Montag, 2. April 2018

Deutsche Philhellenen in Athen - Wer steckt hinter den Straßennamen? Wilhelm Schmidt, J. F. Julius Schmidt, Theodor von Helmreich, Wilhelm Müller, Karl Otfried Müller u.a.

Straßennamen sind das Gedächtnis einer Stadt, weil sie die Erinnerung an bestimmte Personen wachhalten. Demnach sind den Griechen vor allem ihre antiken Vorfahren lieb und teuer. In Athen tragen oft ein Dutzend Straßen oder mehr den Namen Aristoteles und Sophokles, Sokrates und Euripides oder Perikles, worin sich der Stolz auf die glanzvolle Vergangenheit und ihre Hinterlassenschaften sowie die oftmals noch immer mit allem Ernst vorgetragene  Überzeugung ausdrückt, die direkten Nachkommen der "alten Griechen"  zu sein. In diesen Olymp großer Namen aufgenommen und durch ein Straßenschild geehrt zu werden, gelang immerhin rund dreißig deutschen Wissenschaftlern, Unternehmern, Politikern und Archäologen, denen zuerkannt wird, sich um das Land verdient gemacht zu haben. Griechenland profitierte im 19. Jahrhundert in hohem Maße von der westlichen Wissenschaft, den kompetenten deutschen Gelehrten, die auf vielen Gebieten Pionierarbeit leisteten, Hellas nach außen repräsentierten und Grundlagenforschung betrieben, die noch heute gültig ist.

Allen Philhellenen wird im Zentrum Athens mit der Odos Filellinon, der "Straße der Philhellenen", gemeinsam gedacht. Sie zweigt von der Seite des Sintagmaplatzes ab, die mit der Odos Othonas den Namen des ersten Königs von Griechenland trägt, des Wittelsbachers Otto I., in dessen Gefolge die meisten Deutschen nach Hellas gekommen und geblieben sind - sofern sie den klimatischen und hygienischen Bedingungen sowie anderen Beschwernissen gewachsen waren oder Krankheiten wie das "endemische Wechselfieber"  ("endemische Malaria") überlebten.

Unter denen, die sich die Hochschätzung der Athener erwarben, waren zwei deutsche Schmidts: Friedrich Schmidt und  J. F. Julius Schmidt. Die Straße des letzteren, die enge Odos Smith, führt zum Nymphenhügel mit der Sternwarte, die der in Wien lebende Baron Sina, Auslandsgrieche, betuchter Bankier und Mäzen, 1843 der Stadt Athen stiftete. Der international bekannte Astronom Schmidt war von 1858 bis zu seinem plötzlichen Herztod 1884 Direktor des Observatoriums. Seine Beerdigung auf dem Ersten Athener Friedhof gestaltete sich unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu einer "nationalen Trauerfeier".

Ein Sträßchen hinter dem Friedhof, die Odos Vinkelman, erinnert an Johann Joachim Winckelmann, den Begründer der klassischen Archäologie als Kunstwissenschaft. Er war zwar selbst nie in Hellas, hat aber das Griechenlandbild der Deutschen maßgeblich beeinflußt, auch das der Dichter der Klassik. So sprach etwa Goethe von der "glücklichen Natur der Griechen", die "den Traum des Lebens am schönsten geträumt" haben und betrachtete sie als Idealtyp nicht nur der europäischen, sondern der gesamten Menschheit. Winckelmanns große Liebe galt den Griechen. Er schätzte die griechische Kunst höher ein als die römische, in ihrem Wesen liege "edle Einfalt und stille Größe" . 

Die zweite Schmidt-Straße liegt südlich vom Zentrum und zweigt von der Pirras-Straße ab. Ihr Namengeber  Friedrich Schmidt war preußischer Agronom und Hofgärtner, in dessen Händen, unterstützt von dem renommierten bayrischen Botaniker Carl Nikolaus Fraas (der aus gesundheitlichen 1841 nach München zurückkehren mußte), die praktische Umsetzung des Entwurfs von  Francois-Louis Barrauld für einen Hofgarten lag. Auf Veranlassung Königin Amalias ließ Schmidt seltene Bäume und Pflanzen aus dem gesamten Mittelmeergebiet heranschaffen, die den Park zu einem Botanischen Garten machten. Unter den über 500 Arten wurden 102 einheimische gezählt. Über die Entstehung der Anlage veröffentlichte Schmidt den Beitrag "Der königliche Hofgarten in Athen". Die am Haupteingangstor des "Ethnikos Kipos", des heutigen Nationalgartens, entlangführende Straße trägt den Namen der Königin: Leoforos Amalias.

