Samstag, 21. November 2015

Massaker in Epiros: Die 49 von Paramythia

Paramythia ist eine hübsche Kleinstadt im gebirgigen Nord-Epirus, ca. 70 km von der Hafenstadt Igoumenitsa entfernt, wo die Fähren nach Korfu, Patras und Italien ablegen. Sie liegt zwischen den Flüssen Kalamas (auch Thyamis) und Acheron, dem mythischen antiken Totenfluß, über den der Fährmann Charon die Verstorbenen in das Reich der Toten, den Hades, gerudert hat. Heute ist die Gegend beliebt für Trekking-Touren. Paramithia hat einige Sehenswürdigkeiten - Reste der Akropolis, den spätbyzantinischen Koulia-Turm, die dreischiffige byzantinische Panagia Paramithia, den venezianischen Uhrturm von 1750 -, doch abgesehen von den Italienern, die hier im Herbst auf Singvögel schießen, verirren sich Touristen eher selten hierher. Vögel sind denn auch das Wahrzeichen des Städtchens, allerdings nicht die von den Italienern als kulinarische Delikatesse vom Himmel geholten, sondern Störche. Mit rund vierzig Nestern auf Bäumen und Hausdächern ist es ein wahres Storchenparadies. Es sind Weißstörche, die sich ab Mitte August in ihre Winterquartiere nach Afrika aufmachen und im Frühjahr zurückkehren. Der Storch wurde schon in der Antike hoch geachtet, weil er sich - Sinnbild der kindlichen Dankbarkeit - um seine alten Eltern kümmerte. Aristophanes läßt ihn in seinem Stück "Die Vögel" sagen: "Wer beißt die Mutter ins Bein und beschert euch den Segen? Der Storch ist's." Die Bürger sind mit ihren Störchen so verwachsen, daß manche sogar, wie Vize-Bürgermeister Dimitri Mamouris, der die Zukunft der Stadt im Alternativen Tourismus sieht, ein Storchenemblem auf ihrer Visitenkarte haben.

Stolz ist Paramithia auch auf den hier geborenen Goldschmied Sotirios Voulgaris (1857-1932), den Gründer der weltweit bekannten Luxusmarke Bulgari. 1877 verließ er seinen Heimatort, ging zunächst nach Korfu, dann nach Neapel und 1881 nach Rom, wo er mehrere Goldschmuckläden eröffnete und seinen Namen in Bulgari änderte. Sotirios Voulgaris stiftete Paramithia eine Schule, die seinen Namen trägt.

Im Zweiten Weltkrieg ereignete sich während der deutschen Besatzung Entsetzliches in der Stadt. Nachdem die 1. Gebirgsdivision ("Edelweiß-Division") der Wehrmacht am 16. August 1943 317 Zivilisten jeden Alters und Geschlechts in dem epirotischen Dorf Kommeno exekutiert hatte, erschoss sie sechs Wochen später, am 29. September 1943, unter dem üblichen Vorwand von "Sühne- und Vergeltungsmaßnahmen" 49 Bürger von Paramithia. Die Liste mit den Namen der Todeskandidaten hatten zwei Brüder, die muslimischen Tsamen Nuri und Mazar Dino - letzterer war Polizist in Paramithia - zusammengestellt, die schon vorher durch gewalttätige Exzesse aufgefallen waren. Anlaß für die Racheaktion waren sechs in einem Gefecht mit Partisanen gefallene Soldaten der Wehrmacht. Warum gerade 49? Am 27. September um Mitternacht wurden 52 Männer verhaftet und am frühen Morgen des 29. September von einem gemeinsamen Trupp Deutscher und Tsamen auf einen Platz etwas außerhalb der Stadt geführt, wo bereits zwei Massengräber ausgehoben waren. Dort steht heute das Denkmal für die Opfer; alljährlich finden hier ergreifende Trauerfeierlichkeiten statt, um die Erinnerung wach zu halten. Der deutsche Offizier, der das Erschießungskommando befehligte, ließ im letzten Ausgenblick drei Gefangene frei, weil er glaubte, sie könnten den Deutschen handwerklich von Nutzen sein. Das konnte er, weil einige Tage zuvor elf Bürger der Präfektur Paramithia erschossen worden waren, so daß die geforderte Zahl sechzig - zehn Griechen für einen deutschen Soldaten - erreicht wurde. So ging die Rechnung auf. In den "Abendmeldungen der Truppe" vom 29. September hieß es: "In Paramithia wurden 50 (sic!) Griechen als Vergeltungsmassnahme für den Überfall am 20.9. auf vorgehenden Spähtrupp westl. Bez.P. 124 erschossen. 149 gefangene Italiener nach Bisduni in Marsch gesetzt." Nach der Kapitulation Italiens waren die ehemaligen Verbündeten zu Gegnern geworden.

