt zum Delisch-Attischen Seebund, dem es hohe Tribute entrichten musste. Zu Beginn des fast dreissigjährigen Peloponnesischen Krieges wurden die meisten Einwohner vertrieben und durch attische Kolonisten ersetzt. Von diesem Schlag konnte sich die einstmals so mächtige Insel nicht mehr erholen, sie sank in die Bedeutungslosigkeit.

Im 19. Jahrhundert, nach dem Unabhängigkeitskrieg, tauchte Aegina noch einmal kurz aus der Versenkung auf. 1828 war der Inselort neun Monate lang die erste Hauptstadt des von den Türken teilbefreiten Landes unter dem ersten Präsidenten des neuen Griechenland, Ioannis Kapodistrias. Danach fiel die Hauptstadtrolle an Nauplia, wo Kapodistrias 1831 von Fanatikern aus der Mani ermordet wurde.

Aegina hat mehrere kleinere Badeorte, doch am kurzweiligsten und interessantesten ist es im gleichnamigen Haupt- und Hafenort. An der Küstenpromenade reiht sich ein Cafe, eine Taverne an die andere. Die besten sind das "Plaza" und das "Dromaki", die ein Gespür für feine Aromen haben und die Gerichte nicht in Oel ertränken (alles, was das Meer hergibt, noch dazu preiswert und täglich frisch, servieren auch die kleinen Lokale am Fischmarkt). Im Hafenrund ankern Fischerboote und Jachten, an den Ständen gegenüber kann man frische Pistazien - gesalzen, ungesalzen, geroestet - kaufen, für die die Insel berühmt ist, oder in Honig eingelegte Pistazien im Glas, eine koestliche, hier hergestellte Spezialität, der man nur schwer widerstehen kann. Die "Pistazie von Aegina" wurde 1994 als Produkt geschützt ("geschützte Herkunftsbezeichnung"), um sie von Produkten minderer Qualität - vornehmlich aus der Türkei und dem Iran - abzuheben. Die Aegina-Pistazie ist begehrt, aber nicht billig, zwanzig Euro und mehr kostet das Kilo. Doch die Ausgabe lohnt sich, ihr Geschmack ist unvergleichlich. Rund vier Prozent der Pistazien-Welternte stammen von hier. Die Steinfrucht ist allgegenwärtig. Wenn man die Insel durchquert, fährt man kilometerweit durch satt-grüne Pistazienhaine.

Den aus Piräus Ankommenden begrüsst links vom Hafen eine einsame, acht Meter hohe Säule, Kolona genannt, ein Rest vom Apollontempel, der im 5. Jahrhundert v. Chr. die Anhoehe kroente. Bis auf die Fundamente ist nicht mehr viel zu sehen, manches ist noch unter dem Hügel versteckt. Systematisch gegraben wurde hier erst ab 1894, von 1904 bis zu seinem Tod 1907 von Adolf Furtwängler, einem der ganz grossen seines Fachs. (Das Grab Furtwänglers befindet sich auf dem Ersten Friedhof in Athen.) In den sechziger Jahren legte der Münchner Archäologe Hans Walter eine grosse prähistorische und mehrere nachfolgende Siedlungen frei. Die noch heute andauernden Grabungen, die 4000 Jahre Siedlungsgeschichte abdecken, leitet das Oesterreichische Archäologische Institut. Zahlreiche Kleinfunde sind im Grabungsmuseum ausgestellt, andere stehen im Freien. Man sieht die ganze Anlage durch den Drahtzaun hindurch, wenn man zu einem der von dichten, duftenden Pinienbäumen abgeschirmten Strände oder zu seinem Hotel geht, denn die ruhigen Mittelklassehotels am noerdlichen Ortsrand wie das "Klonos" und das benachbarte "Klonos Anna", das "Nafsika" mit herrlichen Park und einer Aussichtsterrasse über dem Meer oder das "Danai" bieten sich für einen kürzeren wie längeren Aufenthalt an. Von hier aus fussläufig erreichbar ist das Christos-Kapralos-Museum an der Küstenstrasse, das sein beeindruckendes, auf Aegina entstandenes Werk ausstellt.