Nahe der Odos Smit trifft man auf die Odos Chelntraich, die ein Tourist wohl nicht auf Anhieb als Helmreich-Straße entziffert. Theodor von Helmreich, ebenfalls Botaniker, weltbekannt und auf vielen internationalen Kongressen zu Hause, war von 1851 bis zu seinem Tode 1902 Direktor des Königlichen Botanischen Garten Athens sowie von 1858 bis 1883 Kurator des Naturhistorischen Museums der Universität Athen. Auf zahlreichen ausgedehnten Exkursionen erforschte er die Flora Griechenlands und entdeckte 700 neue Arten, von denen siebzig seinen Namen tragen. Von seinen vielen Veröffentlichungen wurden einige im 20. /21. Jahrhundert nachgedruckt, so erst 2016 bei Hansebooks das 1877erstmals erschienene Werk "Die Nutzpflanzen Griechenlands". Heldreich führte eine rege Korrespondenz mit seinen europäischen Kollegen, darunter mit Charles Darwin, die 1993 veröffentlicht wurde.

Auch der deutsche Namen Müller ist in Athen präsent. Die Odos Myllerou im Stadtteil Metaxourgiou erinnert an den deutschen Dichter und leidenschaftlichen Philhellenen Wilhelm Müller, schon zu seinen Lebzeiten als "Griechen-Müller" verehrt, der über fünfzig "Griechenlieder" schrieb, darunter das populäre "Der kleine Hydriot". Den Deutschen besser bekannt sein dürfte er durch das Volkslied "Das Wandern ist des Müllers Lust" oder die von Schubert vertonte "Winterreise".  Die Odos Myller im Stadtteil Kolonos würdigt Karl Otfried Müller, einen der bedeutendsten und produktivsten Altertumswissenschaftler seiner Zeit. An ihn, der 1840 nach seiner Delphi-Reise in Athen an Fieber starb, erinnert auch eine Grabstele auf dem Kolonoshügel.

Natürlich ist auch dem großen Archäologen Heinrich Schliemann eine Straße gewidmet, die Odos Errikos Sliman, im Süden des nach Lord Byron benannten Stadtteils Vyronas, ebenso dem Architekten Ernst Ziller, der Schliemanns Wohnhaus, heute Münzenmuseum, und das Schliemann-Mausoleum auf dem Ersten Athener Friedhof schuf. Mit über fünfhundert Bauten prägte Ziller das klassizistische Stadtbilds Athen, von denen so manche glücklicherweise überlebt haben. Er starb verarmt in Athen und ist ebenfalls auf dem Ersten Athener Friedhof begraben. Einige weitere Deutsche fanden dort ihre letzte Ruhestätte wie der philhellenische Baron Eduard von Reineck, der Epigraphiker Hans von Prott, Bettina von Savigny-Schinas und der Archäologe Adolf Furtwängler.

Zu den Personen hinter der Odos Streit und der Odos Esslin siehe meine Beiträge unter April 2018 und Oktober 2017, ausführlicher zu Wilhelm Müller und Karl Otfried Müller meine Beiträge vom Juni 2014 und Juli 2017.
Zur Familie Fuchs, den bayrischen Gründern der Bierbrauerei Fix, nach denen eine Straße im Süden Athens - Odos Fix - sowie die Metrohaltestelle Singrou-Fix benannt ist, siehe meinen Beitrag "Fix-Bier. Die erste Brauerei Griechenlands" von Februar 2014.



