Wenn ich in Athen bin, wohne ich seit jeher am liebsten mitten im Zentrum, im Areal Sintagmaplatz - Plaka. Das Zentrum der Stadt ist klein und übersichtlich, und man kann von hier aus alle wichtigen Sehenswürdigkeiten bequem zu Fuss erreichen. Ausreisser waren im Laufe der Zeit das (erstklassige) "St. George Lykabettos" in Kolonaki, das (ultramoderne) "Fresh" in der Nähe vom Zentralmarkt sowie einige kleinere einfache Hotels in der Omonia-Gegend. Letztere sind zur Zeit aus Gründen der Sicherheit nicht zu empfehlen. Vor allem die Strassen noerdlich des Omonia-Platzes sollte man abends und nachts meiden, sie gelten als gemeingefährlich. Dann sind hier zwielichtige Gestalten unterwegs, Rauschgiftsüchtige und ihre Dealer, Obdachlose, die in dunklen Hauseingängen vor aufgegebenen Geschäften schlafen, und Kleinkriminelle.
Mein erstes Hotel in Athen war das "Nefeli" (Iperidou/Chatzimichali 2) in der neoklassischen Altstadt Plaka. Sein groesster Pluspunkt ist die Lage. Ruhig und sicher an der Ecke einer autofreien Gasse gelegen, braucht man nur etwa fünf Minuten Fussweg zum Sintagmaplatz und nur wenige Schritte zu der sich durch die ganze Plaka windenden Hauptader Odos Adrianou (Hadrianstrasse). Dort ist man sogleich mitten im Getuemmel der Läden, Tavernen, Cafes und antiken Denkmäler zu Fuessen der Akropolis. Geht man die Adrianou nach links, kommt man zum Nationalgarten, den schattigen Park, den einst Koenigin Amalia anlegte, bzw. in der entgegengesetzten Richtung über die Odos Vironos (Byronstrase) zum Akropolismuseum; biegt man in die Adrianou rechts ein, gelangt man zur Roemischen und zur Antiken Agora, wo sich ein Lokal an das andere reiht. Die Lage des "Nefeli" koennte idealer nicht sein. Weniger ideal und nicht auf der Hoehe der Zeit sind die 18 Zimmer des kleinen Familienhotels, sie sind eng, sehr karg eingerichtet und haben keine Balkone. Die Rezeption ist 24 Stunden besetzt, und die freundlichen und hilfreichen Rezeptionisten sind immer für ein Schwätzchen zu haben.
Absoluter Tiefpunkt ist das Frühstück, das beharrlich den Zeitläuften trotzt: ein Kännchen Kaffee und ein Glas absolut ungeniessbarer "Orangensaft", ein Turm aus trockenen Zwiebacken, schlappes Weissbrot, ein Stück trockener Rührkuchen, ein steinhartes Ei und eine Schmelzkäseecke. Ich nehme es inzwischen mit heiterem Humor, frage mich aber jedes Mal aufs Neue, aus welcher Quelle das Hotel wohl seine Schmelzkäsespezialität bezieht. Sie soll in den fünfziger, sechziger Jahren in Deutschland sehr beliebt gewesen sein, das weiss ich aus Erzählungen; mir ist sie nirgendwo begegnet, nur hier. Dennoch, wenn ich nur ein, zwei Tage in Athen bin, zieht es mich gelegentlich weiterhin in das gute alte "Nefeli". Warum? Vermutlich will ich mich bloss davon überzeugen, dass wenigstens hier noch alles so ist wie es immer war: Die Zeit vergeht, das "Nefeli" bleibt. Jetzt kann ich beruhigt auf meine wunderbaren Inseln fahren, die mich für die erlittene Unbill entschädigen.
Nur eine Strasse weiter, also ebenfalls günstig gelegen, steht an der Odos Nikodimou das beste Hotel der Plaka, das "Electra Palace". In der komfortablen Fünf-Sterne-Unterkunft war ich in den letzten Jahren mehrfach Gast und kann sie uneingeschränkt empfehlen. Sie hat alles, was man von einem Hotel dieser Preisklasse erwartet. Dazu gehoert ein Pool auf dem Dach mit Blick auf die Akropolis, unbestritten einer der schoensten, den man in Athen haben kann. Der Parthenon erscheint zum Greifen nah. Hier hat man die zweitausendfünfhundertjährige Vergangenheit der Stadt in ihrer hoechsten Vollendung vor Augen. Die heutige herzzerreissend jammervolle Architektur-Wüstenei Athen scheint nicht existent, die Schuldenkrise ist ganz weit weg und das unverwüstliche, unzerstoerbare ewige Athen der Antike ganz nah. Das Schoene und das Hässliche liegen in Athen eng beieinander.