Die Hauptsehenswürdigkeit Aeginas ist der zwoelf Kilometer oestlich stehende Aphaiatempel (um 500/480 v. Chr.), ein Meisterwerk dorischer Architektur. Er wurde aus heimischem Kalkstein erbaut. Nur die Dachpartien und die Giebelskulpturen bestanden aus Marmor, und zwar aus parischem, der im Altertum nur für Spitzen-Kunstwerke verwendet wurde. Den hervorragend erhaltenen, auf einer Anhoehe thronenden Tempel entdeckte 1811 zufällig der Nürnberger Architekt Carl Haller von Hallerstein. Die lichtweiss gebleichten Giebelskulpturen erwarb 1812 Ludwig I. von Bayern, damals noch Kronprinz. Hallerstein kaufte sie für ihn auf Aegina. Sie bildeten den Grundstock der Sammlungen in der Münchner Glyptothek, die Ludwig im "griechischen Stil" eigens für die "Aegineten" erbauen liess. Adolf Furtwängler leitete ab 1901 die Ausgrabung des Heiligtums.

Zum Tempel fahren mehrmals täglich Busse, deren Endstation Agia Marina ist, das zu schnell gewachsene, reizlose Touristenzentrum Aeginas. Etwa auf halber Strecke halten die Busse an der gewaltigen Kuppelkirche des Agios Nektarios. Er wurde erst 1961 heiliggesprochen und ist damit der jüngste griechisch-orthodoxe Heilige. Im Kloster hinter der Kirche lebte Nektarios bis zu seinem Tod (hat man einen Blick in den kleinen Raum geworfen, den er bewohnte, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob ihm die überdimensionierte Kirche wohl gefallen hätte). Nur 500 Meter weiter erhebt sich der Hügel mit den Resten von Paläochora, der einstigen, um 1800 verlassenen mittelalterlichen Inselhauptstadt, in der noch rund 30 kleine, in verschiedenen Stadien des Verfalls begriffene byzantinische Kirchlein ums Ueberleben kämpfen.

Aegina ist auch für Wanderer interessant, denn es verfügt - was auf griechischen Inseln selten ist - über ein gut markiertes Netz von Wanderpfaden, auf denen man alle Doerfer und Naturschoenheiten zu Fuss erkunden kann. Einer der Wege führt durch duftende Pinienwälder auf und um den Oros herum, mit 532 Metern der hoechste Inselberg. Vom Gipfel hat man eine fantastische Sicht über das Meer. Die schoenste Zeit nicht nur zum Wandern, sondern überhaupt zum Besuch der Insel, sind das Frühjahr oder die Monate September und Oktober. Dann ist der touristische Hochsommertrubel vorüber, das Klima ist viel angenehmer als im Juli und August, es ist immer noch warm genug, um im Meer zu schwimmen und nicht zuletzt wird man überall zuvorkommend bedient. Die Insel ist zu ihrem normalen Alltag zurückgekehrt; alles geht wieder seinen ruhigen Gang.

Die Inseln im Saronischen/Argolischen Golf - Aegina, Poros, Hydra und Spetsä - werden von Fähren und Schnellbooten mehrmals am Tag angelaufen. Alle, ausgenommen das am südlichsten gelegene Spetsä, kann man auch auf einer Tageskreuzfahrt kennenlernen. Athen am nächsten liegt Aegina, das die Hauptstädter als ihren "Vorort" betrachten. Mit dem Schnellboot ist man in nur 35 Minuten dort, das Fährschiff braucht die doppelte Zeit.

2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Burian,
    in Nürnberg findet derzeit eine Sehenswerte Ausstellung zu Carl Haller von Hallerstein statt, https://museen.nuernberg.de/fembohaus/kalender-details/ausstellung-hallerstein-1310/
    Beste Grüße!
    R. S.

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    1. Danke, interessant, daß er noch so präsent ist
      . Ich werde demnächst einen Artikel über Hallerstein schreiben.

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