Die Geschichte hinter den Namen - die Odos Streit in Athen

Mit dem Wittelsbacher Otto, der 1832 zum König von Griechenland gekrönt wurde, und auch später, nach seiner Abdankung 1862, kamen deutsche Beamte und Soldaten, Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten  und Handwerker nach Griechenland, die sich dort niederließen und deren Nachkommen großteils noch heute in Hellas leben. Um ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern, publizierte Adolph von Schaden bereits 1833 in München den Ratgeber und Reiseführer "Der Bayer in Griechenland. Ein Handbuch für alle, welche nach Hellas zu ziehen gedenken, oder dasselbe in jeder Beziehung näher kennen zu lernen wünschen."  Der Band gibt einen Einblick in den damaligen Rumpfstaat, die kulturellen und historischen Mißverständnisse, das verklärte - irreale - Griechenbild. Denn die Wirklichkeit sah ganz anders aus.

Unter den deutschen Emigranten - viele kamen aus Bayern wie Johann Karl Fuchs, der 1864 die Bierbrauerei Fix gründete, königlicher Hoflieferant und über hundert Jahre lang beherrschende Großbrauerei in Griechenland war, oder der Weinhändler Gustav Clauss, der 1859 auf dem Peloponnes das berühmte Weingut Achaia Clauss gründete - war auch der philhellenisch geprägte Johannes Alexander Freiherr von Streit, wie die meisten Auswanderer ein Repräsentant des gehobenen Großbürgertums bzw. des Adels. Streit, 1812 auf dem Rittergut Medewitzsch 25 Kilometer südlich von Leipzig geboren, stammte aus sächsischem und mütterlicherseits dem fränkischen Adelsgeschlecht von Wurmb. Er gehörte dem Offizierscorps Ottos I. an und ließ sich nach dem Abschied vom Militärdienst in Patras nieder. Die Nachkommen des deutschen Freiherrn sollten sich in dem aufzubauenden Land einige Verdienste erwerben.

Sein 1835 in Patras geborener Sohn Stefanos Streit heiratete 1865 Viktoria Londou, die Tochter des Bürgermeisters Andreas Londos.Nachdem seinem Studium der Rechte in Leipzig und Athen machte erfolgreich Karriere als Jurist, Bankier, Hochschullehrer und Politiker. So war er von 1896 bis 1911 Präsident der Griechischen Nationalbank und in der Regierung von Alexandros Zaimis Finanzminister.

Georgios Streit, 1868 ebenfalls in Patras geboren, trat in die Fußstapfen seines Vaters Stefanos und studierte Jura, in Leipzig, Berlin und Athen. 1898 wurde er Professor für Internationales Recht in Athen, Berater des Außenministeriums sowie 1910 griechischer Botschafter in Wien. Anfang 1914, am Vorabend des Ersten Weltkriegs (manche Quellen nennen Dezember 1913), wurde er für acht Monate Außenminister. Weil er die Neutralität Griechenlands wahren wollte, stellte er sich gegen einen Kriegseintritt an der Seite Englands, konnte ihn aber nur hinauszögern. Als Grund für sein Widerstreben vermutete man wegen seiner Herkunft eine pro-deutsche Neigung, auch wenn er seine Haltung später damit erklärte, daß Griechenland für einen Kriegseintritt in keiner Weise vorbereitet war.

1929 wurde Streit Mitglied des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, 1931 Präsident der Akademie von Athen.

In Athen wurde die Familie Streit durch einen Straßennamen geehrt: die am Kotziaplatz abzweigende Odos Streit, ein kurzes, aus zwei, drei Häuserblocks bestehendes Sträßlein.

Nachkommen der von Streits leben noch heute in Griechenland, darunter sein Urenkel Pavlos Geroulanos, der in der Regierung von Georgios Papandreou Minister für Kultur und Tourismus war.