Die Zimmer (viele haben Balkone mit Akropolisblick) sind behaglich-elegant eingerichtet, mit Textilien in kräftigen Mustern. Stoffe in oeden Nichtfarben wie Taupe, Mauve und Beige, wie sie heute Mode in den Hotels überall auf der Welt sind, vor allem in den besseren - langweiliges "Ton in Ton" scheint guter Geschmack zu bedeuten - kommen glücklicherweise nicht zum Einsatz. Allein schon das farbenfrohe Design sagt mir: Ich bin in Athen. Und was mitten im städtischen Steinmeer selten ist: Das "Electra Palace" hat ein Gärtchen, eine ruhige grüne Enklave, in der man sich zum Frühstück niederlässt und am Nachmittag zum Tee oder sich von anstrengenden Busexkursionen und obligaten Museumsbesuchen erholt.
Das Personal verstroemt griechische Herzlichkeit, der Barmann in der Halle erkannte mich nach längerer Abwesenheit wieder und begrüsste mich mit einem Glas gut gekühlten Weisswein - selbstverständlich auf Kosten des Hauses. Ich nahm es mit leicht schlechtem Gewissen, denn ich wohnte gar nicht im Hotel, sondern war nur vor einem Regenguss ins Trockene geflüchtet (gelobte aber sogleich im Stillen, das nächste Mal wieder im "Electra" abzusteigen).
Gelitten habe ich in zwei kleinen Plaka-Hotels nahebei, dem "Acropolis House" und dem "Byron". Beide sind nur eingeschränkt oder gar nicht zu empfehlen. Das beste am "Acropolis House" (Odos Kodrou 6) ist sein Aeusseres, die stilvoll restaurierte Fassade des neoklassizistischen Stadthauses. Sie verspricht, was das Hotel nicht einloesen kann. Ebenso wie das nahe "Nefeli" ist es ein Zwei-Sterne-Familienbetrieb, aber individueller. Hier gleicht kein Zimmer dem anderen. Allerdings sind die meisten mit zusammengewürfeltem alten oder besser altmodischem - dunklen - Grossmutter-Mobiliar vom Troedelmarkt ausgestattet bzw. recht voll gestellt, so dass die Räume trotz der schoenen hohen Decken schummrig-düster und keineswegs anheimelnd wirken. Diese Nachteile wiegen auch die Balkone mit Akropolisblick nicht auf, die manche Räume haben.
Vom "Byron" in der Odos Vironos (Byronstrasse), dessen spartanische Zimmer Hostel-Charme haben, ist ganz abzuraten. Da hilft es auch nicht, dass sie Balkon und Akropolisblick haben oder das Hotel nur zwei Minuten vom Akropolismuseum und etwa fünf von der Metrostation Akropolis entfernt ist. Für das wenige, das es bietet, ist es zu teuer, die Zimmer kosten genauso viel wie die in erheblich besseren Hotels. Das karge Frühstück wird in der lieblosen dunklen Lobby im Erdgeschoss serviert, wo an der Theke der mürrische Rezeptionist entweder gelangweilt vor sich hin doest, ins Telefon schreit oder lautstark mit Touristen streitet.
Ein Hotel der Mittelklasse nahe dem Sintagmaplatz ist das "Cypria" in der Diomiasstrase 5, einer Nebenstrasse der Ermou (Hermesstrasse), die sich vom Sintagmaplatz über Monastiraki bis nach Gazi zieht, vorbei an einem Biotop der Stille, dem grossartigen antiken Friedhof Kerameikos. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre im Jahr 2000 dem Metrobau zum Opfer gefallen. Glücklicherweise haben Proteste der Archäologen und Umweltschützer diesen Frevel in letzter Minute noch verhindern koennen. Das "Cypria" ist ein Touristenhotel ohne besondere Merkmale. Aber die Zimmer sind geräumig, manche haben einen Balkon - die meisten allerdings ohne Aussicht, den Blick begrenzen die gegenüberliegenden Häuser - , das Büffetfrühstück (warme und kalte Gerichte) ist ausgezeichnet und die Lage ist bestens, besonders für eilige Touristen. Der Bus zum Flughafen hält direkt am Sintagmaplatz, ebenso die U-Bahn dorthin, und man braucht nur zwei Minuten zu Fuss. Die Zimmerpreise sind vergleichsweise günstig. Es ist unwesentlich teurer als das "Nefeli" und billiger als das "Byron", an dem nur der Name interessant ist.
