Samstag, 15. Juli 2017

Karl Otfried Müller und Wilhelm Müller: Die Straßen Odos Myller und Odos Myllerou in Athen

Es gibt in Athen tatsächlich zwei Müllerstraßen: die Odos Myllerou im Stadtteil Metaxourgio und die Odos Myller im Stadtteil Kolonos. Die Myllerou ist benannt nach dem Dessauer Wilhelm Müller (1794-1827), einem deutschen Dichter der Romantik, von seinen Zeitgenossen auch "Griechen-Müller" genannt, ein leidenschaftlicher Hellenenfreund, der mehr als fünfzig "Griechenlieder" schrieb, den Deutschen aber wohl hauptsächlich durch das Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" und durch seine von Franz Schubert vertonten Liederzyklen "Die schöne Müllerin" und "Die Winterreise" bekannt ist. (Siehe meinen Beitrag "Der deutsche Philhellene Wilhelm Müller. Die Odos Myllerou in Athen".)

Die Odos Myller würdigt den am 28. August 1797 in Brieg (Schlesien) geborenen Karl Otfried Müller, einen der bedeutendsten Altertumswissenschaftler seiner Zeit, der grundlegende Arbeiten in verschiedenen Fächern der Altertumskunde vorlegte, darunter auf Gebieten, die damals noch kaum im Fokus der Aufmerksamkeit standen. Sie wirkten als bahnbrechend über das 19. Jahrhundert hinaus und werden noch heute als grundlegend angesehen. Vielseitig begabt, war sein Interessengebiet weit gefächert; es umfaßte neben der klassischen Philologie die klassische Archäologie, Alte Geschichte, Ägyptologie und einige Randgebiete.

Müller beschäftigte sich schon als Schüler mit Fragen des Altertums. Thema seiner bereits 1817 (auf Latein) abgeschlossenen Dissertation war die Geschichte der Insel Ägina von den Anfängen bis zur Frankenzeit, die umfassende Darstellung einer Lokalgeschichte Griechenlands. Ein unermüdlicher Arbeiter, produzierte er viel in seinem kurzem Leben. So legte er eine komplette Topographie von Athen vor und publizierte in schneller Folge weitere bedeutende Werke, darunter seine "Geschichten hellenischer Stämme und Städte" (Band 1:  "Orchomenos und die Minyer", Band 2 und 3: "Die Dorier"), ein bis heute beispielhaftes "Handbuch der Archäologie der Kunst", ferner "Über das Nachahmende in der Kunst nach Aristoteles", "Aristoteles und das deutsche Drama" und "Über Sophokleische Naturanschaung".

Seine "Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders" blieb unvollendet. Sein Bruder, der Philologe Eduard Müller, veröffentlichte sie postum 1857.  Das Werk fand große Resonanz; es wurde nicht nur wie viele seiner anderen Bücher ins Englische, sondern auch ins Französische, Italienische, Ungarische und Griechische übersetzt.

Professor der klassischen Archäologie in Göttingen, war Müller nicht nur in der deutschen Fachwelt, sondern auch international hoch angesehen. Er galt als genialer Geist, als scharfsinnig, ideenreich, methodisch richtungweisend, dabei immens fleissig und arbeitsam. Eine glänzende Zukunft schien ihm sicher.

1839 erfüllte er sich den lang gehegten Wunsch, die antiken Stätten Italiens und Griechenlands zu besuchen. Die Reise wurde ihm zum Verhängnis.

"Diese Reise sollte die Voraussetzung schaffen für sein Lebenswerk, die große Geschichte Griechenlands, für die er seine bisherigen Werke als Vorarbeiten ansah. Von seiner Reise nach Griechenland kehrte er nicht zurück. Fast am Ende des für ihn wissenschaftlich so ertragreichen Besuchs in Hellas wurde er Opfer seines unermüdlichen Forschungsdrangs. Beim Kopieren von Inschriften an der Tempelterrasse in Delphi bei glühender Sonnezog er sich eine schwere Hirnentzündung zu. Auf der Rückreise von Delphi brach er zusammen. Seine Begleiter brachten ihn noch nach Athen. Dort starb er am 1. August 1840. Sein Grab fand er auf dem Kolonoshügel im Norden Athens, wo noch heute eine Grabstele an ihn  erinnert." So Friedrich Lücke im November 1840 in der Schrift "Erinnerungen an Karl Otfried Müller".

Einer seiner Begleiter nach Delphi war der junge Ernst Curtius, der später, ab 1875, die Ausgrabungen in Olympia leitete. In einem Brief an seine Eltern vom 7. August 1840 berichtete Curtius über Müllers Erkrankung, seine letzten Tage und seinen Tod.

Auf dem Kolonoshügel befindet sich eine weitere Grabstele, die des  französischen Archäologen Charles Lenormant (1802-59). Sie ist eine Arbeit Theophil von Hansens, dem Athen einige seiner schönsten Bauten verdankt. Den Namen des Archäologen trägt auch die sich durch den Stadtteil Kolonos, heute ein tristes Arbeiterviertel, bis nach Metaxourgio ziehende Odos Lenorman.

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