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Griechischer als Griechisch: Alekos Fassianos

Ich lernte Alekos Fassianos, heute einer der bekanntesten griechischen Künstler der Gegenwart, Ende der sechziger Jahre in der Berliner Galerie Onnasch kennen. Ein männlicher Kopf in klassisch griechischem Profil und leuchtendem Rot, gezeichnet in einfachen, klaren Konturen, fiel mir ins Auge und ließ mich nicht mehr los. Ich wußte sofort, daß ich dieses herrliche antikisierende Bildnis eines Mannes, der aussah wie ein junger Gott, haben mußte. So tätigte ich meinen ersten spontanen Kunstkauf und habe ihn nie bereut. Seitdem hängt der "rote Kopf" über meinem Schreibtisch, zwar nicht mehr ganz so intensiv leuchtend, sondern im Laufe der Jahrzehnte etwas bleicher geworden, was seiner Schönheit jedoch keinen Abbruch tut. Damals war Fassianos in Deutschland noch kaum bekannt, in Paris hingegen, wo er seit 1960 studierte und arbeitete - insgesamt verbrachte er 35 Jahre seines Lebens in Paris -,  hatte man ihm schon mehrere Soloausstellungen gewidmet. Heute weiß ich, daß mein Bild das von ihm entworfene Poster für seine erste Pariser Ausstellung war und inzwischen ein rares Sammlerstück ist.

1935 in Athen geboren, studierte Fassianos zunächst Violine am Athener Konservatorium und 1956-60 Malerei an der Athener Kunstakademie, wo Yannis Moralis einer seiner Lehrer war. Mit einem Stipendium des französischen Staates setzte er seine Ausbildung 1960  in Paris fort und studierte drei Jahre lang Lithographie an der Ecole des Beaux- Arts bei Clairin und Caroline Chariot-Dayez. Er verbrachte seine Anfangsjahre als Maler in Paris und hatte dort auch seine ersten Ausstellungen. Insgesamt kann er auf nahezu hundert Solo-Auftritte weltweit zurückblicken, nach Paris in Athen, Saloniki, Mailand, Stockholm, London, Zürich, Brüssel, Tokio, Beirut, New York - dort erstmals sehr erfolgreich 1966 -  sowie in Deutschland: in Hamburg, München, Düsseldorf und Köln. Er war auch Teilnehmer der Biennalen von Sao Paolo und Venedig, ferner der Basel Art Fair. Als einem der wenigen griechischen Künstler ist es ihm gelungen, schon früh über die Grenzen Griechenlands hinaus bekannt zu werden und internationales Ansehen zu erringen.

Sein künstlerisches Schaffen ist vielfältig. So arbeitete er seit 1975 mehrfach als Bühnenbildner für das Athener Nationaltheater, er entwirft die Poster für alle seine Ausstelllungen gewöhnlich selbst, kreiert Cover für Bücher, illustriert sie und veröffentlichte eine Reihe eigener Prosatexte und Gedichte. Für die Olympischen Spiele 2004 in Athen entwarf er eine Briefmarkenserie und Poster, für die Ausstellung "Ewige Wiederkehr" 2007 in Athen einen Schreibtisch, den er "Menschen-Säulen" nannte.

Seine Malerei ist keiner Schule zuzuordnen. Er malt in seiner ureigenen Weise, der Weise Fassianos. Seine tiefenlosen, flächigen Bilder haben einen hohen Erkennungswert. Der figurativen Darstellung ist er immer treu geblieben - im Zentrum seines Werkes steht der Mensch -,  ebenso der Liebe zur antiken und byzantinischen Kunst, auch  der griechischen Folklore. Seine Bilder haben immer etwas Poetisches, selbst wenn er  Figuren aus der griechischen Mythologie - und aus ihr nimmt er gewöhnlich sein Personal -  mit der heutigen Wirklichkeit bzw. dem täglichen Leben in Zusammenhang bringt, etwa "Lysander auf einem Athener Balkon" oder "Freunde mit Fahrrad". Bei manchen fühlt man sich an die griechische Vasenmalerei erinnert.

Weniger bekannt sind seine Landschaftsbilder und die übermalten Fotografien, eine neuere Art der Darstellung, in der er die griechische Realität thematisiert und - so in einer Ausstellung im Sommer 2008 in Athen - an das erinnert "Was uns blieb".

Neben verschiedenen Auszeichnungen und Preisen wurde Alekos Fassianos - die Franzosen nennen ihn Alexandre - 2013 mit dem Orden der Ehrenlegion (officier de la legion d'honneur) ausgezeichnet, einem der höchsten Orden Frankreichs. In Athen wurde die Metrostation Metaxourgio mit Kunstwerken von Fassianos ausgestattet.