Das nobelste Hotel Athens ist das berühmte "Grande Bretagne" am Sintagmaplatz. Von meinem Balkon aus blicke ich rechts auf eine Ansammlung von Menschen, die gerade vor dem Parlamentsgebäude demonstriert - man kennt die Bilder aus dem Fernsehen -, links auf den kegelfoermigen Lykabettoshügel im Stadteil Kolonaki, mit 277 Metern die hoechste Erhebung Athens. Einen grandiosen Rundumblick hat man vom Dachgarten, der auch Frühstücksterrasse ist: auf die Akropolis, auf den Athener "Hausberg" Hymettos und über die Dächer von Piräus hinunter aufs Meer, den im Sonnenlicht türkisblau glitzernden Saronischen Golf mit der Insel Salamis, wo 480 v. Chr. die berühmte Seschlacht gegen die Perser stattfand.
Das "GB" ist so alt wie der neugriechische Staat und aufs Engste mit seiner Geschichte verknüpft. Der klassizistische Bau an der Ecke zur Odos Panepistimiou (Universitätsstrasse) war nicht als Grandhotel geplant. Der reiche Triester Kaufmann Dimitriou liess ihn sich 1842/43 von Theophil Hansen, der entscheidend am Stadtbild Athens mitwirkte und später in Wien die prachtvollen Ringpaläste schuf, als Wohnpalais errichten. Nachdem das "Megaron Dimitriou" mehrere Jahre lang Gästehaus des Koenigs war - Otto I. residierte im gleichfalls 1843 fertiggestellten Schloss schräg gegenüber, dem heutigen Parlamentsitz - , beherbergte es 1856-1872 das Franzoesische Archäologische Institut. Danach wurde es zum Hotel umgebaut und 1874 glanzvoll eroeffnet, schon damals unter dem Namen "Grande Bretagne", weil die meisten Gäste britische Beamte und Geschäftsleute waren, die auf dem Weg in die Kolonien hier Station machten. Die Gästeliste ist lang und nennt illustre Namen aus Film, Kunst, Politik und Adel. Die Schriftsteller Hugo von Hofmansthal, Graham Greene, Henry Miller, Heinrich Boell und Truman Capote haben hier gewohnt, die Rothschilds, Krupps, Rockefellers und John F. Kennedy, Maria Callas mit Aristotelis Onassis natürlich, Romy Schneider mit Alain Delon und heute Pop-Groessen wie Sting und Madonna. 2014 nächtigte hier die Rechtsanwältin Amal Clooney, die Griechenland im Fall der Parthenon-Skulpturen vertritt.
Im Zweiten Weltkrieg war das Hotel nacheinander Hauptquartier der griechischen, deutschen und englischen Truppen. Winston Churchill wäre hier Weihnachten 1944 beinahe einem Anschlag zum Opfer gefallen. Erst in letzter Minute wurde der Sprengstoff, mehrere Tonnen Dynamit, der das gesamte Gebäude zerstoert hätte, im Keller und in den unterirdischen Abflussrohren entdeckt. 1951-1953 war es provisorische Unterkunft der deutschen Botschaft, und Adenauer und Heuss schrieben sich ins Gästebuch ein. 1974 regierte Konstantin Karamanlis nach dem Ende der Militärdiktatur von hier aus kurze Zeit das Land, bevor er in den Präsidentenpalast einziehen konnte. Heute bevorzugt noch immer die Politprominenz der Welt das "GB", auch die Mitglieder der verhassten "Troika", wenn sie in Athen kontrollieren, ob das Land auch seine Sparverpflichtungen eingehalten hat.
Vor den Olympischen Spielen 2004 wurde das "GB" für 80 Millionen Euro komplett renoviert. In der luxurioesen, noch von der Pracht des 19. Jahrhunderts kündenden Halle und in den edel moeblierten Zimmern (mit opulenten verschiedenfarbigen Marmorbädern) erwarten den Gast kostbare Antiquitäten - Statuen, Bilder, Gobelins und erlesene alte Teppiche -, ersteigert in internationalen Auktionshäusern. Die Ball- und Empfangssäle im Erdgeschoss bilden den Rahmen für gesellschaftliche Anlässe, Bankette und Galas der Athener Society, die in den drei Restaurants und in "Alexander's Bar" ein- und ausgeht. Auch wer nicht hier wohnt, sollte einen Blick in die Halle wagen oder im "GB Corner" speisen, wo man sehr gut essen kann und gleichzeitig einen Eindruck davon bekommt, wie die Athener Oberschicht lebt.
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