Kaum ein Deutscher hat je von den Kriegsverbrechen in Griechenland geschweige denn von Paramithia gehört. Wenn überhaupt, so erreichten die NS-Greuel in den Bergstädtchen Distomon bei Delphi oder Kalavrita im Norden des Peloponnes eine gewisse Aufmerksamkeit, wo die Deutschen 228 und 511 Einwohner in einem Rachefeldzug niedermetzelten, in Distomon wahllos Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge, in Kalavrita alle Männer und männlichen Jugendlichen im Alter von 13 bis 77 Jahren. Damit hatten sie die gesamte männliche Bevölkerung ausgerottet. Die Namen beider Orte kennen die Deutschen aber wohl erst durch die von Hinterbliebenen angestrengten Entschädigungsprozesse, die durch die Presse gingen, Kalavrita zusätzlich durch den Besuch von Bundespräsident Johannes Rau im April 2000. Joachim Gauck tat es ihm nach. Er besuchte im März 2014 das epirotische Dorf Lingiades, wo am 3. Oktober 1943 87 Menschen, ebenfalls von Angehörigen der 1. Gebirgsdivision, ermordet wurden. Beide Bundespräsidenten fanden zwar viele schöne Worte wie "Trauer und Scham" (Rau) oder "Scham und Schmerz" (Gauck), die üblichen wohlfeilen Betroffenheitsformeln, die zum Standardrepertoire der Politiker gehören, aber abgesehen davon blieben die Besuche folgenlos. Im Gedächtnis haften bleibt höchstens das peinliche Foto, auf dem der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias die Umarmung Gaucks brüsk abschüttelte. Es ging durch alle Medien.

Alle Schadenersatzansprüche von Opfern der Wehrmachtsverbrechen wurden von den deutschen Gerichten abgewiesen, 2007 auch vom Europäischen Gerichtshof und 2012 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Es bestätigte in einem Grundsatzurteil, daß Klagen von Privatpersonen gegen einen Staat nach dem geltenden Völkerrechtsprinzip der Staatenimmunität unzulässig seien. Das heißt, die Staatenimmunität gilt sogar in Fällen von Kriegsverbrechen.

Das Massaker von Paramithia hat aber noch eine andere, sehr traurige Dimension, wie sie nirgendwo sonst in Griechenland in Erscheinung getreten ist. Denn hier waren die Täter nicht nur die deutschen Besatzer, sondern die albanisch-muslimischen Mitbürger und Nachbarn der christlichen Einwohner, die "Tsamen". Sie spielten eine schändliche Rolle, indem sie während der gesamten Besatzungszeit 1941-44 zuerst mit den Italienern und nach der Kapitulation Italiens Anfang September 1943 mit den Deutschen kollaborierten. Im Juni 1941 gründeten sie die Albanische Faschistische Partei Thesprotiens sowie die Albanische Faschistische Jugend, deren Sitz Paramithia war. Die Tsamen verbreiteten Angst und Schrecken, Raub und Gewalttaten waren an der Tagesordnung. Sie vertrieben die christlichen Verwaltungsbeamten systematisch aus ihren Stellungen und besetzten sie mit eigenen Leuten. Ihre Absicht war es, die politische Macht in Thesprotien zu erlangen. Als der Niedergang Nazi-Deutschlands absehbar war, zogen sie sich nach Albanien zurück. Einen der Hauptdrahtzieher, Masar Dino, verurteilten die Albaner zum Tode.

Als einziger Deutscher wurde im Rahmen des Nürnberger Prozesses General Hubert Lanz 1948 zu zwölf Jahren Haft verurteilt, und zwar für alle Verbrechen der ersten Gebirgsdivision unter seinem Kommando. Darunter fällt neben den epirotischen Massakern auch das "Gemetzel von Kefallinia", wo die Gebirgsjäger im September 1943 5200 italienische Kriegsgefangene liquidierten. Doch schon 1951 war Lanz wieder auf freiem Fuß. Er trat in die FDP ein, war ihr Berater in militär- und sicherheitspolitischen Fragen und wurde 1952 Ehrenvorsitzender des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, die ihre alljährliches Pfingsttreffen im bayerischen Mittenwald abhielten und ihrer gestorbenen Mörder-Kameraden gedachten. Kein einziger der anderen Täter ist jemals von bundesdeutschen Gerichten schuldig gesprochen worden. Alle anhängigen Ermittlungsverfahren wurden halbherzig geführt, verschleppt und schließlich eingestellt.

Insgesamt gibt es in Griechenland 93 Märtyrerstädte, in denen während der deutschen Besatzung 1941-45 brutale Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen, die Häuser geplündert, die Orte niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht wurden.














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