Montag, 16. Oktober 2017

Bayern und Griechen. Die Esslin-Straße in Athen. Konstantin von Hößlin

Vom Leoforos Alexandras, nahe der Kreuzung mit der Kifisias, zweigt eine kleine Straße nach Norden ab, die Odos Esslin. Sie trägt den Namen Konstantins von Hößlin, dessen in Triest geborener Vater Julius von Hößlin 1839 nach Athen auswanderte. Die weit verzweigte Familie stammt von einem alten bayerischen Adelsgeschlecht ab, das in Augsburg ansässig war.

In Athen gründete Julius nach westlichem Vorbild ein Bankhaus, das bedeutendste jener Zeit und Vorläufer der National Bank of Greece, die 1841 ins Leben gerufen wurde und heute die älteste Geschäftsbank Griechenlands ist. Erfahrungen als Bankier hatte er zuvor in Triest gesammelt, wo sein Vater und sein Onkel das Handels- und Bankhaus Gebrüder Hößlin und Co. etabliert hatten. Julius von Hößlin war finanzpolitischer Berater in der Regierung Ottos I. und wurde in den Vorstand der Nationalbank berufen. Maßgeblich beteiligt am Aufbau und Erfolg der neuen Bank, die bis 1928 auch die Funktion einer Zentralbank ausübte, war der Schweizer Bankier und Philhellene Jean Gabriel Eynard, ein Freund des Grafen Ioannis Kapodistrias', des ersten Präsidenten des unabhängigen Griechenlands;  Eynard hatte ihn 1814 auf dem Wiener Kongreß kennengelernt. Nach ihm ist ebenfalls eine Straße benannt, die Odos Einardou im Norden Athens, eine Querstraße der Liossion.

Das klassizistische Nationalbankgebäude am Kotziaplatz erbaute übrigens der Deutsche Ernst Ziller, dem Athen mehr als 600 repräsentative Bauten verdankt.

Julius heiratete die aus Smyrna stammende Griechin Christina Justina Chatziapostolou und ist somit der Stammvater des griechischen Zweiges derer von Hößlin. Sie hatten drei Söhne: Aristides Emanuel Balthasar, der als Bauingenieur u.a. den Hafen von Volos plante, Ferdinand Nikolaos Balthasar, der 24-jährig im Befreiungskampf gegen die Türken 1866 auf Kreta fiel, und Konstantin Alexander Balthasar, der sich als Politiker einen Namen machte. Die drei Söhne wurden in Athen geboren; die beiden Überlebenden heirateten Griechinnen: Aristides ehelichte Maria Notaras und Konstantin Emilia Vryzakis. Alle männlichen Nachkommen der Familie tragen den Namen Balthasar als Beinamen, den Mädchennamen der Ehefrau ihres Vorfahren Gallus Hößlin, der - um 1500 geboren - eine Anna Balthasarin heiratete.

Konstantin von Hößlin studierte Jura in Leipzig, München, Zürich und Genf und anschließend Staatswissenschaften in Brüssel. Seine berufliche Laufbahn begann der promovierte Jurist 1868 als Richter in Tripolis und Pyrgos. 1897 wurde er zum Präfekten von Fthiotida und Fokida ernannt, wo er sich viele Meriten erwarb. Sein großes Verdienst war, daß es ihm in der Schlacht von Lamia gelang, die Türken daran zu hindern, in die Stadt Lamia einzufallen und die Bedingungen für einen Waffenstillstand auszuhandeln - eine Straße in Lamia erinnert an ihn.

Später - als Präsident der Verfassunggebenden Versammlung von Griechenland - war er maßgeblich an der Überarbeitung der griechischen Verfassung beteiligt, die 1910 verabschiedet wurde und bis heute gültig ist. Während seiner Zeit als Parlamentspräsident übernahm er 1916 noch die Funktion als erster Vorsitzender der Athener Rechtsanwaltskammer. Kurz darauf begann der dramatische Abstieg.  Sein politischer Widersacher Venizelos vertrieb ihn 1917 ins Exil nach Korsika. Nach seiner Rückkehr am 11. Juni 1919 verurteilte ihn ein außerordentliches Militärgericht zum Tode. Zwar wurde das Urteil später aufgehoben, doch durch die Haft geschwächt und schwer erkrankt starb er am 17. Januar 1920 in einem Athener Krankenhaus, in das ihn seine Tochter Polyxenia (die erste Frau des deutschen Dramatikers und Generalintendanten des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, Ernst Hardt) noch hatte bringen können.

Nachkommen der Familie Hößlin leben noch heute in Griechenland. 

Samstag, 22. Juli 2017

Athen - Graffiti-Hauptstadt Europas

Es gibt sie in Athen, die sogenannte Streetart. Aber ihr Vorkommen ist verschwindend gering. Nicht jeder, der eine Spraydose bedienen kann, ist ein Künstler,ein Banksy oder Ino (von ihm gibt es einige großartige Wandgemälde in Gazi), und nicht jeder hat eine Botschaft, geschweige denn eine, die verstanden wird. Als Kunst geht heute vieles durch. Aber das ist nicht das Thema und soll hier auch nicht behandelt werden.

Das Problem ist, daß die meisten "Kunstwerke" einfach nur Schmierereien sind, die das Auge beleidigen und deprimieren. Es gibt sie in diesem Ausmaß in keiner anderen europäischen Haupt- oder Großstadt. Sie haben im Zentrum überhand genommen und betonen die Verwahrlosung der citynahen Viertel umso mehr. Kaum eine Straße, kaum ein Haus, das von den Verschandelungen verschont geblieben ist. Das Straßenbild wird immer unansehnlicher, die schmuddeligen Ecken der Stadt werden noch schmuddeliger, besonders in den alten Vierteln der Stadt, und die Verwüstung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Ganze Stadtteile verlottern, zugleich floriert die Sprayerszene.

Wenn man durch das Athener Zentrum geht, ob Plaka, Monastiraki, Psiri, Metaxourgio oder besonders Exarchia, ist man von Graffiti behelligt. Das gibt es nirgendwo sonst in Europa. In Exarchia zum Beispiel ist ein Gebäude ohne "Malerei" die Ausnahme. In diesem ehemals gutbürgerlichen Wohnviertel stehen in den baumbestandenen Straßen noch einige schöne klassizistische Häuser mit schmiedeeisernen Balkonen und kunstvollen Eingangstüren, manche teuer restauriert. Aber fast alle sind beschmiert, die hübschen pastelligen Fassaden besudelt. Die Eigentümer sind verzweifelt, aber was sollen sie tun? Sie fühlen sich der Zerstörungswut hilflos ausgeliefert.

In Exarchia befindet sich neben dem Archäologischen Nationalmuseum das altehrwürdige Politechnion, das einstige Polytechnikum, in dem heute nur noch die Büros einiger Fakultäten, darunter Architektur und Kunst,  zu Hause sind. Das schöne klassizistische Hauptgebäude, aber auch die anderen Gebäude auf dem Campus sind sinnlos verunstaltet. An allen Fassaden liest man immer dieselben Parolen, die von beklagenswerter Ideenlosigkeit zeugen, wie "Piss off Cops", "Fuck the Police", ".... the politicians", "... the banks" und wer oder was sonst noch als Feind angesehen wird. Die verbale Ausdrucksweise ist begrenzt. Es langweilte, wenn es nicht so häßlich und zerstörerisch wäre.  

Denn die Täter besprühen alles, was ihnen vor die Dose kommt. Sie schrecken weder vor Antiken, Denkmälern - etwa den geschichtsträchtigen Statuen im Areos-Park - noch vor dem Holocaust-Denkmal am Kerameikos-Friedhof zurück, das seit seinem Bestehen schon mehrfach mit beleidigenden Krakeleien "bemalt" wurde.

Obwohl die Graffiti-Malerei offziell verboten ist, scheint sich niemand darum zu kümmern, diese Unart zu unterbinden. Entfernt werden die Schmierereien meist nicht, weil kein Geld dafür vorhanden ist, der Staat ist arm und die Kosten sind hoch. Vermutlich würde es auch nichts nützen, denn manche "Malereien" sind zentimeterdick vom mehrfachen Überpinseln, Überkleben, Übersprühen.  Heute gereinigt, morgen dieselbe Prozedur der Zerstörung.

Montag, 17. Juli 2017

Der "grüne Fürst" - Hermann von Pückler-Muskaus Reisen in Griechenland. "Griechische Leiden"

Fürst Hermann von Pückler war ein berühmter Landschaftskünstler, dessen Parkanlagen Branitz und Muskau - heute Weltkulturerbe der Unesco - Vorbild für die Gartenarchitektur in Europa waren und bleibendes Zeugnis der Landschaftsgestaltung im 19. Jahrhundert sind. Zugleich war er ein Abenteurer und Weltreisender, der einen Großteil seines Lebens fern von Zuhause verbrachte, sowie ein namhafter Schriftsteller, der schnell literarischen Ruhm errang. Schon seine erste Veröffentlichung, die "Briefe eines Verstorbenen" 1830/31, macht ihn auf Anhieb berühmt. Der Band war ein Riesenerfolg - auch finanziell - und das nicht nur in Deutschland. Er hatte Bestsellerstatus und wurde mehr gelesen als Goethe und Schiller.

Seine Reiselust, die bis ins hohe Alter ungebrochen blieb, führt ihn durch die südlichen Länder Europas, in die Schweiz, nach Südfrankreich und Italien, wo er einen Ausbruch des Vesuvs erlebt und in Rom vom Papst empfangen wird, und schließlich nach Nordafrika, wo er von Tunis nach Malta übersetzt. Ziel dieser Reise war Griechenland. Seine Erlebnisse beschreibt er amüsant und geistvoll-ironisch in "Südöstlicher Bildersaal", deren Bände II und III er "Griechische Leiden" nennt.  (Band I beschreibt seine Nordafrika-Fahrten.)

Pückler verbringt das ganze Jahr 1836 in Griechenland. Die "Griechischen Leiden" beginnen schon mit der stürmischen Überfahrt auf einem gebrechlichen englischen Schiff von Malta nach Patras, mitten im Winter, Ende des Jahres 1835.  Bei unwirtlichem Wetter reist über den Peloponnes, besteigt den Taygetos, besucht die Ionischen Inseln und erreicht schließlich Athen. Dort verbringt er die Monate März bis Mai. Nach dem kargen Leben in Afrika und den Strapazen der Reise genießt er die athenische erste Gesellschaft, trifft den jungen König Otto I. und seinen Vater, den bayerischen König Ludwig I., der sich gerade - erstmals -  in Athen aufhält und die ihn "wohlwollend" empfangen, sowie die Regenten, Archäologen und Professoren und macht neue interessante Bekanntschaften. Beraten und begleitet u.a von dem österreichischen Diplomaten Anton von Prokesch-Osten unternimmt er Ausflüge in die Umgebung, so zum Poseidontempel von Sounion und zum Schlachtfeld von Marathon.

Er gibt seine Eindrücke des von dem erst wenige Jahre von der vierhundertjährigen Türkenherrschaft befreiten Landes wider und beschreibt die schmerzlichen Gefühle, die ihn beim Anblick der vergangenen Größe und des gegenwärtigen Niedergangs erfassen. Anschaulich vermittelt er dem Leser die Atmosphäre Athens und der Athener Gesellschaft. Er empfindet sie wie "ein halbes Wunder", als erstens nicht "kleinstädtisch", angenehm auch, "daß sie in den wenigen Cirkeln, die sie in sich faßt, dennoch eine seltene Mannigfaltigkeit darbot, und drittens, daß Feste, Assembleen, Bälle usw., deren Langeweile man, einmal in der Gesellschaft lebend, doch nicht wohl vermeiden kann, hier nur selten stattfinden."   Und: "In gesellschaftlicher Hinsicht erschien mir Athen angenehmer als viele größeren Hauptstädte, obwohl es in seinem Äußern, wie für Comfort jeder Art, noch manchem Dorfe im civilisierten Europa nach stehen mag." Pückler erweist sich als kritischer Beobachter, drückt sich aber hinsichtlich der enttäuschenden Gegenwart durchgängig sehr vorsichtig und taktvoll aus ohne jedoch die Wirklichkeit zu beschönigen. Er war nicht so kurzsichtig und verbohrt wie viele der damaligen Philhellenen, für die jegliche Kritik an Hellas ein Sakrileg war.

Die Enttäuschungen halten bis zum Ende seiner Griechenlandreise an. Mit der rauen Wirklichkeit wird er besonders auf dem rückständigen  Peloponnes konfrontiert, mit großer Armut und Not, Schmutz und Ungeziefer. Um nicht in den verwanzten und verlausten Gasthäusern übernachten zu müssen, in denen Hygiene ein Fremdwort ist, konstruiert er eigens ein "Feldzeltbett" und nächtigt im Freien.

Auch die Menschen erfährt er als grob, ungesittet und ungebildet, sie können weder lesen noch schreiben.  "Das Volk, das sich den Namen der Hellenen anmaßt, hat mit den Erinnerungen des Bodens nichts gemein", hatte schon der Diplomat Prokesch-Osten bald nach seiner Ankunft in Griechenland desillusioniert erkennen müssen.  Auch Pückler, der als gebildeter Aristokrat wie viele das Unvergängliche der Antike suchte, sah die riesige Kluft zwischen der glanzvollen Antike mit ihren magischen Namen und der jetzigen Gegenwart, den "tiefen Fall". Hinzu kam, daß selbst die antiken Überreste etwa in Delphi, Olympia, Mykene, Epidauros und den anderen antiken Orten kümmerlich waren, denn die systematischen Ausgrabungen setzten ja erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, in Olympia zum Beispiel 1875 durch Ernst Curtius. Es bedurfte schon einer beträchtlichen Vorstellungskraft, sich aus den wenigen Trümmern ein Bild von der großen Vergangenheit zu machen. 

Aber der Fürst hatte auch schöne Erlebnisse, etwa im Dorf Magula bei Sparta, "wo ein deutscher Architekt, Herr Baumgarten, mit seiner Familie wohnt, der von der Regierung mit dem Bau Neu-Spartas beauftragt ist. Er bewirtete uns mit einer kleinen Kollation, bei der seine schöne Tochter den Wein kredenzte, und es wäre höchst undankbar, nicht auch eines vortrefflichen germanischen Rahm-Kirschkuchens zu gedenken, dessen Verdienst wir mit Patriotismus erkannten." Selbst die kargen Überbleibsel Spartas sieht er positiv: "Die Überreste Spartas ... sind keineswegs so gering, als sie von den meisten angegeben werden, obgleich allerdings kein Gebäude davon sich, wie in Athen, zum größten Teile ganz erhalten hat."

Vor allem in Athen sieht er Lichtblicke: Ich muß "namentlich für den Aufenthalt in Athen gestehen, daß trotz seines ominösen Titels doch auch manche Sonnenblicke diese trüben Tage erhellten. Denn oft haben Freuden, ja selbst hoher Genuß, sich mit den schmerzlichen Gefühlen gemischt, welche der tiefe Verfall einstiger Größe so unwillkürlich hervorruft, den fast unerträglichen Mangel an allen, dem verwöhnten Europäer nötig gewordenen, Bedürfnissen ertragen helfen." Mit dem "ominösen" Titel sind die "Griechischen Leiden" gemeint.   

1837 reist er über die Kykladen - Milos, Paros, Naxos, Santorin - und das damals noch osmanische Kreta nach Ägypten, wo ihm ein fürstlicher Empfang bereitet wurde. Weiter geht es in den Sudan, nach Palästina, in den Libanon und schließlich nach Konstantinopel. Erst nach fünf Jahren kehrt er von seiner Afrika- und Orientreise nach Muskau zurück. 1785 auf Schloß Muskau geboren, stirbt er 1871 auf Schloß Branitz.

Alle Zitate sind aus "Südöstlicher Bildersaal", Band II und III: "Griechische Leiden", 1840/41, Neuauflage "Griechische Leiden", Band II und III, Stuttgart/Hamburg 1969.